Künstliche Intelligenz macht unbemannte Fluggeräte schneller, gefährlicher – und immer weniger steuerbar. In der Ukraine schreitet die Entwicklung zielstrebig voran. "Aktuell gibt es nichts, was eine Rüstungsspirale verhindert", sagt ein Experte.

Die Drohne nähert sich dem Bomber, steuert selbständig eine Tragfläche an – eine Schwachstelle – und detoniert. Dieses Szenario spielte sich laut Analysen der Denkfabrik "Center for Strategic and International Studies" im Juni 2025 bei der Operation "Spinnennetz" ab: einem ukrainischen Angriff auf russische Militärflughäfen, teils Tausende Kilometer im Landesinneren. Eine Fernsteuerung war so tief in Russland nicht möglich – stattdessen übernahm künstliche Intelligenz die hochpräzisen Schläge.

Der Krieg in der Ukraine sei längst ein "Techkrieg", sagte Mykhailo Fedorov, stellvertretender Premierminister der Ukraine, im Mai dem britischen "Guardian". Was einst nach Science-Fiction klang – Drohnenkriege oder autonome Killerroboter mit Schwarmintelligenz – wird im Ukrainekrieg Realität. "Wir streben nach voller Autonomie", sagte Fedorov. Drohnen sollen ohne menschliche Steuerung Ziele finden und zerstören – also auch Soldaten töten.

Täglich greift Russland die Ukraine mit Hunderten Drohnen an, die auch Zivilisten töten. Russland produziere jährlich zwei Millionen kleiner taktischer Drohnen, erklärte ein Sprecher des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes dem Magazin "Politico". Die Ukraine übertreffe das mit 2,5 Millionen. In der Ukraine verändert sich das Gesicht moderner Kriegsführung rasant.

Günstig und effektiv – Drohnen sind für Militärs attraktiv

Unbemannte Fluggeräte gehören zwar seit dem Ersten Weltkrieg zum Waffenarsenal, brachten ferngesteuert und mit geringer Reichweite aber kaum entscheidende Vorteile gegenüber klassischen Waffensystemen wie Panzern. "Auf dem Gefechtsfeld setzt sich durch, was am schnellsten seine Wirkung im Ziel erreicht", erklärt Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr München, der das Zusammenspiel von Sicherheit und Technik erforscht. Kaum etwas kann theoretisch schneller und effektiver zuschlagen als ein intelligenter Drohnenschwarm, der seine Ziele von selbst findet. In der Ukraine ist es noch nicht so weit, doch die Entwicklung geht in diese Richtung.

Für Armeen attraktiv sind Drohnen schon wegen ihres Preises. Eine Baumarktdrohne, bestückt mit Batterie, Kamera, Sender und Sprengkopf kostet rund 500 Euro. Soldaten lenken sie etwa auf verwundbare Teile von gegnerischen Panzern, zum Beispiel den Motor, und können so Millionen Euro teures Gerät zerstören.

Russland erlebte schon 2018, wie gefährlich Drohnen sein können, als 13 ferngesteuerte Miniflugzeuge zwei russische Militärbasen in Syrien angriffen. Seither nimmt das Land Drohnen sehr ernst und weiss, wie sie sich abwehren lassen – etwa mit Sendern, die GPS und Funkverbindung stören.

KI-Steuerung macht Drohnen weniger störanfällig

Die Kriegsparteien in der Ukraine reagieren auf die elektronische Kriegsführung mit Drohnen, die über eine Glasfaserverbindung gesteuert werden. Der Pilot trägt eine VR-Brille mit Livebild aus Drohnenperspektive. Doch diese Technik hat laut "Defense Express" mehrere Nachteile: Glasfasern sind relativ teuer, verursachen zusätzliches Gewicht, können reissen und schränken die Manövrierbarkeit der Drohne ein, ausserdem ist ihre Reichweite auf etwa zehn Kilometer begrenzt. Deutlich besser wären Drohnen, die im Gefechtsfeld ganz ohne Verbindung zum Piloten auskommen.

Möglich wird das durch KI. Software, die nach Training mit Beispieldaten bestimmte Objekte auf Bildern erkennt, ist nicht neu. Im Krieg kann sie Ziele wie Panzer, Geschütze oder uniformierte Soldaten identifizieren. Die KI-Drohne verfolgt das Objekt und führt den Angriff aus – ganz ohne menschliche Steuerung. Die Rolle des Menschen beschränkt sich darauf, legitime Ziele zu definieren, die Drohne zu starten und gegebenenfalls per "Notaus" den Angriff abzubrechen.

Im Ukrainekrieg ist das teils bereits Realität. Laut ukrainischem Geheimdienst soll die russische Drohne "V2U" einen KI-fähigen Nvidia-Chip enthalten und Ziele autonom angreifen, indem sie sich kamikazeartig in sie stürzt und explodiert.

Die Ukraine hebt die KI-Nutzung auf die nächste Stufe. Die Software des Start-ups "Strategy Force Solutions" steuert Drohnen durch unbekanntes Gelände, auch um Hindernisse herum – "wie ein Pilot", erklärt Gründer Andrii (Nachname zurückgehalten) der US-Zeitung "Forbes". Mithilfe eines optischen Radars (Lidar) erstellt die Drohne eine 3D-Karte der Umgebung. Die KI kombiniert sie mit Kamerabildern, um einen Kurs zum vorgegebenen Ziel zu berechnen.

