M&M's – Models und Moneten. Nicht erst, seit die Frau, die weder Karl Lagerfeld noch Claudia Schiffer ein Begriff war und die in Paris sogar keiner kannte, mit "Germany's Next Topmodel" eine Art Resozialisierungsprogramm für blutjunge Influencer-Anwärterinnen kreiert hat, ist "Model" der Traumberuf vieler jungen Mädchen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das hat zum einen feministische Gründe. Das Modelbusiness ist nämlich zweifelsfrei eines der ganz wenigen Berufsfelder, in denen die Gender Pay Gap eindeutig und überdurchschnittlich Richtung XX-Chromosomenträgerinnen ausschlägt. Während das Statistische Bundesamt (Destatis) die Gender Pay Gap zum Equal Pay Day 2022 in flächendeckender vorkommenden Jobs auf 39 Prozent taxierte, kommen weibliche Models nach einem Blick auf die Honorarabrechnungen ihrer männlichen Kollegen regelmässig vor Lachen kaum in den Schlaf. Es gibt vermutlich keinen Beruf auf der Welt, in dem Frauen so signifikant mehr verdienen als Männer. Ausser vielleicht im Berufsfeld Spielerfrau, was aber nicht zwangsläufig zur Kategorie handelsüblicher Ausbildungsberufe gezählt wird.

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Gender What Gap?

Als kurze Erläuterung für alle, die Gender Pay Gap für eine Boygroup oder eine Erfindung von Annalena Baerbock halten: Die Gender Pay Gap gilt als der zentrale Indikator für Verdienstungleichheit zwischen Frauen und Männern. Wobei bei seriöser Betrachtungsweise (für alle Querdenker-Mitleser: Damit ist nicht Telegram gemeint, sondern Wissenschaft) unbedingt bedacht werden muss: Verdienstungleichheit begrenzt sich nicht auf Bruttostundenverdienste.

Beispielsweise als Hausfrau und Mutter gar nicht am Erwerbsleben teilzunehmen oder in Teilzeit zu arbeiten, birgt mittel- bis langfristige (Nicht-)Verdienstfolgen. Der "Gender Gap Arbeitsmarkt" als neuer Indikator für erweiterte Verdienstungleichheit betrachtet daher mehrere Dimensionen: Neben der Verdienstlücke pro Stunde macht er Unterschiede in der bezahlten monatlichen Arbeitszeit (Gender Hours Gap) und in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern (Gender Employment Gap) sichtbar. Wie das Statistische Bundesamt anlässlich des Equal Pay Day mitteilt, lag der Gender Gap Arbeitsmarkt im Jahr 2022 bei 39 Prozent.

Dispokredit auf dem Laufsteg

So, jetzt wo erstmal alle Synapsen schön durchgegendert wurden, schliessen wir erstmal die M&M's-Referenz vom Intro: Geht es wirklich jedem weiblichen Model so? Oder sind die Millionärinnen in dem Genre am Ende doch seltener, als ein Abend bei Dieter Nuhr ohne billigen Altherren-Gag über Luisa Neubauer? Schmilzt das grosse Geld womöglich nicht in der Hand, aber dafür auf dem Konto und um die Hüften?

Dieser Wochenrückblick im Kontext des berühmtesten Mode-Events der Welt, der Paris Fashion Week, ist ein Plädoyer dafür, nicht um jeden Preis Model werden zu wollen. Auch wenn Heidi Klum das suggerieren sollte. Es klappt nämlich nicht sehr häufig, am Ende tatsächlich in Paris eine Haute-Couture-Show zu laufen und dafür mehr als 300 Euro, einen Taxigutschein und ein T-Shirt zu bekommen.

Warum ist das so im Modelbusiness, fragen Sie sich jetzt natürlich. Oder Sie fragen sich, was dieser Exkurs in ein Nischenthema jetzt für einen Mehrwert hat. In beiden Fällen: ist doch egal, lesen Sie einfach weiter. Denn dann lernen Sie: Das Modelbusiness ist ein eigener Kosmos. Zu viele Mädchen teilen sich einen zu kleinen Markt. Das ist ein bisschen wie zu versuchen, die Auflage einer Tageszeitung noch dramatischer einbrechen zu lassen, als es Elfenbeinturm-Chefkritiker Ulf Poschardt zuletzt mit der "Welt" gelungen ist: Nur die wenigsten schaffen es.

Letztendlich landen nur die Wenigsten auf den spektakulären Glamour-Ads der "Vogue". In Szene gesetzt von Starfotografen. In Produktionen, die Spielfilm-Budgets verschlingen. Hollywood, aber in schön. Die hochbezahlte Spitze eines Eisbergs, der viele unsichtbare Kilometer hinunterreicht in die Tiefen eines Überlebenskampfes im Ozean der oberflächlichen, gnadenlosen und unmenschlichen Scheinwelten. Kaum eine Modelkarriere ist vergleichbar mit denen der Kendall Jenners, Kaia Gerbers oder Giselle Bündchens dieser von merkwürdigen Schönheitsidealen verseuchten Gesellschaft.

