Sie war die erste ihrer Art. Ende der 1990er-Jahre verurteilte Barbara Salesch zum ersten Mal Laiendarsteller in einer deutschen Reality-Gerichtsshow. Nach einer zehnjährigen Pause wechselte die TV-Richterin zu RTL. Dort bekam sie am Dienstagabend nun "den grössten Fall ihres Lebens". Zumindest aber den aufwendigsten.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Ich entscheide auch in meinem privaten Umfeld gern durch. Ich höre mir zwar immer eine Gegenmeinung an – rechtliches Gehör zu gewähren, ist für mich ein sehr wichtiger Grundsatz. Aber wenn nicht rasch eine fundierte Gegenrede kommt, warte ich auch nicht lange ab", erzählte die bekannte TV-Richterin Barbara Salesch vor wenigen Tagen der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Lange Bedenkzeiten seien nicht ihr Fall.

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Die Gelegenheit, "rechtliches Gehör zu gewähren" hatte Barbara Salesch am Dienstagabend, nur mit dem Nicht-lange-Abwarten wurde es dabei nichts. Stattdessen musste sich Salesch wiederholt Gegenreden, auch nicht fundierte, anhören und sich Bedenkzeiten gönnen. Kein Wunder, könnte man meinen, schliesslich versprach RTL im Titel der zweistündigen Reality-Krimi-Soap den "grössten Fall ihres Lebens".

Wer ermordete Sabrina Winkler?

Und darum ging es: Vor Gericht steht der 45-jährige Kammerjäger Marco Koch. Er soll im Juli 2016 die damals 32-jährige und verheiratete Sabrina Winkler über eine Dating-Plattform kennengelernt haben. Die beiden sollen sich einmal in Kochs Wohnung getroffen und Sex miteinander gehabt, danach noch einmal telefoniert haben. Am 31. Juli soll Sabrina Winkler mit einer Reisetasche das Haus verlassen haben, danach sei sie nicht mehr gesehen worden.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte Winkler in einen Nachkriegsbunker unterhalb eines einsamen und verfallenen Hauses nahe dem Rhein bei Bonn gebracht habe. Dort soll er sie angekettet und gefangen gehalten, sie ausserdem misshandelt haben. Gleichzeitig soll der Angeklagte Spuren gelegt haben, die darauf hindeuten, dass Winkler ihren Mann verlassen und sich nach Portugal abgesetzt habe.

Nun wurde im November 2024 die Leiche von Sabrina Winkler im Rhein entdeckt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der inzwischen 40-Jährigen ein paar Tage zuvor die Flucht aus dem Bunker gelungen ist. Der Angeklagte habe das jedoch bemerkt, sich einen Stein gegriffen, die Frau eingeholt und weil ihm die Gefahr der Entdeckung zu gross gewesen sei, mit dem Stein erschlagen. Daraufhin habe er die Leiche in den Rhein gezogen. Der Staatsanwalt klagt ihn nun wegen Mordes und Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Körperverletzung an.

Grösster Fall ihres Lebens?

Das klingt erst einmal alles wie die Strafsachen, die Barbara Salesch auch sonst so im Fernsehen verhandelt, seit sie 1999 zum ersten Mal vom Richterinnenstuhl in die deutschen Wohnzimmer blickte. Sie habe damals als Richterin, mit 49 Jahren, bereits sehr früh alles erreicht und wollte mal etwas Neues ausprobieren, erklärte Salesch vor kurzem in einem n-tv-Interview. Bis 2012 verhandelte sie bei Sat.1 echte und fiktive Kriminalfälle in einem Studio-Gerichtssaal, dann war Schluss. Zumindest erst einmal.

Denn 2022 juckte es Salesch noch einmal in den Fingern und sie kehrte zurück auf den TV-Richterinnen-Stuhl. Der steht diesmal allerdings in einem RTL-Studio und von dort aus verhandelt Salesch wieder fiktive Fälle, nun unter dem Namen "Barbara Salesch – Das Strafgericht". Nun hat RTL am Dienstagabend die sonst einstündige Nachmittagsgerichtsshow zu einem zweistündigen Spielfilm aufgebohrt, eben zum "grössten Fall ihres Lebens".

