Weil das junge Publikum vermeintlich Trash-TV liebt, versucht sich jetzt auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen daran. Das Ergebnis ist noch langweiliger als befürchtet.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Felix Reek dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die ARD hat ein Problem. Die jungen Zuschauer sind nicht da, wo der Sender ist. Lineares Fernsehen ist für sie ein seltsames Konstrukt. Warum sollte jemand eine Sendung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt schauen wollen und nicht, wann es ihm passt? Also wird das Stammpublikum des öffentlich-rechtlichen Senders immer älter, und die Jungen schauen Netflix, Prime Video oder YouTube. Aus diesem Grund versucht die ARD immer stärker, Formate für ihre Mediathek zu produzieren. Denn wenn die nachfolgende Generation nichts interessiert, was die Rundfunkanstalten produzieren, ist es schwierig zu begründen, warum sie dafür einen Beitrag bezahlen soll.

Eines der Ergebnisse davon ist, dass die ARD jetzt auch Reality-TV produziert. "Werwölfe - das Spiel von List und Täuschung" heisst das Format, dessen erste zwei Folgen am 6. Oktober in der ARD ausgestrahlt werden (danach nur noch im BR) und bereits jetzt in der Mediathek zu sehen sind. Wer hier allerdings einen öffentlich-rechtlichen Dreh erwartet, der dem Reality-TV-Genre etwas Neues abgewinnen kann, wird enttäuscht. Die Machart ist identisch mit jeder anderen Sendung, die auch auf ProSieben oder RTL laufen könnte.

Folge eins von "Werwölfe – das Spiel von List und Täuschung" beginnt mit einem Sprecher, der ein wenig nach SWR-Naturdoku klingt. Die Protagonisten tun das, was in diesen Formaten erwartet wird: Sie schlagen die Hände vors Gesicht, sie heulen, sie rufen "Scheisse". Dazu läuft dramatische Musik.

"Strategie, Scharfsinn und Überzeugungskraft" machen nicht zwangsläufig gutes Fernsehen

Die Sendung basiert auf einem französischen Format von Canal+ und dem Gesellschaftsspiel "Die Werwölfe von Düsterwald". Die Erklärung dazu klingt ein wenig wie Kindergeburtstag: 13 Kandidatinnen und Kandidaten leben in Häuschen im Wald. Drei von ihnen werden zu Werwölfen ernannt, die die anderen fressen wollen. Auf wen das zutrifft, erfahren die normalen Bewohner nicht. In der Nacht treffen sich die Werwölfe und beschliessen, wer von den anderen ausscheiden muss. Die wiederum rätseln, wer die Werwölfe sind. Wer am Ende übrig ist, gewinnt 25.000 Euro.

Gefragt sind "Strategie, Scharfsinn und Überzeugungskraft", sagt der Sprecher. Qualitäten, für die Reality-TV nicht gerade bekannt ist. Das führt zu einem eher ungewöhnlichen Casting: Eine Schach-Grossmeisterin ist dabei, eine Mathematikerin, ein Cybersecurity-Spezialist, ein Mentalist, ein Psychologe. Dazu gesellen sich ein Rapper, ein Influencer und eine E-Sportlerin – eine für ein solches Format ungewöhnliche Mischung. Doch das allein macht die Sendung nicht weniger verkrampft.

Zu viele Regeln für zu wenig Action

In den ersten zwei Folgen ist "Werwölfe" vor allem damit beschäftigt, die Regeln zu erklären. Immer wieder. Wie öde das sein kann, zeigt die erste Nominierung in der Nacht. Da stehen die drei Werwölfe mit langen Mänteln, als versammelten sie sich zu einer schwarzen Messe, und beratschlagen, wer am nächsten Morgen das Camp verlassen muss. Zwei von ihnen werden nicht gezeigt, ihre Stimmen verfremdet wie einst hinter der Schattenwand in den Nachmittagstalkshows. Dazu wackelt das Bild, als wäre dem Kameramann ein Wiesel in den Hemdkragen gekrochen.

Am nächsten Morgen dann die grosse Offenbarung, wessen Tür sich öffnet und wessen nicht. Einer nach dem anderen kommen die Kandidaten auf dem Dorfplatz zusammen. Als Erstes trifft es, wenig überraschend, die Schach-Grossmeisterin. Das war wohl zu viel garantierte Gehirnleistung für den Rest der Truppe. Der sitzt in der Mitte zwischen den Häuschen und freut sich, dass es ihn nicht erwischt hat.

Parallel dazu gehen die Diskussionen los, wer ein Werwolf sein könnte und wer nicht. Zu diesem Zeitpunkt dürfte das die wenigsten Zuschauer noch interessieren. Das Dauergerede kennen Reality-TV-Profis aus dem "Dschungelcamp". Da wird aber wenigstens zwischendurch ein Teilnehmer in die Kakerlaken-Grube geworfen. Die ARD-Show hingegen setzt lieber auf Verdächtigung und Spekulation – und ständiges Erklären der Spielregeln.

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Verpasste Chance, dem Genre etwas Neues abzugewinnen

Das ist ein nobler Versuch, sich von den krawalligen Formaten des Privatfernsehens abzusetzen. Nur die Ausführung ist leider schnarchlangweilig. Die ARD verpasst die Chance, dem Reality-TV etwas Neues abzugewinnen. Vielleicht etwas mehr in die Tiefe zu gehen, ein System hinter den dem Spiel zugrunde liegenden Mechanismen aufzudecken. Warum verhalten sich Menschen so, wie sie sich verhalten? Wie reagieren wir auf Lüge und Täuschung? Wie sicher sind Allianzen unter Druck? Stattdessen präsentiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine zahnlose Variante des Reality-TVs, die vor allem dem eigenen Stammpublikum gefallen könnte. Aber genau die hat man sowieso schon. Und die Jungen, die man gewinnen will, erreicht man damit erst recht nicht.