Runway ins Nichts

Der Alltag eines Models unterhalb des Celebrity-Olymps hat wenig zu tun mit roten Teppichen, Pariser Modewochen, Affären mit Leo DiCaprio oder Oscar-Partys. Eher setzt man sich auseinander mit Fotografen, die Testshootings heimlich im Ausland weitervermarkten, oder Kunden, die monatelang Rechnungen nicht zahlen. Die meisten Mädchen kämpfen jeden Monat, wenigstens die Miete einzufahren. Und werden dafür von ihren Agenturen noch wie anstrengende Nervensägen behandelt. Plus: Jeden Tag strömen neue, spindeldürre, blutjunge Mädchen in die Casting-Büros dieser Welt und minimieren deine Job-Chancen.

Eine weitere nicht sehr glamouröse Tatsache: Kunden zahlen weniger. Fotografen setzen auf Mädchen, die sie schon kennen und die funktionieren. Verlage buchen honorarfrei, weil Modestrecken gut für die Setcard wären. Natürlich würde beinahe jedes Model gratis für ein "Vogue"-Paris-Cover shooten. Für eine Dessous-Strecke in einem Schmuddel-Heft, das am Kiosk sogar noch hinter den TV-Zeitschriften verendet, aber nicht.

Das häufigste Model-Accessoire sind Essstörungen

Es gibt in Deutschland mehr Modelagenturen als irgendwo sonst. Während Mädchen im Zuge der "Du kannst alles werden, was Du möchtest“-Revolution in den weniger woke-durchempowerten Kinderzimmern der 80er- und 90er-Jahre noch Ärztin oder Drachentöterin werden wollten, streben sie heute das Berufsziel Topmodel an. Sie lassen sich in dubiose Agenturen aufnehmen und hoffen auf den Durchbruch als neue Toni Garrn oder wenigstens als neue Lena Gercke. Eine Generation, die Claudia Schiffer und Cindy Crawford nicht mehr kennt und die für ein Cover-Shooting der "Bäckerblume" 40 Tage Heilfasten würde.

Das Modelbusiness mit seinen Paradiesvögeln, Oligarchen auf Brautfang und exzentrischen Wichtigtuern war schon immer reichlich bizarr. Heute ist es zusätzlich tyrannisch. Size-Zero-Mädchen werden dazu getrieben, weiter abzunehmen. Als oft sogar noch minderjähriges Mädchen hältst du den Druck, ein Produkt zu sein, das möglichst den Mund halten und gut aussehen soll und dabei jederzeit ersetzt werden kann, entweder aus oder du zerbrichst. Dann kannst du dramatisch aufheulen auf der globalen Selbstdarstellungskirmes der sozialen Netzwerke. Dafür bekommst du eventuell noch kurz Applaus von Kritikern, die es immer schon gewusst haben und dir werden für ein paar Tage nachdenkliche Artikel auf Online-Blogs, die niemand liest, gewidmet. Für einen Moment denkst du vielleicht, es war der richtige Schritt. Aber verändert hat sich nichts. Ausser deine Karrierechancen.

Die Karawane der Schönheit zieht weiter

Denn die Karawane der Fashionindustrie zieht derweil ungerührt weiter. Schnell bist du nur noch eine Randnotiz in den Erinnerungen an die, die es nicht geschafft haben. Also machen die meisten Mädchen einfach weiter. Lassen sich ausbeuten und jagen einem Ideal hinterher, das gleichsam surreal wie ungesund ist. Mental wie körperlich. Der in Orangensaft getunkte Wattebausch als Modelnahrung ist keine Legende. Die meisten Mädchen ergeben sich letztendlich der Branche und reagieren auf ausbleibende Jobs mit verzweifelten Versuchen, interessanter zu werden. Dazu gehören Schönheits-OPs, Workouts bis zur vollkommenen Erschöpfung oder Crash-Diäten, bei denen man sich über den Tag verteilt von vier Litern Wasser und einem Apfel ernährt.

Der Erfolg kommt auch dadurch selten. Und wenn, zu einem viel zu hohen Preis. Aber selbst dann, wenn es für eine gute Karriere reicht, ist das Modelleben kein Zuckerschlecken. Wirst du krank, ist der Job weg. Eine andere macht ihn. Du quälst dich also hin und triffst dort auf fremde Sklaven einer Industrie, die voraussetzt, dass du funktionierst. Du musst "liefern". Wenn du zufällig eine eigene Meinung hast, giltst du schnell als schwierig und zickig.

Klar, jemand wie Cara Delevingne kommt mit einem eigenen Kopf ans Set und lässt sich nicht verbiegen. Aber solange du nicht Cara bist, bist du niemand. Und so behandeln sie dich auch. Hinzu kommt: Echte neue Caras sind selten. Als Anfängerin hat man es schwer. Der Markt ist gesättigt. Es gibt mehr als genug gute Models.

Gleichzeitig verschwinden nebenbei viele Magazine vom Markt, die im Zuge der digitalen Transformation als Printprodukt nicht überlebensfähig sind. Mehr Mädchen, aber weniger Jobs. Es ist nicht schwer auszurechnen, dass die Chancen, als Model durchzustarten, deutlich geringer sind als noch vor 15 Jahren. Falls ihr also vorhabt, die neue Gigi Hadid zu werden – überlegt es euch gut!

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