Kampfdrohnen werden immer vielseitiger

Auch um russische Drohnen abzuwehren, nutzt die Ukraine KI. Das Münchner Start-up Tytan Technologies entwickelt Drohnen, deren KI die schnellen Shahed-Drohnen, mit denen Russland auch ukrainische Städte angreift, erkennen und verfolgen kann. Zu den Details äussert sich Max Enders von Tytan nicht. Aber der Reserveoffizier der Bundeswehr nennt einen Vorteil der KI: "Sie kann mehr Information aus einem Bild ziehen als ein Mensch." Dass ein Mensch per Fernsteuerung eine etwa 200 km/h schnelle Drohne verfolgt, die schwer auf dem Bild erkennbar ist, sei hingegen sehr schwierig, so Enders. KI erweitert also die Einsatzmöglichkeiten von Drohnen.

Innovative Sensoren und KI sollen Drohnen noch vielseitiger machen. Drohnen nutzen die "besondere Perspektive von oben", erklärt Peter Stütz von der Universität der Bundeswehr München – sie liefert viele Informationen darüber, wer oder was sich wohin bewegt. Sein Team entwickelt Sensoren, die unabhängig von Jahreszeit und Vegetation schwer erkennbare Objekte finden, etwa getarnte Minen. Dafür nutzen die Forscher "Hyperspektralsensoren", die viele Wellenlängen gleichzeitig wahrnehmen und sehr fein auflösen. Ob etwa eine Pflanze wächst, erkennt man an fein abgestufter Infrarotstrahlung, die sie reflektiert. So sucht Stütz nach "Anomalien": "Ein Fremdkörper in der Landschaft verändert die optischen Verhältnisse und lässt sich so finden."

Der nächste Schritt ist KI, die wie ein Mensch kämpfen kann. Dass KI Kampfjets steuern und komplexe Taktiken ausführen kann, zeigten im Juni Testflüge des Münchner Start-ups "Helsing" mit einem Saab-Jet über der Ostsee. Dabei griff Helsings KI-Agent "Centaur" gegnerische Jets an und wich Bedrohungen aus. Die Software analysiert kontinuierlich Sensordaten und trifft Entscheidungen auf Basis eines Trainings mit Daten aus "virtueller Luftkampferfahrung", erklärt Helsing.

Intelligent wie ein Vogelschwarm

Die grösste Wirkung hätten intelligente Drohnenschwärme. Russland greift die Ukraine zwar bereits mit vielen Drohnen gleichzeitig an, um die Flugabwehr zu überfordern, doch diese koordinieren sich nicht und bilden keinen echten Schwarm. Unter "Schwarmintelligenz" versteht die Forschung laut Jens Hälterlein von der Universität Paderborn ein Verhalten wie bei Vogel- oder Fischschwärmen: Jedes Tier folgt einfachen Regeln, doch der Schwarm reagiert als Ganzes intelligent, etwa indem er einem Räuber ausweicht. "Ähnlich könnten auch Drohnenschwärme flexibel und kreativ auf Gefahren reagieren", sagt Hälterlein. Der Verlust einzelner Drohnen würde das nicht stören.

Solche Schwärme gibt es bislang nur in Ansätzen. Im Forschungsprojekt "Offset" etwa testete das US-Verteidigungsministerium (zu sehen bei DARPAtv auf YouTube), wie ein Drohnenschwarm militärisch interessante Ziele in einer städtischen Umgebung ausmachen kann.

Was einen wirklich intelligenten Drohnenschwarm militärisch interessant macht, wäre seine Autonomie. Die KI kann sehr schnell agieren, der Gegner wäre durch Zahl und Tempo der Drohnen überwältigt. Solche Schwärme würden Kriege stark verändern, und keine Armee könnte auf diese Technologie verzichten. "Aktuell gibt es nichts, was eine Rüstungsspirale verhindert", sagt Frank Sauer. "Die internationalen Rüstungskontrollgespräche dazu treten seit Jahren auf der Stelle", klagt er.

"Die Drohne von heute kann morgen schon überholt sein."

Frank Sauer

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Allerdings widerspricht Sauer der Vorstellung, dass in zukünftigen Gefechten nur Drohnen gegen Drohnen kämpfen. "Es gibt nie den einen Faktor für militärische Überlegenheit", sagt er. Herkömmliche Waffengattungen wie Artillerie bleiben wichtig. "Entscheidend für militärische Effektivität ist das Zusammenspiel von Systemen", so Sauer. Drohnen können durch Gegenmassnahmen an Wirkung verlieren, etwa durch Mikrowellen unschädlich gemacht werden. "Die Drohne von heute kann morgen schon überholt sein", ergänzt er.

Zunächst aber sind es die Drohnen, die mehr Tempo in Kriege bringen und damit für Armeen attraktiv werden. Und sie werden immer autonomer; eine neue Entwicklung – mit bislang offenem Ende.

Verwendete Quellen