Die Fernsehdokumentation "Framing Britney Spears" der "New York Times" sorgt dafür, dass sich Fans und Medien dafür entschuldigen, wie sie den Popstar behandelt haben. Die Sängerin kämpft vor Gericht dafür, der Vormundschaft durch ihren Vater zu entrinnen. Dabei bekommt sie neue Unterstützung von Prominenten und Aktivisten.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Man braucht keine Rekordlisten, um zu wissen, dass Britney Spears eine der erfolgreichsten und berühmtesten Sängerinnen der Gegenwart ist. Wer heute Fernsehen guckt, Musik hört oder im Internet surft, kam irgendwann mit Britney Spears in Berührung, egal ob als Fan oder mit ihrer Musik im Hintergrund.

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Aber dass es Aktivisten gibt, die für ihre "Befreiung" kämpfen, wussten bis vergangene Woche nur verhältnismässig wenige. Denn die heute 39-Jährige gilt nach mehreren Zusammenbrüchen seit mehr als zehn Jahren als nicht geschäftstüchtig: Seit 2008 entscheidet vor allem ihr Vater über ihre Auftritte, ihr Vermögen – ihr Leben.

Seit dem vergangenen Sommer wehrt sich der Popstar gegen diese Vormundschaft. Diese Woche geht die Gerichtsverhandlung weiter. Ein Bericht höchstens für Celebrity-Websites und Klatschspalten.

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Promis stellen sich hinter Britney Spears

Doch plötzlich twittern Prominente von Sarah Jessica Parker ("Sex and the City") bis Hollywood-Star Bette Midler den Hashtag #FreeBritney. Kollegin Miley Cyrus, deren Karriere viele Parallelen zu Spears' aufweist, beendete ihren Auftritt nach dem Super Bowl am Sonntag mit dem Aufruf "We love Britney". Und einen Tag später entschuldigte sich eine Redakteurin der amerikanischen Ausgabe der "Glamour" in einem Online-Artikel dafür, dass Zeitschriften wie ihre eine Mitschuld tragen an den Tiefen im Leben der Sängerin.

Der Grund für diesen Aktivismus ist eine Dokumentation der "New York Times" (NYT): "Framing Britney Spears" lief im amerikanischen Sender FX und ist seit dem 7. Februar auf dem Streamingdienst Hulu zu sehen. Seitdem hat das Phänomen Britney Spears eine neue Reichweite erhalten, die über Popkultur-Enthusiasten hinausgeht.

Denn in typischer New-York-Times-Manier - ruhig, seriös und fesselnd ohne künstliche "Spiegel-TV"-Dramatik -, untersucht "Framing Britney Spears" das Wechselspiel zwischen dem Popstar und der Öffentlichkeit.

"Free Britney": Eine Freundin zum Vergöttern

Spears wächst in der Kleinstadt Kentwood in Louisiana auf. "Wir liegen mitten im Bibel Belt Amerikas", sagt ihre mütterliche Freundin Felicia. Britneys Eltern hatten sie als Gouvernante engagiert, um die Tochter auf ihren beruflichen Reisen zu begleiten, während die Mutter sich zu Hause um Britneys jüngere Geschwister kümmerte.

Der Vater James wird als wenig präsent im Leben Britneys beschrieben. Er habe ein Alkoholproblem gehabt, war Bauarbeiter und versuchte sich als Fitnessstudiobetreiber und Koch, erzählt die Marketing-Managerin Kim Kaiman von Spears' Plattenfirma Jive Records, die das Image der Sängerin mit aufgebaut hat und sie seit ihrer Teenagerzeit kennt.

Britney tritt in Talentshows auf und wird 1992 für die Kindersendung "The Mickey Mouse Club" engagiert – zusammen mit unter anderem Christina Aguilera, Justin Timberlake und Ryan Gosling. Danach geht es erst einmal zurück an die Schule. Als sie 1998 einen Plattenvertrag bekommt, beginnt die Promo-Tour dort, wo die anderen Teenager abhängen: in Einkaufszentren.

