Trotz eines Fouls wird der Führungstreffer des VfL Wolfsburg anerkannt. Deshalb ärgert man sich beim SC Freiburg – weniger über den Schiedsrichter als vielmehr über den Video-Assistenten. Auf Twitter kontert die sportliche Führung der Referees: Ein klarer und offensichtlicher Fehler habe nicht vorgelegen.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
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Bemerkenswert einig waren sich nach dem Spiel zwischen dem VfL Wolfsburg und dem SC Freiburg (3:0) beide Trainer in ihrem Urteil über jene Szene in der 21. Minute, die dem Spiel die entscheidende Richtung geben sollte.

Gästecoach Christian Streich fand: "Das 1:0 für Wolfsburg ist ein klares Foulspiel." Sein Wolfsburger Kollege Oliver Glasner schloss sich an: "Vor dem ersten Tor hätte man Foul geben können oder sogar müssen."

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Doch der Treffer von John Anthony Brooks zählte, denn Schiedsrichter Tobias Reichel hatte kein Vergehen gesehen. Auch der Video-Assistent in Köln erhob keine Einwände.

Vorausgegangen war dem Tor ein Eckstoss für die Gastgeber, bei dem der Ball hoch vor das Tor der Gäste getreten wurde. In der Mitte auf Höhe der Torraumlinie kam es zu einem unübersichtlichen Gewühl. Auf einmal ging der Freiburger Kevin Schlotterbeck zu Boden.

Auch der Sky-Kommentator rätselt

Über den Wolfsburger Maxence Lacroix gelangte der Ball zu Brooks, der ihn aus kurzer Distanz ins Gehäuse des Sportclubs hämmerte. Schlotterbeck hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den linken Fuss, seine Mitspieler blickten fragend zum Unparteiischen. Doch der Führungstreffer für die Niedersachsen behielt seine Gültigkeit.

Zwischen der Torzielung und dem Wiederanstoss lagen zweieinhalb Minuten, so lange dauerte es, bis die Überprüfung der Szene in der Kölner Videozentrale abgeschlossen war. Währenddessen zeigte der Fernsehsender Sky mehrere Wiederholungen dieser Szene aus unterschiedlichen Perspektiven.

Der Kommentator rätselte lange, was der Grund dafür gewesen sein könnte, dass Schlotterbeck so plötzlich stürzte. Die ersten Kameraeinstellungen zeigten es nicht eindeutig, und wegen der Vielzahl an Spielern im Bild war es keine leichte Aufgabe, sich einen Überblick zu verschaffen.

Erst die fünfte Zeitlupe und eine virtuelle Lupe schaffen Klarheit

Erst in der fünften Zeitlupe war zu sehen, dass der Wolfsburger Kevin Mbabu, während er sich zum Ball orientiert hatte, versehentlich mit dem Fuss auf Schlotterbecks Ferse getreten war.

In der Halbzeitpause wiederholte Sky die Szene nochmals stark verlangsamt und hob dabei den Kontakt mithilfe einer virtuellen Lupe hervor. Nun sah das, was zuvor nur schwer zu entdecken und zu erkennen war, eindeutig aus.

"Nicht beabsichtigt, aber ein klares Foul", urteilte Christian Streich später, um sogleich den Unparteiischen in Schutz zu nehmen: "Der Schiedsrichter kann das nicht sehen, weil zu viele Leute im Strafraum sind." Doch dafür gebe es ja den Video-Assistenten.

Der Referee sei allerdings "nicht mal nach aussen gebeten worden, um sich die Szene anzuschauen". Das sei "völlig unerklärlich". Eine Erklärung wurde dann am Abend auf dem offiziellen Twitter-Account der DFB-Schiedsrichter veröffentlicht.

Der DFB erklärt sich auf Twitter

"Der Video-Assistent hat ein mögliches Foulspiel an Schlotterbeck anhand der vorliegenden Kameraeinstellungen geprüft", hiess es darin. "Diese brachten keinen eindeutigen bildlichen Beleg für ein regelwidriges Foulspiel an dem SC-Freiburg-Spieler."

Hilfsmittel wie eine Lupenvergrösserung würden bei der Überprüfung solcher Szenen "grundsätzlich nicht eingesetzt, weil bewusst auf eine detektivische Suche verzichtet werden soll".

Der VAR solle nur "bei klaren, offensichtlichen Fehlentscheidungen eingreifen, die auf der Grundlage aller Kamerabilder, die auch jedem Zuschauer zur Verfügung stehen, basieren".

Das Dilemma der Video-Assistenten

Der Fall führt noch einmal vor Augen, welchem Dilemma die Video-Assistenten bisweilen ausgesetzt sind. Sie sollen keine Detektive sein, die minutenlang übereifrig einem eventuellen Fehler oder einem vom Schiedsrichter womöglich übersehenen Vergehen nachspüren. Vielmehr sollen sie sich auf Dinge konzentrieren, die schnell und klar zu erkennen sind.

Doch wenn die TV-Anstalten später, also mit wesentlich weniger Zeitdruck, einen zunächst keineswegs offenkundigen Fehler aufspüren, visuell hervorheben und in den Mittelpunkt stellen, kritisiert niemand, dass unnötige Detektivarbeit geleistet worden sei.

Vielmehr wird gefragt: Warum ist dem VAR nicht aufgefallen, was das Fernsehen bemerkt hat? Die Antwort müsste lauten: Weil er weniger Zeit dafür hatte und die Sache oft nicht so klar ist, wie Superzeitlupe und Ausschnittvergrösserung sie erscheinen lassen.

Der VAR hat weniger Zeit als die Fernsehsender

Dabei ist es ein Ziel der Video-Assistenten, Debatten wie nach der Partie in Wolfsburg gar nicht erst entstehen zu lassen. Im Zuge dessen ergibt sich für sie manchmal ein weiteres Dilemma: Dauert die Überprüfung etwas länger, dann stellt sich die Frage, ob der Sachverhalt und ein möglicher Fehler überhaupt klar und offensichtlich sein können.

Wird sie dagegen schnell abgeschlossen, handelt sich der VAR für den Fall, dass es Zweifel an der finalen Entscheidung gibt, vielleicht den Vorwurf ein, mit der Sorgfalt und Genauigkeit eher nachlässig umzugehen.

Hinzu kommen kann ausnahmsweise, dass dem Video-Assistenten von seinen technischen Helfern in der Hektik des Moments nicht die aussagekräftigste Perspektive aus mehr als 20 Kameraeinstellungen vorgelegt wird, während der übertragende Sender – beide haben Zugriff auf denselben Bilderpool – in dieser Hinsicht treffsicherer ist.

Gelegentlich steckt der Teufel eben im Detail. Und wo Menschen urteilen und handeln müssen – noch dazu unter Zeitdruck –, passieren nun mal auch Fehler. Das sollte man bei allem berechtigten Anspruch an die Professionalität nicht vergessen.

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