• Freitag erscheint mit "Wenn die Kälte kommt" das potenziell fünfte Nummer-eins-Album von Santiano, eine Woche später veröffentlicht Helene Fischer ihr Album "Rausch“.
  • Santiano-Sänger Björn Both rechnet mit einem "Kampf um Platz eins" und erklärt im Interview mit unserer Redaktion, dass es seine Band Helene nicht leicht machen wird.
  • Zudem spricht der Norddeutsche über den Umgang mit "Fridays for Future", den Klimawandel und seine Flugangst.
Ein Interview

Herr Both, das neue Santiano-Album heisst "Wenn die Kälte kommt". Aber: Wird Ihnen beim Gedanken an Ihr potenziell fünftes Nummer-eins-Album nicht eher warm ums Herz?

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Björn Both: Absolut. Man könnte auch sagen: "Wenn die Kälte kommt" wird heiss gehandelt (lacht) – auch von uns selbst in emotionaler Hinsicht. Dieses Album liegt uns sehr am Herzen, weil es ein Meilenstein ist. Entgegen aller Ratschläge haben wir in Zeiten von Streamingdiensten ein Konzeptalbum auf den Tisch gehauen.

Björn Both von Santiano: "Wir werden es Helene Fischer schwer machen"

Zudem schläft die Konkurrenz nicht. Helene Fischer veröffentlicht eine Woche nach Ihnen ihr Album "Rausch". Warum sind Sie die wahre Nummer eins?

Nachdem unsere bisherigen Alben allesamt Platz eins erobert haben, denken wir natürlich ein Stück weit sportiv. Das liegt in der Natur der Sache. Allerdings beobachten wir diesen "Kampf um Platz eins" ohne Verbissenheit – und wir sind Gentlemen. Wir haben überhaupt kein Problem damit, der Lady den Vortritt zu lassen und ihr zu gratulieren, sollte sie die Chartspitze erklimmen. Aber wir werden es Helene natürlich schwer machen.

Wie schätzen Sie Helene Fischer in dieser Hinsicht ein: Würde sie Ihnen ebenso fair gratulieren?

Vermutlich wird Helene Fischer aktuell ähnliche Fragen beantworten dürfen. Ich schätze sie sehr ähnlich ein. Sie wird sportiv denken, uns den ersten Platz aber ebenso gönnen. Und sie weiss auch ganz genau, wie wir darüber denken.

"Wenn die Kälte kommt" wurde als "erster echter Epos" angekündigt. Was steckt dahinter?

Das bezieht sich auf die gesamte Geschichte hinter dem Album, die damit beginnt, ins Eis zu gehen sowie den Abschied von geliebten Menschen und Lebensumständen beinhaltet – ohne die Gewissheit zu haben, noch einmal zurückzukehren. Schliesslich ist zu bedenken, dass unsere Geschichte 100 Jahre zurückgeht. Diese abenteuerlichen Reisen in der damaligen Zeit dauerten oft Jahre.

"Ein Teil unserer Gesellschaft denkt nur noch an sich selbst"

Und Sie schaffen sogar einen Bezug zur heutigen Zeit einschliesslich Corona, richtig?

Nun ja, inhaltlich gibt es Parallelen: vom Aufbruch über Stürme und Flauten bis hin zu dem einen oder anderen Hoffnungsschimmer, dass man doch noch an seinem Ziel ankommt. Wir konnten also eine zweite Erzählebene hinzuziehen – eben auch eine Beobachtung dieser Corona-Zeit mit all den Befindlichkeiten, die man als Einzelmensch und als Gesellschaft durchlebt. Nach anfänglich warmherzigen Solidaritätsbekundungen wurden wir von dem Einzug der Kälte heimgesucht. Ein Teil unserer Gesellschaft denkt nur noch an sich selbst. Vor allem hat sich der Ton stark verändert, mit dem wir miteinander sprechen.

Also ist guter Shanty-Musik heute inhaltlich viel mehr zuzutrauen als "nur" Lieder über Gezeiten, Meer und Sturm?

Wir haben ziemlich schnell realisiert, dass wir nicht nur über die genannten Schlagworte singen können. Wären wir so vorgegangen, wäre unsere Geschichte vermutlich bereits nach dem zweiten Album auserzählt gewesen. Die ersten Fragen, die wir uns immer stellen, lauten: Wie soll unser nächstes Album überhaupt aussehen? Welche Welten wollen wir aufmachen? Auch instrumentale Veränderungen werden erörtert – immer verbunden mit dem Spagat, Santiano zu bleiben. Wir haben uns eine Marke aufgebaut und demnach auch einen klaren Auftrag, die Fans nicht zu enttäuschen.

Es geht in Ihren Songs um die Beziehung zwischen Mensch und Meer. Welchen Stellenwert nimmt bei euch das Thema Klimawandel ein?

