Nach Miami wollte Andrea Kiewel ihre Zuschauer mit dem "Fernsehgarten" am Sonntagmittag entführen. In den besten Momenten gelang das sogar ein bisschen, in den schlechtesten brauchte man dafür sehr viel Fantasie. Und im allerschlechtesten Moment der Show vergass die Moderatorin kurz, was cool ist, und was nicht.

Christian Vock
Eine Kritik
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Die neueste Ausgabe des "ZDF-Fernsehgarten" beginnt am Sonntagmittag mit einem vollmundigen Versprechen. "Heute wird Mainz zu Miami und der Lerchenberg zu Florida", behauptet der Off-Sprecher bei der Begrüssung der Zuschauer und, um es vorwegzunehmen: Wurde es nicht. Niemand in Mainz musste am Sonntag die Umzugskartons packen, auch nicht metaphorisch. Mainz blieb Mainz und Miami Miami.

Aber, um auch das vorwegzunehmen: So vollkommen unrecht hatte der Off-Sprecher nicht. Denn beim "Fernsehgarten" wollte man diesmal "Miami Vibes" versprühen und hier und da gelang das sogar ein bisschen. Zumindest, wenn man dabei an die gängigen Klischees über die Stadt in Florida denkt. Dazu gehört, dass Moderatorin Andrea Kiewel am Sonntag nicht auf dem Klapprad, sondern in einem schwarzen Ferrari-Cabrio in den "Fernsehgarten" gefahren kommt, während "Miami" von Will Smith aus den Lautsprechern scheppert.

Und weil dabei sogar die Sonne über dem Mainzer Lerchenberg strahlt, kann man sie tatsächlich und mit etwas gutem Willen spüren, die "Miami Vibes". Bleibt also nur noch die Frage: Warum das Ganze? Die Antwort, die Andrea Kiewel darauf gibt, passt zumindest zum "Fernsehgarten", weil sie so unphilosophisch wie schlicht ist: "Weil's einfach cool ist." Warum Miami "einfach cool" ist, erklärt Kiewel auch: "Tolle Sportwagen, ganz viel Pastell und jede Menge 1980er-Jahre-Retro-Schick und 1980er-Jahre-Musik."

"Jede Menge Männerfernsehen"?

Damit beschrieb Kiewel allerdings nicht Miami, sondern interessanterweise nur das Programm, das man sich zu Miami ausgedacht hat. Denn natürlich hätte man sich auch noch viele andere Klischees und Wahrheiten überlegen können, die ebenfalls zur Florida-Metropole gehören: die hohe Kriminalitätsrate, die regelmässigen Hurrikan-Verwüstungen, besoffene Springbreak-Studenten oder Floridas Ruf als Rentnerparadies.

Aber der "Fernsehgarten" ist keine Doku-Reihe, sondern eben der "Fernsehgarten", also geht es hier nicht um ein realistisches Miami-Bild, sondern um ein unterhaltungsfernsehtaugliches und genau das bekommt man am Sonntagmittag auch. Zum Beispiel, als Kiewel sich um die erwähnten "tollen Sportwagen" kümmert oder wie sie die Autos nennt: "Jede Menge Männerfernsehen." Offenbar fühlt sich die Moderatorin nicht nur in der Welt der Miami-, sondern auch der Männer- und Auto-Klischees wohl.

Um die Sportwagen ein bisschen zu erklären, hat Kiewel nicht nur Ferrari, Lamborghini und einen zum "gute-Laune-Auto" für Strandpartys umgebauten VW-Bus zu sich gebeten, sondern auch die Tuning-Expertin Lina van de Mars. Die erklärt die Welt der Luxus-Autos und verschönert dann mit einem Lack-Künstler die Wagen zweier Zuschauer. Wenn man möchte, kann man das gerne mit Miami verbinden, was sich Kiewel und ihr Team sonst noch als Begleitprogramm ausgedacht haben, teilweise auch.

Wie viel Miami passt in Mainz?

Zum Beispiel die deutsche Frauen-Nationalmannschaft im Flag-Football, eine softe Variante von American Football. Ausserdem tanzen drei Profitänzer zu Ricky Martin, Stylistin Astrid Rudolph lässt Klamotten vorführen, die von "Miami Vice" inspiriert wurden, und eine Dame backt vor laufender Kamera einen "Key Lime Pie", schliesslich hat ihre Grossmutter mal in Florida gelebt. So weit, so Miami. Bei anderen Programmpunkten tut sich der "Fernsehgarten" mit seinem "Miami Vibes"-Motto etwas schwerer.

Da lässt zum Beispiel ein Modell-Boot-Fan kleine Modell-Boote im "Fernsehgarten"-Pool umher flitzen, weil: Modell-Boote gibt es auch in Florida. Obendrein hat der Modell-Boot-Vorführer früher auch "Miami Vice geguckt" – wegen der Boote. Das ist tatsächlich ein bisschen weit hergeholt, aber der "Fernsehgarten"-Pool muss offenbar in jeder Ausgabe genutzt werden. Noch dünner ist die Miami-Herleitung nur bei den Music-Acts, die Kiewel für diesen Sonntag eingeladen hat.

Sänger Malik Harris zum Beispiel ist da, weil er aus Landsberg am Lech stammt. Landsberg am Lech wiederum soll laut Kiewel "das Miami von Deutschland" sein, weil es dort die meisten Sonnenstunden im Jahr gebe. Heavy-Metal-Sängerin Doro Pesch wiederum ist gekommen, weil die Düsseldorferin inzwischen in Miami wohnt und nicht etwa, weil Heavy Metal so gut zu Cocktailschirmchen und hochgekrempelten Pastell-Sakkos passt.

Andrea Kiewel: Nicht cool, sondern unverschämt

Beim Rest der musikalischen Gäste verkneift sich Kiewel aber weitere herbei fantasierte Miami-Bezüge. Vielleicht, weil es die einfach nicht gibt: Magic Affair, Skip Martin, DORO, NIGHT FEVER – A Tribute To The Bee Gees, Amyy, Bad Loverz und Jacob Elias stehen am Sonntag vollkommen floridalos auf der Bühne. Besonders absurd ist aber der Moment, als die mönchelnden Sänger von Gregorian in ihren Fantasie-Kutten "Blinded by the Light" fürs mitklatschende Publikum singen, während nebenan der Lack-Künstler ein Mainzelmännchen auf einen Campingbus sprüht. Da ist der "Fernsehgarten" weiter von cool entfernt als Mainz von Miami.

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Apropos uncool: Das ist auch der Spruch, als Kiewel den da noch zu besprühenden Campingbus des Zuschauers sieht: "Geiles Auto, mega-langweilig. Das Ding ist wie solider Sex, zweimal im Monat", lästert Kiewel dem verdutzten Campingbus-Besitzer vor laufender Kamera ins Gesicht. Für jemanden, der viermal im Monat eine ZDF-Sonntagmittagshow moderiert, die sich Coolness mit "Miami Vibes" herbei fantasieren muss, ist das ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt. Dass der Bus des Mannes am Ende ein Mainzelmännchen aufgesprüht bekommt, macht die Show allerdings auch nicht unbedingt cooler.