Pascal Wehrlein kann in diesem Jahr der erste deutsche Formel-E-Weltmeister werden. Wir haben mit ihm gesprochen.

Ein Interview

In der elektrischen Rennserie Formel E gab es bislang noch keinen deutschen Champion. Pascal Wehrlein gehört auch in diesem Jahr zu den Titelkandidaten, der Deutsche führt die Gesamtwertung vor dem anstehenden Rennwochenende in Misano an. Wir haben mit ihm über die Titelchancen, aber auch die speziellen Herausforderungen, das Standing der Rennserie und die Formel 1 gesprochen.

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Herr Wehrlein, Sie reisen als Tabellenführer der Formel E nach Misano. Sorgt die aktuelle Situation für ein Deja-vu? In der vergangenen Saison waren Sie mit Porsche auch lange vorne, ehe hinten raus der Einbruch kam …

Pascal Wehrlein: Nein, in diesem Jahr sind wir in einer anderen Situation. Wir waren im vergangenen Jahr am Anfang vor allem in den Rennen sehr stark und konnten dort unsere schlechteren Qualifying-Ergebnisse wettmachen. Im Laufe des Jahres haben alle anderen Teams sehr viel über das neue Auto gelernt, wir haben aber trotzdem unsere Qualifying-Performance beibehalten. Und dann war es einfach schwerer, im Rennen nach vorne zu fahren. Deswegen ist uns die Meisterschaft aus den Händen geglitten. Aber das letzte Jahr ist komplett abgehakt. Wir waren alle nicht glücklich mit dem Ausgang, auch wenn es viel Positives gab. Wir hatten einfach zu viele Qualifyings, die wir nur auf Platz zwölf bis 15 beendet haben.

Was stimmt Sie denn optimistisch, dass es diesmal etwas wird mit dem WM-Titel?

Wir haben einen grossen Fokus darauf gelegt, uns im Qualifying zu verbessern. Das haben wir Stand heute sehr gut umgesetzt. Wir sind im Durchschnitt die besten Qualifier, wir haben zwei Pole-Positions eingefahren und unsere durchschnittliche Startposition ist Platz fünf. Zum Vergleich: 2023 war unsere durchschnittliche Startposition neun. Wenn man die Rennen von weiter vorne startet, macht es das Leben leichter. Deshalb bin ich ganz optimistisch, was den Rest der Saison angeht.

Welche Rolle spielt für Sie das Thema Druck? Man kann ja durchaus sagen, dass es langsam Zeit wird mit einem Titel …

Ja, absolut. Wir alle wollen den Titel, wir alle sind hungrig, wir wissen, dass wir letztes Jahr dran waren und dieses Jahr wollen wir es besser machen. Druck machen wir uns aber alle selbst am meisten. Ich möchte immer das Maximale herausholen, ich gehe in jedes Wochenende und möchte das Rennen gewinnen. Daher kommt kein zusätzlicher Druck dazu, jetzt die Meisterschaft gewinnen zu müssen, sondern das ist ein Ziel, das ich mir selbst schon immer stecke. Das macht also keinen Unterschied.

Sie sind in Ihrer Karriere nicht immer vorne gefahren, wie zum Beispiel in der Formel 1. Ist der Druck intensiver oder anders, wenn man vorne fährt?

Nein, es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass man ein Auto hat, mit dem man gut performen kann, mit dem man seine Leistungen zeigen kann, wenn man alles richtig macht. Ja, ich hatte schon andere Situationen, wo einfach das Paket nicht gestimmt hat, wo das vordere Mittelfeld ein Highlight war. Aber als Fahrer ist es trotzdem ein anderes Gefühl, wenn man zu den Rennwochenenden kommt und man weiss, dass man das Rennen gewinnen kann.

Sie haben die DTM gewonnen, sind in der Formel 1 gefahren. Wo würden Sie einen Formel-E-Titel einordnen in Ihrer Karriere?

Der DTM-Titel 2015 war ein sehr schöner Titel, weil es mein erster im Profi-Motorsport war. Ich war damals 20 Jahre alt und bin in einem super professionellen Umfeld gegen sehr gute Fahrer angetreten. Das ist eine schöne Erinnerung, aber auch eine Weile her. Die Formel E ist noch konkurrenzfähiger. Die Autos sind noch näher beieinander. Dementsprechend ist es in der Formel E noch schwieriger, einen Titel zu holen. Wie Sie gesagt haben: Es wäre mal wieder Zeit, einen Titel zu holen.

Pascal Wehrlein: "In den Rennen braucht man vor allem eine gute Effizienz"

Was ist in der Formel E generell nötig, um am Ende vorne zu stehen?