Damit wären wir bei unserer dritten Erzählebene angekommen. Niemand kann heute einfach so ins Eis gehen – auch wir als Band Santiano nicht. Wir können keine Abenteuergeschichte erzählen, ohne hin und wieder den Finger in die Wunde zu legen. In erster Linie sind wir Menschen des Meeres, wir fühlen uns der Natur verbunden. Das machen wir hinreichend klar – auch mit Engagements ausserhalb der Musik, etwa mit "Sea Shepherd" (Meeresschutzorganisation; Anm. d. Red.).

Konkret: Wie gehen Sie ins Eis, wenn man das "heute einfach so" nicht mehr machen kann?

Die Frage lautet: Mit wem gehen wir ins Eis? Wir haben uns mit dem Flensburger Polarreisenden Arved Fuchs zusammengetan, der sich seit mehr als 40 Jahren an beiden Polkappen aufhält. Früher ging es ihm in erster Linie um die Herausforderung und das Abenteuer. Heute weist er auf die Veränderungen hin und schafft es, die Menschen mit klarer Stimme in seinen Bann zu ziehen. Mit "Wenn die Kälte kommt" unterstützen wir seine Expeditionen, sein Schiff und die Crew.

"Alles in allem hat mich die Wahl enttäuscht"

Was erwarten Sie von der neuen Regierung mit Blick auf die besorgniserregende Klimaentwicklung?

Zunächst einmal gehen unsere Erwartungen weit über die neue Regierung hinaus. Unabhängig von der Frage, ob die Ampel oder Jamaika kommt, erwarten wir, dass diesem Thema genug Raum gegeben und aufgehört wird, sich an alten Zöpfen festzuklammern. Alles in allem hat mich die Bundestagswahl jedoch enttäuscht und auf den Boden zurückgeholt.

Inwiefern?

Ich habe festgestellt: So weit her scheint es mit dem Thema Klimawandel dann doch noch nicht zu sein. Wir haben allerdings ein gewisses demografisches Ungleichgewicht. Ich glaube, dass das Anliegen der jungen Menschen ein anderes ist. Wir müssen in den kommenden Jahren die Grundsteine legen. Wenn wir das erst in zehn Jahren machen, dann ist es zu spät. Wir alle haben gegenüber unserem Planeten eine Verantwortung. Und wenn wir nicht dazu in der Lage sind, es anders abstrakt zu denken, dann sollten wir an unsere Kinder denken.

Ist da nur die Politik gefordert?

Eben nicht. Mir fehlt dieses Bewusstsein auch in weiten Teilen der Gesellschaft. Beispiel "Fridays for Future": Es geht nicht darum, dieser Bewegung in allen Punkten recht zu geben, sondern zu honorieren, dass sie es geschafft hat, diese Diskussion in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Das ist unglaublich wertvoll. Ich schäme mich dafür, wie mit "Fridays for Future" umgegangen wird – und es tut mir weh.

Im Februar 2022 gehen Santiano auf Tour. Welche Auswirkungen haben Ihre Konzerte mit Blick auf die vielen Reisen mit grossem Equipment auf die Umwelt?

Natürlich tauschen auch wir uns darüber aus, wie wir alles so optimieren, dass unsere Konzerte weniger umweltbelastend stattfinden können. Der erste Schritt ist, dass wir im Rahmen unserer nächsten Tour professionell ausrechnen lassen wollen, welchen "Dampfhammer" wir als ökologischen Fussabdruck hinterlassen.

Werden Sie das Ergebnis transparent mit der Öffentlichkeit teilen?

Genau, das soll kein Geheimnis bleiben. Wir fliegen zwar nicht häufig, zumal ich auch unter Flugangst leide, dennoch kommt da einiges zusammen. Ich denke, das Ergebnis wird uns allen die Augen öffnen. Wir müssen einfach loslegen, ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Hat Ihre Flugangst eigentlich dazu geführt, dass Sie als "Seemann" die Musikwelt bereisen?

Ach, manchmal werde ich auch seekrank. Mein Grundgedanke ist ein anderer, wohl wissend, dass mir das auf dem Ozean auch nichts bringt: Wir sind Menschen, die mit dem Fuss auf dem Grund stehen und schwimmen können. Das ist so tief in uns verankert, dass es uns über Wasser hält. Ich kann aber nicht fliegen. Meiner Meinung nach haben wir da oben nichts zu suchen.

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Shanty-Musik ist heute auch global in aller Munde, wie nicht zuletzt das Beispiel "Wellerman" zeigt. Haben Sie internationale Ambitionen?

Ich habe einmal im Spass zu meiner Plattenfirma gesagt: Ich stand 30 Jahre zur Verfügung, aber damals hat es niemanden interessiert. Heute, wo ich es gerade noch schaffe, meinen Körper auf die Bühne zu schleifen, braucht mir niemand mehr mit Weltkarriere zu kommen (lacht). Für ausgesuchte Konzerte im Ausland bin ich gerne bereit, aber grosse, monatelange Tourneen durch irgendwelche Clubs in Amerika stehen für mich nicht zur Debatte. Ich sehe uns nicht auf einer Welttournee.

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