"Sie war die Freundin, die du ein bisschen vergötterst, die aber im Grunde genau dieselben Träume und Hoffnungen hat, wie du", schwärmt Kim Kaiman. Wie alle Teenager "wollte sie erwachsen sein und war dabei noch ein Kind". Ein Teenager allerdings, der gut aussah, gut singen konnte - und richtig gut tanzen.

Interview-Frage an Britney: "Bist du noch Jungfrau?"

Als sie als Zehnjährige in einer Talentshow auftritt, will der grauhaarige Moderator von ihr wissen, ob sie sich für Jungs interessiere und schon einen Freund habe, sie habe so schöne Augen. Bei Interviews wird sie gefragt, ob sie noch Jungfrau sei.

Sie hat Ende der Neunziger eine höchst öffentliche Beziehung zu Justin Timberlake, die höchst öffentlich zu Ende geht. Ein Männermagazin titelt, Timberlakes Musik sei für Weicheier, aber immerhin habe er es "in Britneys Höschen geschafft".

2003 will eine Moderatorin im Fernsehen von der 22-Jährigen wissen, was sie dazu sage, dass ihr sexy Auftreten "so viele Mütter" empört. Zur Bekräftigung lässt sie ein Tondokument laufen, in dem eine Politikergattin erklärt, sie würde Britney erschiessen, "wenn ich könnte". Britney Spears bricht das Interview daraufhin unter Tränen ab.

Die zwiespältige Beziehung zwischen den Medien und dem amerikanischen Sweetheart demonstriert "Framing Britney Spears" fast kommentarlos, indem der Fotograf Daniel Ramos zu Wort kommt, der durchaus reflektiert über seine Rolle als Paparazzo spricht: Britney sei immer sehr nett zu den Fotografen gewesen, "ein gegenseitiges Geben und Nehmen". Filmausschnitte zeigen ein freundliches Geplänkel zwischen den Paparazzi und dem jungen Superstar.

Die Paparazzi im Spinnennetz

Man sei wie in einem Spinnennetz gefangen, sagt Ramos, "es ist einem nicht klar, was die Berühmtheit durchmacht". Denn bald beginnt der Abstieg.

Britney, die junge, überforderte Mutter. 2006 zeigt ein Foto sie am Steuer, ihr wenige Monate alter Sohn sitzt auf ihrem Schoss.

Britney, das Partygirl. 2007 ein desaströser Live-Auftritt bei den MTV Music Awards: Britney unter Drogen. Britney in einem Barbershop, wo sie sich nach einer Reha die Haare abrasiert.

Daniel Ramos erzählt, ihre Kinder bedeuteten Britney "alles", aber ihr Ex Kevin Federline verwehrte ihr den Besuch. Aus den Worten des Fotografen spricht fast ein Beschützerinstinkt – aber Ramos erzählt all das, während er zugleich von seinem "Coup" in jener Nacht berichtet, die verzweifelte Britney auf dem Weg zu Federlines Haus erwischt zu haben. Es kommt zu der berühmten Attacke Britneys auf Ramos mit einem Regenschirm – festgehalten auf Paparazzi-Fotos und in Vidoeaufnahmen, in denen der Fotograf fragt: "Britney, was ist los? Wir machen uns Sorgen um dich."

Dann lässt die NYT-Dokumentation einen NYT-Popkritiker sprechen: Damals habe man noch nicht so über psychische Probleme gesprochen wie heute, man habe ihre Gesundheit nie ernsthaft hinterfragt: "Mit ihrem Leid liess sich einfach zu viel Geld verdienen."

Mit Britneys Leid lässt sich viel Geld verdienen

Natürlich muss sich "Framing Britney Spears" diesen Vorwurf auch selbst gefallen lassen. Natürlich ist die Dokumentation bei aller Seriosität selbst Teil des Kreislaufs, den sie kritisiert. Die Episode ist Teil der Doku-Serie "The 'New York Times' presents: ...". Es gab zum Beispiel einen Film über die Krankenschwestern von New York während der Pandemie, einen über die Brände in Australien, einen über einen jugendlichen Hacker aus Florida.

