Sie denken, Sie hätten schon alles an Trash-TV-Shows gesehen? Das mag stimmen, aber Sat.1 hat tatsächlich einen Ansatz gefunden, der über das übliche Anschreien und Pöbeln hinausgeht. Denn in der "Villa der Versuchung" müssen die Promis seit diesem Montag nicht die Kollegen in Schach halten, um etwas zu gewinnen, sondern einen viel mächtigeren Gegner: ihren Egoismus.

Christian Vock
Eine Kritik
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Die Matratzen zu hart, das Frühstücksbüfett zu karg, das Bad zu dreckig, das Meer zu weit weg. Wenn man nur richtig sucht, findet man im Urlaub immer etwas zu meckern. Wenn man von zu Hause ein bisschen Luxus gewohnt ist, findet man das sogar ohne zu suchen. Führt man diesen Gedanken fort, dürften die Teilnehmer der neuen Trash-TV-Show "Villa der Versuchung" eigentlich gar nichts zu meckern haben, denn dort, wo sie "Urlaub" machen sollen, gibt es nichts, worüber sie meckern könnten. Weil es nichts gibt. Doch der Reihe nach.

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Man weiss nicht, was man den Promis von "Villa der Versuchung" erzählt hat, aber die Truppe scheint geglaubt zu haben, sich in irgendeiner thailändischen Luxus-Unterkunft tummeln zu dürfen und dort zwischen Spa und Champagner machen zu müssen, was man als "Realitystar" eben so im TV macht. Danach sieht es zunächst auch aus, der Pool funkelt, die Aussicht ist zum Niederknien und der Schampus kaltgestellt. Und wer den ganzen Luxus am längsten übersteht, dem winkt die stolze Gewinnsumme von 250.000 Euro. Für so viel Geld muss selbst der grösste Realitystar lange herumschreien.

Alles muss raus

Doch während die Promis sich in der thailändischen Villa schon den Kaviar auf den Hummer schmieren sehen, stakst plötzlich Verona Pooth durch die Kulisse, heisst erst die Teilnehmer willkommen und dann die Möbelpacker. Die packen vor den offenen Mündern und den grossen Augen der Promis auf einmal alles aus der Villa ein, und zwar schneller, als ein deutscher Vermieter "besenrein" sagen kann. Und während sich die Promis noch an die Champagner-Flaschen klammern, klärt Pooth die Belegschaft auf.

Zwar gibt es tatsächlich 250.000 Euro zu gewinnen, aber nur theoretisch. Den Promis werden ein paar Teppiche zum Schlafen, ein Wasserspender zum Trinken und pürierte Pizza zum Essen bereitgestellt, für alles andere müssen die Kandidaten zahlen. Und zwar ordentlich. Die Flasche Champagner: 1.200 Euro, Streichhölzer: 200 Euro, einen Flaschenöffner: 500 Euro und eine Nacht im Schlafzimmer mit Bett und Bad pro Person: 2.000 Euro.

Doch damit das Ganze erst so richtig Dynamik entfaltet, zahlen die Promis die Annehmlichkeiten nicht von ihrem Privatkonto – was manche, wie sich bald herausstellt, gar nicht könnten. Nein, alles, was konsumiert wird, wird vom Preisgeld abgezogen. Dieser Haken ist der Knackpunkt der Show, denn es sollten keine fünf Minuten vergehen, bis jeder Promi zeigt, wie er diese Herausforderung angehen will: mit Egoismus oder mit Altruismus.

Brenda Brinkmann: "Ich nutze Männer aus, warum nicht?"

Das alleine hätte schon Eskalationspotenzial genug, doch damit es auch so richtig rummst, hat Sat.1 beim Cast penibel auf eine Mischung aus Teamfähigkeit und Teamunfähigkeit geachtet: Ronald Schill, Kate Merlan, Gigi Birofio, Georgina Fleur, Bettie Ballhaus, Jasmin Herren, Sara Kulka, Brenda Brinkmann, Raúl Richter, Jimi Blue Ochsenknecht, Manni Ludolf, Patricia Blanco, Steven Graf Bernadotte von Wisborg und Kevin Schäfer.

