Die WM 2022 in Katar beginnt. Nun gilt es, Widersprüche auszuhalten und aus den Diskussionen rund um das Turnier zu lernen, in Katar ebenso wie hier bei uns.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Mara Pfeiffer (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Je näher die WM in Katar rückt, umso mehr intensiviert sich die Berichterstattung – und das ist gut. Zwei Dinge sind dabei gerade parallel zu beobachten. Zum einen wird journalistisch zu den Themen abseits des Platzes berichtet; das war auch schon in den vergangenen Wochen der Fall. Zum anderen nimmt eine gewisse Normalisierung des Turniers als sportliches Ereignis Fahrt auf, werden Tippspiele geteilt und Startkader prognostiziert. Das war so zu erwarten.

Ein Test unserer Ambiguitätstoleranz

Beim Thema Boykott ist von etlichen Verantwortlichen im Fussball zu vernehmen, dass dieser nun nichts mehr bringe beziehungsweise viel früher hätte beginnen müssen. Gerade so, als seien die Rufe nach einem Boykott der WM erst in den vergangenen drei, vier Wochen vom Himmel gefallen, was natürlich nicht den Tatsachen entspricht. Ein Boykott kann viele Formen haben, unter anderem diese: Die Themen, die das Turnier seit der Vergabe begleiten, sichtbar und laut zu halten, während auf vielen Fernsehgeräten eben doch Spiele laufen.

Alle, denen der Fussball am Herzen liegt, werden in den kommenden Wochen lernen müssen, Widersprüche auszuhalten. Ambiguitätstoleranz also. Verschiedene Dinge werden während der WM parallel zueinander existieren, und wir alle tun gut daran, das zuzulassen, ohne dabei jene zu verurteilen, die sich anders verhalten als wir – oder anders, als wir uns das wünschen.

Welche Konsequenzen sollte der Fussball ziehen?

Aus der Bewegung "Boycott Qatar 2022" ist schon jetzt extrem viel von unschätzbarem Wert entstanden. Viele Diskussionen, die rund um diese WM geführt werden, haben die Mitglieder der Initiative mindestens mit angestossen. Gleichzeitig geht von ihnen kein pauschales Urteil über eine Region aus, verhandeln sie differenziert, was sie an der WM in Katar, an der Vergabe und natürlich an der (mangelnden) Haltung der Fifa stört.

Und schaffen, was vielen anderen Akteur*innen im Fussball nicht gelingt, nämlich sich und uns allen auch den Spiegel vorzuhalten. Andere zu kritisieren ist immer leichter, als eigene Werte und Handlungen zu hinterfragen, doch Letzteres ist eben wichtig. Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten unter anderem: Wie viel von dem, was rund um das Turnier kritikwürdig ist, steckt ganz allgemein im Fussball? Wie viel in der Bundesliga? Welche Schlüsse können wir aus der Diskussion um die WM in Katar für uns selbst und unseren Fussball ziehen?

Lernen aus der Kritik

Ob es um Arbeitsrechte geht, um die Rechte der LGBTIQA*-Community und von sogenannten gesellschaftlichen Minderheiten, den Umgang mit dem Planeten, seinen Ressourcen oder um viele andere Fragen der Haltung mehr: Die Welt ist auch vor der eigenen Haustür alles andere als perfekt, sei es grundsätzlich in der Gesellschaft oder im Fussballstadion.

Viel wird derzeit darüber gesprochen, ob das Turnier in Katar über die vier sportlichen Wochen hinaus bleibende Effekte haben wird. Zu wenig wird dabei in den Fokus genommen, dass nicht nur der WM-Gastgeber aus den Diskussionen und der Kritik lernen kann, sondern wir alle die Möglichkeit haben, für unsere Gesellschaft und unseren Fussball Lerneffekte mitzunehmen.

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