Europa gilt als Vorbild beim Klima- und Umweltschutz – doch ein neuer Bericht zeigt, wie dramatisch die Lage tatsächlich ist. Trotz Fortschritten bei Emissionen und Erneuerbaren verschärfen sich Artensterben, Wasserknappheit und Klimafolgen. Die EU-Umweltagentur warnt: Der Druck auf Natur, Wirtschaft und Lebensqualität wächst.
Trotz grosser Fortschritte im Kampf gegen hohe Emissionen und Luftverschmutzung steht es um die Umwelt in Europa insgesamt nicht gut. Zu dieser Einschätzung kommt die Europäische Umweltagentur (EEA) in einem neuen Bericht. Die europäische Natur müsse unter anderem mit zunehmend schlechteren Umweltbedingungen, Überbeanspruchung und Artensterben fertig werden, warnt die in Kopenhagen ansässige EU-Behörde. Eine weitere grosse Herausforderung seien die Folgen des zunehmenden Klimawandels.
Dem Bericht zufolge sind die Aussichten für die Umwelt in vielerlei Hinsicht besorgniserregend. Dies bringe auch grosse Gefahren für den wirtschaftlichen Wohlstand, die Sicherheit und den Lebensstandard in Europa mit sich. Die Umsetzung von bereits vereinbarten Richtlinien und Massnahmen müsse daher dringend beschleunigt werden.
"Wir können es uns nicht leisten, unsere Ambitionen bei Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zu senken."
Umweltschutz: eine Investition in die Wettbewerbsfähigkeit
Jüngste Extremwetterereignisse hätten gezeigt, wie anfällig Wohlstand und Sicherheit seien, wenn die Natur zerstört werde und sich die Klimawandelfolgen verstärkten, erklärte die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Teresa Ribera. Der Schutz der Natur sei daher kein Kostenpunkt, sondern eine Investition in Wettbewerbsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und Wohlbefinden der Bürger.
"Wir können es uns nicht leisten, unsere Ambitionen bei Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit zu senken", forderte die EEA-Exekutivdirektorin Leena Ylä-Mononen. Der Umweltbericht zeige deutlich auf, warum man handeln müsse.
EU ist Vorreiter beim Klima- und Umweltschutz
Der Bericht ist die europaweit umfassendste Analyse zur aktuellen Lage von Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit in der Region. Er fusst auf Daten aus 38 Staaten aus der EU und darüber hinaus und wird von der EEA nur alle fünf Jahre veröffentlicht. Auch umfassende Daten aus Deutschland sind in den Bericht eingeflossen.
Die Autoren machen kein Geheimnis daraus, dass die Europäische Union ein globaler Vorreiter in Sachen Klimaschutz ist. Die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen seien in der EU vor allem dank der Verringerung des Gebrauchs von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas seit 1990 um 37 Prozent zurückgegangen, während sich der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung seit 2005 verdoppelt habe.
Gut voran sei es ausserdem bei der Verbesserung der Luftqualität, beim Recyceln von Müll und der Ressourceneffizienz gegangen. Weitere Fortschritte auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, darunter etwa Innovationen und Jobs in grünen Branchen, geben demnach ebenfalls Grund zur Hoffnung.
Die Probleme der EU: Artenvielfalt, Wasserressourcen, Erhitzung
Das ist die positive Seite der Medaille. Zugleich ringt Europa mit einer ganzen Reihe an komplexen Umweltproblemen, wie der Bericht auflistet: Die Artenvielfalt ist sowohl an Land als auch im Wasser auf dem Rückzug, weil unnachhaltige Produktions- und Konsummuster vor allem im Ernährungssystem ihr zu schaffen machen. Gleichzeitig stehen die Wasserressourcen kräftig unter Druck – vor allem, aber nicht nur, in Südeuropa.
"Mit jeder totgedüngten Wiese, jedem sterbenden Wald und jedem ausgetrockneten Fluss verlieren wir nicht nur ein Stück Natur, sondern auch das Fundament unserer Ernährungssicherheit."
Auch die Mobilität wird im Bericht – neben der Landwirtschaft – als Sorgenkind betrachtet. Der Verkehrssektor sei noch immer stark von fossilen Brennstoffen abhängig, moniert die EEA.
Europa ist zudem der Kontinent, der sich im Zuge der Klimakrise am schnellsten aufheizt – dem Bericht zufolge zweimal so schnell wie der globale Durchschnitt. "Das Klima verändert sich in einem alarmierenden Tempo, was Sicherheit, die öffentliche Gesundheit, Ökosysteme, Infrastruktur und die Wirtschaft bedroht", wird in dem Bericht gewarnt.
Angesichts dieser Herausforderungen müsse ein Umdenken beim Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Umwelt stattfinden. Nur durch die Wiederherstellung der natürlichen Umwelt werde es Europa möglich sein, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft aufrechtzuerhalten – und mit ihr eine hohe Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger.
Verlust der Artenvielfalt bedroht Lebensgrundlagen
"Europa erlebt ein stilles Massensterben und damit eine der grössten Bedrohungen für unsere Wirtschaft, unsere Heimat und unsere Sicherheit", erklärte die umweltpolitische Sprecherin der Europafraktion der Grünen, Jutta Paulus. Allein in Deutschland sei bereits jede vierte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht. "Mit jeder totgedüngten Wiese, jedem sterbenden Wald und jedem ausgetrockneten Fluss verlieren wir nicht nur ein Stück Natur, sondern auch das Fundament unserer Ernährungssicherheit", so Paulus.
Intakte Ökosysteme bezeichnete sie als "unsere Überlebensversicherung". Sie lieferten saubere Luft, trinkbares Wasser und fruchtbare Böden. "Wer Arten schützt, sichert mit der Vielfalt der Natur auch unser Überleben", betonte die Europaabgeordnete.
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EEA: Aktuelle Fortschritte sind nicht genug
Deutschland habe seine Klima- und Umweltschutzbemühungen intensiviert, heisst es im entsprechenden EEA-Länderprofil. Besonderes Augenmerk werde in der Bundesrepublik auf erneuerbare Energien und die Artenvielfalt gelegt. Trotz Fortschritten bei der ökologischen Landwirtschaft und beim Schutz natürlicher Gebiete setze sich der Artenverlust aber weiter fort. Und trotz der Tatsache, dass sich die Energiewende beschleunige, werde im Verkehr und beim Heizen nach wie vor zu stark auf fossile Brennstoffe gesetzt.
Dank des Deutschlandtickets nutzten die Bundesbürger zwar häufiger öffentliche Verkehrsmittel. "Echte Veränderung braucht aber bessere Infrastruktur", heisst es. (dpa/bearbeitet von sav)