Ein Millennial auf der Suche nach Freiheit und Selbstverwirklichung reist in seine eigene Vergangenheit der frühen 00er-Jahre, in denen Männer noch alles sein durften – ausser verletzlich. Davon handelt die neue Coming-of-Age-Serie "Chabos". Johannes Kienast spielt darin den Protagonisten Peppi. Wir haben den 39-Jährigen gefragt, wie er aufgewachsen ist und was er unter dem Begriff Männlichkeit versteht.

Ein Interview

Der Blick zurück ist Johannes Kienast nicht fremd: Schon in der Serie "A Better Place", in der er einen vorzeitig aus dem Gefängnis entlassenen Straftäter verkörperte, musste sich seine Figur mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Die Serie "Chabos" (ab sofort in der ZDF-Mediathek streambar) wird auf zwei Zeitebenen erzählt – von und mit einem "jungen" sowie einem "alten" Peppi.

Im Interview mit unserer Redaktion erklärt Kienast, was er von seinen jungen "Chabos"-Kollegen in Sachen Rollenverteilung und Gleichberechtigung lernen konnte. Zudem spricht der Schauspieler über die Zusammenarbeit mit seiner Serien-Mutter Ange Engelke und seine von Schlägereien und Mobbing geprägte Schulzeit.

Herr Kienast, wie bilden Sie mit Ihren Fingern ein Herz?

Johannes Kienast: Oh, mein Gott (lacht). Ich glaube, ich würde es mit den beiden Zeigefingern und Daumen machen – auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt nicht mehr cool bin.

Sie sind Jahrgang 1986 und damit der Generation Y zuzuordnen. Welche typischen Verhaltensweisen eines Millennials haben Ihre Jugend geprägt?

Es waren die Klassiker – vom Haare stylen übers Solarium bis hin zum MP3-Player, den man überall dabei hatte. Ganz wichtig: Natürlich ging man niemals ohne neue Batterien aus dem Haus. Ich verbrachte viel Zeit damit, Games auf dem Rechner zu zocken, draussen zu sein und mich mit meiner Familie ums Festnetz beziehungsweise um Telefonrechnungen zu streiten.

In "Chabos" begeben Sie sich auf einen Trip zurück in die 00er-Jahre. Wofür steht der Serientitel?

Der Begriff kommt aus dem Romani und bedeutet "Junge". Die Regisseure der Serie haben sich in ihrer Jugend so genannt. "Chabos" hat also eine ähnliche Bedeutung wie "Alter" oder "Bruder". Ich persönlich bin mit diesem Ausdruck erstmals durch den Song von Haftbefehl (der Rapper veröffentlichte 2012 den Titel "Chabos wissen wer der Babo ist") in Berührung gekommen.

Statt "Bruder" ist "Digga(h)" für das Jugendwort des Jahres 2025 nominiert. Wie viele der zehn vorgeschlagenen Begriffe haben Sie schonmal verwendet?

Also "Digga(h)" hält sich ja seit Jahren stabil in dieser Liste, wobei man in Berlin eigentlich "Dicka" sagt. Ich versuche, es so wenig wie möglich zu sagen, weil ich mir dabei komisch vorkommen würde. Einem Kommentar zu dieser Liste habe ich entnommen, dass man erst dann wirklich alt ist, wenn man keines dieser Jugendwörter mehr kennt. So weit ist es bei mir noch nicht. Ein paar der vorgeschlagenen Begriffe, etwa "Das crazy", habe ich auch schonmal benutzt. Es sind aber auch wieder ein paar Pseudo-Jugendwörter dabei …

Meinen Sie "goonen"? Das ist ein Slangwort für Selbstbefriedigung.

Zum Beispiel, ja. Ich dachte immer, dass ein Goon derjenige ist, der im Eishockey aufs Feld geschickt wird, um dem besten Gegenspieler eine zu verpassen. Als Verb habe ich das noch nie gehört.

Nico Marischka spielt in "Chabos" den "jungen" Peppi, Sie den "alten" Peppi. Sie haben selbst festgestellt, dass das jüngere Serien-Ich wie Leonardo DiCaprio aussieht. Wie kommen Sie damit klar?

Sehr gut. Er ist ja ich in jung. Ergo: Auch ich sah mal aus wie Leonardo DiCaprio (lacht). In erster Linie aber ist Nico ein ganz toller Mensch und fantastischer Schauspieler.

Wie haben Sie Anke Engelke, die Peppis Mutter spielt, am Set erlebt?

Es war unsere erste persönliche Begegnung. Ich hatte mich darauf eingestellt, auf eine Anke Engelke zu treffen, wie ich sie aus der "Wochenshow" und anderen Comedy-Formaten aus dem Fernsehen kannte. Doch die Anke Engelke, die ich dann am Set kennenlernen durfte, war eine seriöse und hervorragende Schauspielerin. In dem Moment habe ich meine eigene Erwartungshaltung hinterfragen müssen.

Jedenfalls haben wir uns sehr viel und sehr lang unterhalten. Anke ist ein super angenehmer und geerdeter Mensch. Ich habe sie als klug, reflektiert, hellwach und grosszügig kennengelernt. Sie kann wahnsinnig lustig, aber auch wahnsinnig ernst sein. Ich glaube sagen zu können, dass wir uns sehr gern haben.

Wie gross ist für eine Schauspielerin oder einen Schauspieler die Gefahr, in eine Schublade gesteckt zu werden?