"Framing Britney Spears" ist Folge sechs der Reihe. Die Aufsehen erregendste und folglich wohl auch die lukrativste. Ganz nebenbei wirft sie ein Schlaglicht auf die Doppeldeutigkeit ihres Titels: "Framing" bedeutet erst einmal nur "einrahmen". Im Krimijargon ist damit gemeint, dass jemand in eine Falle gelockt wurde, um ihn als Schuldigen darzustellen. Der Begriff bezeichnet allerdings auch eine manipulative Kommunikationsstrategie.

Die Dokumentation ist eher eine Art unautorisierte Biographie des Popstars denn ein Enthüllungswerk. Vater James Spears verweigerte den Machern ebenso wie weitere Vormundschaftsverwalter ein Interview. Im Abspann ist zu lesen, dass man nicht weiss, ob Britney selbst die Anfragen um Gespräche jemals bekommen hat.

Warum wehrt sich Britney gegen ihren Vater, aber nicht gegen die Unmündigkeit?

Und so tappt der Film ausgerechnet dort im Dunkeln, wo er Licht in den Fall Britney Spears bringen will: Die Wünsche des Popstars selbst.

Zu den Seltsamkeiten gehört auch, dass sie nicht gegen die Vormundschaft an sich zu kämpfen scheint, sondern vor allem gegen ihren Vater als Vormund. Dieser muss sich die Rolle inzwischen – auf gerichtliche Anordnung – mit professionellen Vormündern teilen. Auch die Tatsache, dass die Sängerin weiterhin millionenschwere Auftritte haben kann, aber kaum Rechte besitzt, wird nicht hinterfragt.

Bei dem Versuch, die komplizierte Sachlage zu entwirren, muss sich die NYT auf einen Anwalt stützen, den Spears vergeblich zu engagieren versuchte, um sich gegen den Vater zu wehren. Und auf die Macher des Podcasts "Britney's Gram": zwei Comediens und Fans, die seit Ende 2017 die Instagram-Posts der Sängerin kommentieren. Tess Barker und Barbara Gray hatten im vergangenen Sommer wesentlich dazu beigetragen, die #FreeBritney-Bewegung ins Rollen zu bringen, als sie berichteten, Britneys vom Gericht bestellter Anwalt habe einen Antrag gestellt, James Spears dauerhaft durch einen professionellen Vormund zu ersetzen.

Damit wurde zum ersten Mal offiziell, dass die Tochter den Vater als Vormund ablehnt. Ausserdem behalte sich Spears vor, sagt ihr Anwalt, die Vormundschaft generell anzufechten.

Der Blick auf Britney durch #metoo

Die Verhandlungen um ein Ende der Vormundschaft durch James Spears sind gerade in die nächste Runde gegangen. Der Ausstrahlungstermin dürfte entsprechend sorgsam gewählt sein. Ausserdem haben Barker und Grey gerade angekündigt, einen neuen Podcast über Britney zu starten - und zwar unter Beteiligung des Podcast-Unternehmens Stitcher und damit auf einem ganz anderen Niveau als "Britney's Gram".

Der Rummel um das Phänomen Britney Spears geht also weiter – und damit das Geldverdienen mit ihr.

Andererseits entwickelt sich gerade ein neuer Twitter-Trend: #WeAreSorryBritney – Entschuldigungen dafür und Anteilnahme daran, wie die Sängerin behandelt wurde. Und darin liegt vermutlich der grösste Verdienst von "Framing Britney Spears": Aus kritischer Distanz, mit einem nicht zuletzt auch durch #metoo geschulten Blick zu zeigen, wie unsere Gesellschaft vor gar nicht allzu langer Zeit die Karriere eines minderjährigen, weiblichen Superstars zu begleiten pflegte.

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