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Warum ausgerechnet "Die Tote im Rhein" Saleschs "grösster Fall" sein soll, das verrät der Film allerdings nicht. Nur spärlich sind die persönlichen Bemerkungen, die Salesch selbst in den 90 Minuten ohne Werbung, zu dem Fall fallen lässt, oft geht es nur um ihren Hund, der mal ein Brötchen isst oder Gassi gehen muss. Nein, über die Grösse des Falls kann man nur spekulieren, wahrscheinlich ist der Titel aber nur aus Marketing-Zwecken so gewählt, "Barbara Salesch – ein normal grosser Fall ihres Lebens" zieht eben nicht so.

Aufwendiger als sonst

Was man aber definitiv sagen kann, dass dieser Fall aus Produktionssicht grösser ist, als andere Fälle. Hier wird eben nicht am Nachmittag verhandelt, sondern in der Primetime und das auch noch doppelt so lange. Grösser ist auch der Aufwand, der betrieben wurde. Es gibt neben den Szenen im Gerichtssaal, zahlreiche Aussenszenen, im Gerichtsgebäude und auch davor. Auch drei kurze Taxifahrten mit der Richterin hat man sich gegönnt, die laut Salesch acht Stunden Drehzeit gekostet hätten, wie sie im Interview mit n-tv.de verrät.

Ein Aufwand, der auch für die Richterin neu gewesen sei, vor allem die vielen Wiederholungen aus verschiedenen Perspektive, bei denen sie immer wieder das Gleiche habe machen müssen, seien für sie schwierig gewesen. Gleichzeitig bringt diese neue, doppelte Länge auch doppelt so grossen Inhalt mit. Neben Staatsanwalt und Verteidigung tauchen da noch zwei Nebenkläger mit Verteidigern auf, ebenso die ermittelnde Kommissarin, Zeugen, ein Rechtsmediziner und ein psychiatrischer Sachverständiger.

Ausserdem nimmt man sich die erweiterte Zeit dafür, eine Journalistin in den Fall einzubauen, die entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Verhandlung nimmt. Durch dieses Mehr an Protagonisten gibt es dann auch ein mehr an Irrungen und Wendungen, die Saleschs Wunsch auf kurze Wartezeiten und ihrem Drang "durch zu entscheiden" entgegenlaufen dürften. Das Gleiche gilt dann auch für die Art und Weise, wie hier argumentiert wird.

Krimi statt Gerichtsshow

Denn von fundierter Gegenrede, die sich Salesch ja wünscht, ist bisweilen keine Spur. Stattdessen gehen sich Anklage, Nebenklage und Verteidigung häufig doch recht persönlich an: "Jedes Ehepaar streitet sich mal", verteidigt da zum Beispiel der Anwalt der Nebenklage seinen Mandanten, ehe die Verteidigung zurückschiesst: "Also wenn Sie sich zu Hause mit Ihrer Frau auch so streiten, ja dann sollten Sie sich Hilfe holen."

Auch, wenn Salesch im n-tv-Interview erklärt, dass die Fälle in ihrer Show sehr nah an der Realität seien und sie darauf auch beim Überarbeiten der Drehbücher achte, dürften solche privaten Anfeindungen unter den Anwälten in der Realität doch eher die Ausnahme sein, genauso wie die spontanen Wendungen, die immer wieder den Fall auf den Kopf zu stellen scheinen. Denn normalerweise sind die Ermittlungen ja vor einem Prozess abgeschlossen, tauchen nicht plötzlich neue Beweise aus dem Nichts auf.

Doch diesmal und auch bei ihren regulären Nachmittagsfällen verschwimmen Ermittlungen und Rechtsprechung, wird eine Gerichtsshow zu einem Krimi. Ist das schlimm? Natürlich nicht, man muss es nur wissen. Aber das sollte man, schliesslich sitzt Barbara Salesch ja nun schon lange genug auf ihrem TV-Richterinnen-Stuhl und wird es wohl auch noch ein Weilchen.

Verwendete Quellen

Teaserbild: © RTL