Ich versuche, wach zu bleiben und mich wenig zu wiederholen. Natürlich ist das nicht immer zu 100 Prozent möglich, da auch ich letztendlich davon abhängig bin, was mir angeboten wird. Ich kann nicht alles absagen, weil auch ich meine Miete bezahlen muss. Mein Wunsch ist es, möglichst Rollen spielen zu dürfen, die sich in ihren Charakterzügen unterscheiden. Dahingehend verläuft dieses Jahr für mich bisher optimal: Es begann Anfang des Jahres mit "A Better Place", jetzt kommt "Chabos". Und kürzlich hatte ich ein Casting für ein unfassbar tolles und herausforderndes Projekt, das auch wieder eine ganz andere, neue Farbe zeigen würde.

"Erst mit der Zeit habe ich gelernt, mich selbst zu akzeptieren und auch gern zu haben."

Sind Sie gut darin, Grenzen zu setzen und für sich einzustehen? Peppi neigt ja eher zum People Pleaser, was seine Konflikte letztlich nur verschärft.

Nein, ich musste das erst lernen. Am Anfang wusste ich gar nicht, wer ich eigentlich bin, weil ich nur nach den Vorstellungen anderer Menschen lebte. Ich wollte nicht negativ auffallen und tat unbewusst alles, um in der Masse zu verschwinden. Erst mit der Zeit habe ich gelernt, mich selbst zu akzeptieren und auch gern zu haben.

Eine eigene Meinung zu entwickeln und auch zu dieser zu stehen, ist immer mit einem mutigen und anspruchsvollen Schritt verbunden – in welchem Kontext auch immer. Dazu gehört, dass man es nicht immer jedem recht machen kann. Auf "Chabos" bezogen, muss Peppi das noch lernen, denn er merkt, dass es so nicht weitergehen kann.

Zwischendurch spricht Peppi in die Kamera

Die Frage ist, ob die Kamera für Peppi ein Freund ist oder ob er nur Selbstgespräche führt. Diese Kamera könnte auch ein Spiegel sein, der ihn auffordert, mal genau hinzuschauen und ehrlich zu sich selbst zu sein.

Früher galt es als verpönt, mit Freunden über seine Gefühle zu sprechen. Welchen Anteil haben die damaligen Erziehungsmethoden an der toxischen Männlichkeit, wie wir sie heute in der Gesellschaft oft erleben?

Die Zeiten der "preussischen Erziehung" mit dicken Büchern unter den Achseln, um anständig zu essen, liegen noch gar nicht so weit zurück. Damals galten andere Regeln und Kodexe. Zwar wurden diese mittlerweile aufgeweicht, doch nach wie vor gibt es Menschen, die sich an diese "Das macht man nicht"-Haltung klammern. Jede Generation hat die Aufgabe, das zu hinterfragen und vielleicht eine Alternative dazu zu finden. Mir persönlich war und ist es wichtig, meinen positiven und negativen Emotionen Raum zu geben. Macht man das nicht, entsteht ein Ungleichgewicht.

Wie denkt die jüngere Generation um den jungen Peppi-Darsteller Nico Marischka darüber?

Ich habe das Gefühl, dass die Jungs, die ich beim Dreh kennengelernt habe, nochmal ganz anders über Themen wie Rollenverteilung, Gleichberechtigung und Umgang miteinander nachdenken. Sie sind da viel feiner miteinander, als wir das damals waren. Und das finde ich schön.

Ich habe überhaupt kein Problem mit Männlichkeit, nur schaden darf sie nicht. Früher standen unter Kumpels komische Rituale und Mutproben auf der Tagesordnung, um herauszufinden, wer der geilere oder der stärkere ist. Die wird es wahrscheinlich auch immer noch geben, aber meine jungen Kollegen haben mir gezeigt, dass es das auch ohne Zerstörung geben kann. Die haben sich zwar herausgefordert, aber am Ende immer gegenseitig unterstützt.

Wann ist ein Mann ein Mann?

Wenn man Verantwortung für sein Handeln übernimmt und zu seinen Fehlern steht. Mittlerweile habe ich aber allein mit dem Wort "Mann" ein Problem. Mich stört zunehmend, dass so viel darüber geredet und häufig eine Spaltung vorgenommen wird. Ich würde viel lieber über Menschen und deren Umgang miteinander reden. Wobei es natürlich einfach ist, so etwas als weisser Mann zu sagen.

Was verbinden Sie mit Ihrer Schulzeit?

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Ich persönlich leider eine Menge Gewalt. Dieses Alphatier-Gehabe begleitete mich durch meine Schulzeit. Irgendwie war ich immer auf der Suche nach meinem Platz. Von Schlägereien bis Mobbing war vieles dabei, wofür ich mich heute schäme. Ich fühlte mich sehr lost und teilweise einsam damals. Es gab aber auch schöne Momente von freundschaftlicher Verbundenheit, Leichtigkeit und Freiheit. Und diesen wundervollen, naiven Gedanken, dass einem die Welt gehört.

Über den Gesprächspartner

  • Johannes Kienast ist ein deutscher Schauspieler. Der in Halle an der Saale geborene Darsteller spielte zunächst am Theater, 2010 war er in "Neue Vahr Süd" erstmals in einem Fernsehfilm zu sehen. In den Kinofilmen "Heiter bis wolkig" (2012) und "Nymphomaniac" (2013) spielte er in Nebenrollen. Für seine Darstellung des Straftäters Mark Blum in "A Better Place" wurde Kienast 2025 in der Kategorie "Dramatische Hauptrolle" für den Deutschen Schauspielpreis nominiert.