Bei so einer Zusammenstellung braucht es eigentlich gar kein Konzept, da kriegen Trash-TV-Fans auch so schon feuchte Augen. Doch die Produktion entfaltet trotzdem nach und nach das Spielkonzept, das von der ersten Minute an bereits voll aufgeht. Damit der Zuschauer nachvollziehen kann, warum bald jeder handelt, wie er handelt, erklären die Promis, von welcher Seite des Dispos sie kommen. "Ich hab monatliche Ausgaben von über 10.000 Euro", verrät etwa Patricia Blanco und die derzeit arbeitslose Brenda Brinkmann erklärt ihre Einkommensquelle: "Ich nutze Männer aus, warum nicht?"

Mit Ronald Schill bietet sich da auch gleich der erste Kandidat an, als der mit fiebrigen Augen und wässrigem Mund durch die Villa tigert und sich in seine Männerfantasien träumt: "Dann kommst du mir mit den Mädels hier ja nicht in die Quere", erklärt Schill, als Manni Ludolf ihm verrät, verheiratet zu sein. Vielleicht hat Schill bei "Villa der Versuchung" aber auch Grundsätzliches falsch verstanden und wähnt sich auf einer Alter-weisser-Mann-Variante von "Temptation Island". Tatsächlich hat sich Sat.1 mit dem unnötig uneindeutigen Namen nicht unbedingt einen Gefallen getan, aber vielleicht fand der Sender "Reihenendhaus der Reue", "Einfamilienhaus der Ekstase" oder "Bungalow der Begierde" einfach noch blöder.

Nehmen ist seliger denn Nicht-Nehmen

Doch zurück zu den Kandidaten und ihren Kontoständen: "Das Teuerste, was ich habe, ist mein alter Ehering", verrät die verschuldete Jasmin Herren. "Ich würde mich als vermögend bezeichnen", erklärt indes Graf Bernadotte von Wisborg. "Ich bin Schrotthändler und schuldenfrei", backt Manni Ludolf kleinere Brötchen und Kate Merlan beziffert ihr Jahreseinkommen auf 200.000 bis 300.000 Euro.

Es hat also jeder Teilnehmer ein ganz individuelles Verhältnis zu Geld und das zeigt sich dann auch bereits am ersten Tag, sogar schon in den ersten Minuten nach der Villa-Räumung. Denn während Promis wie Raúl Richter, Jimi Blue Ochsenknecht oder Bettie Ballhaus lieber viel verzichten wollen, um mehr Preisgeld zu erhalten, geben Gigi Birofio, Kevin Schäfer, Ronald Schill und Kate Merlan das Preisgeld mit offen Armen aus.

Hier eine Flasche Champagner, dort ein Wasser, die Pool-Nutzung für 10.000 Euro zum Angebotspreis, eine schnellere Lieferung der Klamotten für 15.000 Euro und weil Kate Merlan am nächsten Tag Geburtstag hat, gönnt sie sich neben Ronald Schill die Übernachtung im Master-Bedroom für 2.000 Euro pro Nacht und Nase. "Wenn ich etwas brauche, dann nehme ich mir das", erklärt Kevin Schäfer seine grundsätzliche Einstellung, was wiederum Bettie Ballhaus nur halb sympathisch findet: "Diese Attitüde, das ist ja fast nicht erträglich."

Gigi Birofio: "Der kotzt mich jetzt schon richtig an"

In der Tat, je mehr Geld aus der Gemeinschaftskasse in individuelle Annehmlichkeiten fliesst, desto mehr schwillt den Sparern unter den Promis der Kamm. "Es ist so egoistisch", ärgert sich Raúl Richter über die Verschwendung der Kollegen und arbeitet sich im Verlauf der ersten Folge zu einer Art Bund der Steuerzahler hoch. "Heute ist der erste Tag", versucht Patricia Blanco Richter zu beschwichtigen, als der sich in Rage redet. "Meinst du, es wird besser?", kontert Richter und ahnt, dass die Büchse der Pandora längst geöffnet wurde.