In den Rennen braucht man vor allem eine gute Effizienz. Die haben wir auch letztes Jahr schon gehabt und auch in diesem Jahr haben wir wieder einen Schritt gemacht. Natürlich ist das Qualifying wichtig. Und gibt im Grunde zwei verschiedene Rennen. Einmal das Rennen, bei dem das Qualifying wirklich wichtig ist, weil es schwierig ist zu überholen. Dann gibt es aber auch die Rennen, wie zum Beispiel Berlin, Portland oder auch jetzt Misano, wo es sehr leicht ist zu überholen, wo man sehr viel Energie sparen muss und wo man deshalb auch taktisch clever vorgehen muss.

In der Formel E kommt es ja darauf an, schnell und gleichzeitig effizient zu fahren, also Energie zu sparen. Können Sie erklären, wie man das gleichzeitig hinbekommt?

Ja, das sind zwei Dinge, die eigentlich nicht so gut zusammenpassen, weil man immer Vollgas fahren und so spät wie möglich bremsen möchte. Aber wie wir in den Rennen effizient fahren, ist eigentlich ganz simpel. Vor unserem normalen Bremspunkt lassen wir das Auto rollen, das heisst wir segeln in unseren Bremspunkt hinein. Wir können vorne und hinten Energie rekuperieren. Man versucht, dass die Reifen so wenig wie möglich blockieren, denn sonst kann man dort keine Energie rückgewinnen. Im Rennen liegt der Fokus darauf, den maximalen Kurvenspeed mitzunehmen. Somit musst du auf der nächsten Geraden weniger beschleunigen, weil du schon mit einer höheren Geschwindigkeit ankommst. Das sind Dinge beim Fahrstil, aber auch bei der Software, die einfach passen müssen. Hinzu kommt, dass man im Windschatten sehr viel Energie sparen kann, weil man dann auf der Geraden schneller ist und man weniger beschleunigen muss. Man kann aus einem höheren Speed Energie rückgewinnen auf der Bremse, womit das Ganze noch effizienter wird.

Was gibt es noch für typische Formel-E-Herausforderungen für einen Fahrer an einem Rennwochenende?

Wir haben nur zwei freie Trainings à 30 Minuten. Das heisst, wir haben nicht viel Zeit, um uns auf die Strecke und auf ein gutes Setup einzuschiessen. Das Basispaket muss also schon sehr gut sein, wenn wir zur Strecke kommen. Bislang machen wir da einen guten Job. In der Formel E ist das Rennen zudem etwas komplett anderes als das Qualifying. Im Qualifying fährst du wirklich alles, was geht. Im Rennen dann effizient zu fahren, ist eine grosse Umstellung. Ausserdem fahren wir auf vielen Stadtkursen, die normalerweise sehr wenig Grip haben am Anfang, und wo sich der Grip dann aber extrem verbessert. So verändert sich dann auch das Setup vom Auto, die Balance und man muss das alles ein bisschen antizipieren, was eine ziemliche Herausforderung ist, vor allem für das Team, für die Ingenieure.

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Sie sind seit 2019 in der Formel E. Wie hat sich die Serie über die Jahre entwickelt?

Die Richtung stimmt. Die Covid-Zeit war keine einfache Zeit, weil es immer noch eine sehr junge Serie ist, die Jahr für Jahr wächst und mehr Interesse gewinnt. Ich spüre aber, dass wir jetzt wieder dieses Momentum bekommen, das die Serie vor Corona hatte. Die führenden Personen in der Formel E treffen gute Entscheidungen. Das Rennen zuletzt in Tokio war zum Beispiel sensationell. Und auch, was sie in Zukunft vorhaben, ist sehr interessant. Ich bin gespannt auf die vierte Generation unserer Autos, die in zwei Jahren kommt. Da sehen die Autos wirklich extrem schnell aus. Wir werden 600 kW haben, was eine extreme Leistung ist für diese Autos.

Was müsste die Formel E anders oder besser machen für die Zukunft?

Die DNA der Formel-E sind Stadtkurse. Wir haben jetzt ein paar permanente Rennstrecken im Kalender. Aber es sind die Rennen auf den richtig coolen Stadtkursen, wo die Formel E performen muss und sollte. Für uns sind Stadtkurse die perfekte Grösse für die Autos und wie die Rennen gefahren werden. Deswegen hoffe ich, dass wir in Zukunft wieder hauptsächlich auf solchen Kursen unterwegs sein werden. Ich glaube, dass die elektrische Technologie so weit fortgeschritten ist, dass wir schon viel schneller sein könnten. Wir könnten eine viel extremere Beschleunigung haben. Nächstes Jahr werden wir zudem den Allradantrieb einführen. Das sind Dinge, die in die richtige Richtung gehen und die beim Zuschauer zu einem noch grösseren Wow-Effekt führen werden.

In Deutschland wartet die Formel E allerdings noch auf den Durchbruch. ProSieben ist zuletzt als übertragender Sender ausgestiegen. Wie erklären Sie sich die Schwierigkeiten der Formel E auf dem deutschen Markt?

