Der Zilpzalp ist leicht zu übersehen, aber kaum zu überhören – und leicht zu bestimmen. Denn er singt seinen Namen. Blick auf einen kleinen braunen Vogel mit einem kurzen, aber intensiven Leben.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In der Natur ist es stiller geworden. Ich war vor Kurzem im Teutoburger Wald unterwegs – zu hören waren nur das Rauschen der entfernten Strasse und das Knirschen der Steine unter meinen Schuhen. Die Ruhe des Hochsommers kann entspannend wirken. Aber mir fehlt dabei irgendwie etwas. Sie ahnen es vielleicht.

Viele Vögel haben ihr eigentliches Brutgeschäft inzwischen abgeschlossen. Die Eltern sind dabei, ihren Nachwuchs auf das Erwachsenenleben vorzubereiten. Deswegen ist der Gesang weniger geworden, mit dem die Männchen ihr Revier markieren. Aber ab und zu flötet doch noch eine Amsel den Abend herbei – oder ein kleiner brauner Vogel singt versteckt hinter Zweigen und Blättern ein letztes Mal für dieses Jahr sein unverwechselbares Lied: ZILP-zalp-zelp-zilp-ZALP-zelp.

Eine fleissige Nervensäge

Der Zilpzalp heisst, wie er singt. Die Briten nennen ihn "Chiffchaff", die Niederländer "Tjiftjaf". "Studentenvogel" wird er offenbar auch genannt. Weil sein Gesang so einprägsam ist, dass ihn auch Biologie-Studierende im ersten Semester erkennen. Zugegeben: Es gibt begabtere Sänger in der Vogelwelt. Im "Vogel-Album", das der Naturfreund Karl Wenzel 1950 für seine Enkeltochter schrieb, hat er über den Zilpzalp festgehalten: "Was dem Sänger an Kunstfertigkeit abgeht, ersetzt er durch Fleiss." Das trifft es ganz gut.

Eine Kollegin hat vor Kurzem erzählt, sie habe ein "sehr motiviertes Exemplar im Garten". Es sass in den vergangenen Monaten auf einer toten Birke vor dem Fenster und zilpzalpte schon morgens um fünf Uhr eifrig vor sich hin. Ihren Lebensgefährten habe das wahnsinnig gemacht, erzählte die Kollegin. Sie selbst finde es eher faszinierend, wie ein so kleiner Vogel eine so laute Stimme haben kann.

Achtung, Verwechslungsgefahr

Der Zilpzalp ist fast überall zu finden, wo es Bäume und Büsche gibt. In Laubwäldern, Parks und Gärten, vom Gebirge bis in die Stadt. Doch so leicht er auch zu hören und zu bestimmen ist: Ihn zu Gesicht zu bekommen, ist deutlich schwieriger. Er misst von Schnabel bis Schwanzspitze gerade einmal zwölf Zentimeter und verschwindet mit seinem unauffälligen braunen Gefieder meistens im Blätterwald.

Der Fitis sieht dem Zilpzalp zum Verwechseln ähnlich. © IMAGO/Agami/Menno van Duijn

Und dann ähnelt er auch noch seiner Schwesterart: Der Fitis sieht fast identisch aus, hat nur hellere Beine und wirkt im Ganzen etwas gelblicher – aber insgesamt ist er kaum vom Zilpzalp zu unterscheiden. Nur beim Gesang sind sich die beiden kleinen Vögel aus der Familie der Laubsänger völlig uneins: Der Fitis flötet eine melancholische Tonreihe in Moll. Wer aufpasst, hört sie manchmal als eingespieltes Hintergrundgeräusch in Filmen und Serien – selbst in Jahreszeiten, in denen der Fitis gar nicht mehr singt.

Zum Nachhören

  • Die Gesänge von Zilpzalp und Fitis in der Vogelstimmen-Datenbank.

Das Nest ist ein unordentliches Kunstwerk

Aber zurück zum Zilpzalp: Wenn er nicht gerade singt, ist er eigentlich immer beschäftigt. Hüpft durchs Geäst, wippt mit seinem Schwanz, pickt Insekten von den Zweigen oder fängt sie im Flug. Weil er so schwer zu fangen ist, hat der Zilpzalp nicht viele Feinde – und trotzdem werden die meisten Exemplare nicht älter als zwei Jahre. Der Nachwuchs dieses Jahres wird im Herbst Richtung Süden ziehen, im nächsten März zurückkommen, eine Partnerin oder einen Partner finden und den eigenen Nachwuchs grossziehen. Und dann bricht auch schon der Lebensabend an.

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Immerhin packt der Zilpzalp ziemlich viel Aktivität in dieses kurze Leben. Er überfliegt halb Europa, stimmt schon früh im Jahr sein monotones Lied an, ist immer auf der Suche nach Insekten und hat vor allem beim Nestbau viel zu tun. Er knüpft ein etwas unordentliches und doch beeindruckendes Bauwerk zusammen: eine Kugel aus Gras und Halmen, gepolstert mit Federn. Dieses versteckt er gut getarnt in bodennahen Sträuchern oder im Brennnesseldickicht. Deshalb braucht auch ein Stadt-Zilpzalp sowohl hohe Bäume für seinen Gesang als auch dichtes Gebüsch für seine Nestkugel.

Gut versteckt im dichten Gebüsch baut der Zilpzalp sein Nest. © Imago/imagebroker

Weil Nachschub an jungen Zilpzalpen immer nötig ist, schafft der kleine braune Vogel nicht nur eine, sondern oft zwei Bruten im Jahr. Deswegen sind manche Paare auch im August noch mit der Aufzucht der zweiten Brut beschäftigt. Spätestens im Oktober beginnt dann der Zug ins Winterquartier am Mittelmeer, am Persischen Golf oder in Afrika. Spätestens dann ist auch kein Zilp-zalp-zelp mehr zu hören. Aber im nächsten März kann man sich dann wieder freuen: auf den etwas einfältigen, aber stets sehr bemühten Frühlingsboten.

Verwendete Quelle

  • Karl Wenzel: Das Vogel-Album, Favoritenpresse