Und je mehr die Kollegen ausgeben, desto wütender wird Richter und je wütender Richter wird, desto mehr Feinde macht er sich: "Der kotzt mich jetzt schon richtig an", sieht sich Gigi Birofio durch Richter in seiner Hemmungslosigkeit behindert.

Doch diese Zweiteilung der Promis in Sparer und Verprasser ist nur eine scheinbare, es gibt auch Graubereiche. Was tun, wenn man den Pool nicht wollte, aber darin zu plantschen schon gut ist? Und was, wenn man das Preisgeld vielleicht schon gerne hätte, das ganze Luxus-Gehabe aber zum eigenen Image gehört? Wann schliesst sich der erste Sparer, den Egoisten an, wann der erste Egoist den Sparern? Und kommt doch noch irgendwer auf die Idee, zu fragen: Was können wir denn tun, damit es beiden Seiten hier gut geht?

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Das aber wäre gegen das Konzept der Show, die sogar noch einen drauf setzt. Denn jeder Promi erarbeitet sich ein individuelles Kopfgeld. Für diese Summe kann man per Abstimmung den jeweiligen Kollegen aus der Show kaufen, der Preis wird dann von der Gewinnsumme abgezogen. Theoretisch wäre es klug, jemanden zu wählen, der nur ein geringes oder gar kein Kopfgeld besitzt, erklärt Verona Pooth die Regel, übersieht dabei aber, dass es sich am Ende rechnen könnte, jemanden zu nehmen, der zwar etwas kostet, aber noch mehr Geld verprasst.

Richter gegen Ex-Richter

Aber das sind Feinheiten, am Ende läuft es auf ein Duell der beiden "Geld-Pole" hinaus. Ex-Richter Ronald Schill, der Kopf der Verschwender, gegen Raúl Richter, den Anführer der Sparfüchse. Doch weil am Ende beide gleich viel Stimmen bekommen, entscheidet Verona Pooth per Dekret, dass sowohl Richter als auch Schill bleiben dürfen. Der Konflikt zwischen beiden Seiten bleibt also, hinzu kommen nun noch die Animositäten aus der Abstimmung.

Die "Villa der Versuchung", das ist nicht die Neuerfindung des Trash-TVs, sicher nicht. Aber die Show schafft es, dem ganzen Genre doch tatsächlich noch einmal einen neuen Impuls zu geben, indem sie während des Strebens der Promis nach Aufmerksamkeit und Geld den kleinen Finger zu Gunsten des Geldes auf die Waage legt. Im schlechtesten Fall sieht man da Jasmin Herren vor Wut über die hedonistischen Kollegen weinen: "Ich habe 400.000 Euro Schulden, die ich nicht verursacht habe", wütet Herren und erklärt: "Willy Herren hat sie verursacht."

Im besten Fall aber kann man sich das Ganze mit Popcorn auf dem Sofa ansehen und überlegen, was man selbst machen würde. Und je nachdem, in welchem Team man spielt, bekommt man Gänsehaut, wenn Raúl Richter "sparen" ruft oder wenn Gigi Birofio eine Flasche Sprudel für 50 Euro kauft, während nebenan der kostenlose Wasserspender steht. Wie lange diese Gänsehaut anhält, hängt allerdings davon ab, wie lange das Geld noch reicht. Bleibt es beim bisherigen Verbrauch, reicht es nur für eine kleine Gänsehaut. Denn von den 250.000 Euro Preisgeld haben die Promis an nur einem Tag schon reichlich genascht. Über 60.000 Euro, um genau zu sein.

"Villa der Versuchung": Seit dem 7. Juli immer montags um 20:15 Uhr bei Sat.1 oder bei Joyn im Stream.