Ich glaube, dass es auch die Formel 1 in Deutschland nicht leicht hat. Ich kann es mir selbst nicht erklären, warum das so ist. Aber das Interesse am Motorsport in anderen Ländern, in denen wir fahren, ist riesig. Mexiko ist immer ausverkauft. Die Fans sind sehr enthusiastisch, freuen sich immer, wenn wir kommen. Tokio zuletzt war auch sofort ausverkauft. Als wir in Indonesien waren, in Jakarta, war es auch immer voll. Es liegt so ein bisschen daran, wie sich die Leute auf das Event freuen. Da gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern. Das merkt man einfach.

"In der Formel E ist die Chancengleichheit grösser"

Sie haben das Motorsport-Problem in Deutschland angesprochen. Der Sport steckt ein in der Krise hierzulande. Wie könnte man Impulse setzen, damit sich das wieder ändert?

Das ist eine gute Frage. Wenn ich die beantworten könnte, dann würde ich im Motorsport wohl eine andere Rolle einnehmen. Wir haben grossartige Hersteller in Deutschland, die auf allen Motorsport-Plattformen unterwegs sind, sei es in der DTM, in der Formel E oder in der Formel 1. Wir haben sehr erfolgreiche deutsche Fahrer, wir haben tolle Strecken in Deutschland. Ich kann es mir nicht erklären. Aber wie gesagt: Es fällt schon auf, dass es Länder und Orte gibt, an denen das Motorsport-Interesse extrem gross ist.

Was hat die Formel E der Formel 1 voraus?

Die Spannung, die Technologie, wie relevant sie ist für die Strassenfahrzeuge. Bei Porsche findet ein grosser Austausch zwischen dem Rennteam und der Strassenauto-Produktion statt. Und das Ganze geht immer mehr und mehr in Richtung Elektrifizierung. Die Konkurrenzfähigkeit zwischen den jeweiligen Teams ist bei uns gross, es geht eng zu. Wobei ich glaube, dass auch in der Formel 1 die Abstände deutlich geringer wären, hätten alle das gleiche oder ein ähnliches Auto. In der Formel E ist die Fairness und die Chancengleichheit grösser, was einem als Fahrer sehr viel Spass macht. Bei uns können zwölf bis 15 Fahrer um den Sieg kämpfen. Und das hast du in keiner anderen Rennserie. Und somit ist auch die Herausforderung sehr gross und es ist ein besonders schönes Gefühl, wenn man ein Rennen gewonnen hat.

Ist das Fahrerfeld besser als in der Formel 1?

Ich glaube, die besten Fahrer in der Formel 1 sind definitiv auch die besten Fahrer auf der ganzen Welt. Aber ich glaube nicht, dass sich die Formel E da verstecken muss. Viele Fahrer bei uns gehören auch zu den besten Fahrern der Welt, sie haben das auch bereits in anderen Kategorien bewiesen. In der Formel 1 gibt es natürlich Fahrer, die dort sind, weil sie ein bestimmtes Budget mitbringen. Ansonsten wären sie vielleicht nicht in dieser Position. Das ist auch kein Geheimnis. Und so etwas gibt es bei uns in der Formel E nicht.

Sie selbst hatten den Traum von einer längeren Formel 1-Karriere, waren zum Beispiel bei Mercedes im Gespräch als Nachfolger von Nico Rosberg. Am Ende waren es "nur" zwei Jahre in der Königsklasse. Hätten Sie im Nachhinein betrachtet etwas anders machen können?

Schwer zu sagen. Ich habe gute Resultate eingefahren für das Paket, das ich hatte. Dann hat es aber nicht mehr geklappt, ein Cockpit zu finden. Heute bin ich wirklich in einer super Position. Ich freue mich über die Arbeit mit dem Team und dass wir konkurrenzfähig sind. Ich vermisse nichts.

Aber man weiss im Motorsport ja nie. Vielleicht klopft nach einem WM-Titel die Königsklasse nochmal an. Wären Sie offen dafür?

In der Theorie ja. Aber es ist kein Muss, sondern es muss passen. Ich hatte zwei gute Jahre in der Formel 1. Das, was ich heute mache, macht mir mehr Spass: Konkurrenzfähig zu sein und vorne zu fahren. Wenn das ganze Konzept und die Dinge passen, dann bin ich auf jeden Fall offen dafür. Aber für mich sind viele Faktoren entscheidend, ob ich es machen wollen würde oder nicht.

Über den Gesprächspartner

  • Pascal Wehrlein gewann 2015 mit 20 Jahren den Titel in der DTM. 2016 und 2017 fuhr er mit Manor und Sauber in der Formel 1 und sammelte dabei sechs WM-Punkte. Seit 2019 startet er in der Formel E, wo er bis dato fünf Rennen gewinnen konnte.
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