Der Kiebitz mag es gerne nass und luftig. Früher war er aus Wiesen und Weiden kaum wegzudenken, heute ist er selten geworden. Blick auf den Botschafter eines unterschätzten Lebensraums.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als ich das Geräusch das erste Mal hörte, dachte ich: Das kann nicht aus der Natur kommen. Es klang eher mechanisch, knisternd, quietschend. Aber dann war in der Ferne über der saftig grünen Frühlingswiese ein Flattern zu erkennen. Ein Körper mit breiten, schwarz-weissen Flügeln, der sich erst nach oben schraubte und dann im Sturzflug fast den Boden berührte.

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Er klingt wie ein Funkgerät, fliegt wie ein Schmetterling und sieht aus, als habe er sich eine lange Feder an den Kopf gesteckt: Der Kiebitz ist im wahrsten Wortsinn ein komischer Vogel. Eigentlich ist die Art aus unserer landwirtschaftlich geprägten Feld- und Wiesenlandschaft nicht wegzudenken. Doch leider ist er aus vielen Gegenden inzwischen verschwunden.

Früher war sein seltsamer Balzflug ein häufiges Frühlingsschauspiel. Heute muss man ihn suchen – und darf sich glücklich schätzen, wenn man sich das quietschende Geflatter noch anschauen kann.

Zum Nachhören

Kiebitz
Schauspiel im Frühling: Ein Kiebitz-Paar beim Balzflug. © picture alliance / blickwinkel/M. Woike

Wer Vögel beobachten will, geht in den Wald. Das ist einerseits richtig und doch nur ein kleiner Teil der Wahrheit. Denn viele Arten lassen sich besonders zu dieser Jahreszeit auf Wiesen und in Hecken beobachten – und wenn man ehrlich ist: Das sind die spannenderen Vögel, wenn man Meisen, Amseln und Buchfinken im Winter schon zur Genüge gesehen hat.

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Für den Kiebitz sind landwirtschaftlich genutzte Flächen Rettung und Verhängnis zugleich. Er braucht die offene Landschaft, lebte früher in Mooren und an Gewässerrändern. Doch als der Mensch Moore mehr und mehr trockenlegte und für seine Zwecke nutzte, fand der schwarz-weisse Vogel mit der auffälligen Haube (Holle genannt) Ausweichquartiere: feuchte Wiesen und Weiden, auf denen er sein Nest zwischen den Halmen verstecken kann.

Das Kiebitz-Leben beginnt ungeschützt auf dem Boden – bei engagierten Eltern

Wenn man ihn in menschliche Kategorien steckt, dann ist der Kiebitz ein äusserlicher Freak mit traditionellen Werten. Ein Paar bleibt in der Regel ein Leben lang zusammen, es kehrt nach dem Winter zum Brüten stets in die Heimatregion zurück – und kümmert sich engagiert um den Nachwuchs.

Vier Eier legt das Weibchen säuberlich symmetrisch angeordnet direkt auf dem Boden ab – dort, wo sie mit ihrer braun-schwarz-gefleckten Schale farblich möglichst wenig auffallen. In den ersten Lebenswochen sind die Küken flugunfähig und wehrlos. Die Eltern verteidigen sie energisch gegen Greifvögel und andere Feinde – und "hudern" sie, damit sie nicht auskühlen. Das heisst: Sie breiten die Flügel schützend über den Küken aus. Es gibt schlechtere Kinderstuben als im Hause Kiebitz.

In den ersten Lebenswochen läuft ein Kiebitzküken schutzlos über Wiesen. Zum Glück sind die Eltern in der Nähe. © picture alliance / imageBROKER/Alfred & Annaliese Trunk

Kiebitze: Ein dramatischer Rückgang

Sie ahnen es vielleicht schon. Es kommt ein "Aber". Von wenigen Vogelarten sind die Bestände in den vergangenen Jahrzehnten so stark eingebrochen wie vom Kiebitz. Dem Naturschutzbund zufolge gab es 1980 in Deutschland noch rund 750.000 Brutpaare. Aktuell sind es höchstens 67.000. Ein Einbruch um mehr als 90 Prozent.

Im Alpenraum verlief die Entwicklung ähnlich. In Österreich schätzt die Organisation "Bird Life" den aktuellen Bestand auf 3.800 bis 6.900 Brutpaare. In der Schweiz ist der Kiebitz mit nur noch rund 200 Paaren eine noch grössere Rarität.

Die menschliche Landwirtschaft hat ihm wie erwähnt zwar neuen Lebensraum geschaffen. Doch wenn massenhaft Pestizide zum Einsatz kommen, zerstört das seine Lebensgrundlage. Ausserdem hat er es gerne feucht, im nassen Boden sucht er nach Würmern, Larven und Insekten. Zurückhaltend genutzte Feuchtwiesen haben inzwischen aber vielerorts Monokulturen Platz gemacht.

Hinzu kommt: Wenn Wiesen und Weiden schon im Frühjahr gemäht werden, werden Gelege zerstört oder Küken getötet: Gegen einen Mähdrescher können auch ein noch so energische Kiebitz-Eltern nichts ausrichten.

Der komische Vogel ist deshalb auch ein Botschafter für einen wertvollen Lebensraum. Viele Arten, die auf Feldern und Wiesen leben – wie Feldlerche, Uferschnepfe, Brachvogel und Braunkehlchen –, kämpfen heute mit grösseren Problemen als die Waldvögel. Wer die Natur schützen will, sollte daher nicht nur Bäume pflanzen, sondern sich auch für Wiesen und Weiden einsetzen, auf denen die engagierten Kiebitz-Eltern ihre Jungen durchbringen können.

Verwendete Quellen