Immer mehr Staaten wollen Palästina als Staat anerkennen. Das soll Druck auf Israel erzeugen, das Leid im Gazastreifen zu beenden. Doch in Deutschland will man von so einer Idee nichts wissen - und steht international zunehmend alleine da.
Politik ist immer auch ein Zahlenspiel. Wer eine Massnahme umsetzen will, braucht dafür die notwendigen Mehrheiten und Mittel – oder Verbündete, wenn es um Aussenpolitik geht. Das weiss auch
In der amerikanischen Metropole kommen die Vereinten Nationen am Montag zu ihrer Generaldebatte zusammen. Angesichts der Militäroffensive in Gaza und der katastrophalen humanitären Lage vor Ort steht der Krieg in Nahost dabei ganz oben auf der Agenda.
Auch Wadephul liess daran keinen Zweifel aufkommen. Bevor er in die Regierungsmaschine nach New York stieg, machte er die deutsche Haltung zu dem Konflikt deutlich. "Wir stehen für die Zweistaatenlösung. Es gibt keinen anderen Weg."
Bei der Generaldebatte steht er mit dieser Haltung nicht alleine da. Doch bei der Vorstellung, wie man dieses Ziel erreichen könnte, ist Deutschland zunehmend isoliert. Wadephul droht deshalb bei der UN quasi zum "Bundesaussenseitenminister" zu werden.
Palästina als Staat anerkennen? Druck auf Deutschland wächst
Denn spätestens seit dem Wochenende wächst der Druck auf Deutschland, im Nahostkonflikt deutlicher als bisher Stellung zu beziehen. Vor allem, weil mehrere Staaten mit einer Anerkennung Palästinas ein deutliches Zeichen an Israel gesendet haben. Mit Grossbritannien und Kanada sind zwei G7-Staaten darunter, auch EU-Mitglied Portugal will Palästina künftig als eigenständigen Staat begreifen.
Und nach der Generaldebatte dürfte ihre Zahl noch einmal deutlich wachsen. Unter anderem Belgien, Neuseeland, Luxemburg, San Marino und Frankreich wollen bei dem Treffen in New York Palästina anerkennen.
Mit Paris würde sich der dritte G7-Staat hinter Palästina stellen. Ausserdem ist Frankreich, ebenso wie Grossbritannien, ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Nur noch ein anderes Land in dem Gremium würde Palästina dann nicht anerkennen – die USA.
Sie alle eint eine gemeinsame Idee: Mit der Anerkennung Palästinas Druck auf Israel zu erzeugen, seinen Krieg im Gazastreifen zu beenden. Anschliessend wäre, so die Theorie, die Suche nach einem Weg hin zu einer Zweistaatenlösung möglich.
Israel lehnt Zweistaatenlösung ab
Doch in Berlin folgt man dieser Logik nicht. Palästina als Staat anzuerkennen, stehe für Deutschland laut Wadephul "am Ende des Prozesses" hin zu einer Zweistaatenlösung. Auch der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille betont das am Montag. Daran würde auch die Kursänderung enger Partner wie Frankreich nichts ändern. "Wir haben eine andere Beurteilung des Sachverhalts", sagte Hille.
Bei der UN wird Deutschland mit dieser Haltung immer mehr zum Aussenseiter. Schliesslich haben etwa 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten Palästina bereits anerkannt.
Kritiker sehen in der Haltung der Bundesregierung auch einen Versuch, sich vor dem eigentlichen Problem zu drücken. Denn Israel lehnt eine Zweistaatenlösung derzeit kategorisch ab. "Es wird keinen palästinensischen Staat westlich des Jordan-Flusses geben", erklärte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zuletzt. Westlich des Jordan-Flusses liegen Israel, das Westjordanland und der Gazastreifen.
Wie man unter diesen Bedingungen ans "Ende des Prozesses" kommen soll? Darauf hat in Berlin derzeit niemand eine Antwort.
Union sieht "grundfalsches Signal" in Anerkennung von Palästina
Doch für die Bundesregierung ist der Nahostkonflikt ein Drahtseilakt. Vor allem angesichts der systematischen Verfolgung und Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs will in Berlin niemand den Eindruck erwecken, dass Deutschlands Solidarität zu Israel ins Wanken gerät.
Insbesondere innerhalb der Union ist man darauf bedacht. Als Bundeskanzler Friedrich Merz etwa im August einen Export-Stopp für Rüstungsgüter verkündet, die Israel im Gazastreifen einsetzen könnte, rumorte es heftig in der Partei.
Überdies sehen viele in der Union in einer Anerkennung Palästinas quasi eine Belohnung für die Terrororganisation Hamas. Diese hatte am 7. Oktober 2023 ein Massaker mit rund 1.200 Toten in Israel verübt und dadurch den Krieg im Gazastreifen ausgelöst. Ausserdem verschleppten die Terroristen mehr als 250 Menschen. 48 Geiseln hält sie noch fest, laut israelischen Angaben sind 20 davon noch am Leben. Immer wieder betont Israel auch, dass der Krieg sofort enden könnte, wenn die Hamas ihre Geiseln freilassen und ihre Waffen niederlegen würde.
Als "grundfalsches Signal" bezeichnete deswegen etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann die Anerkennung eines Palästinenserstaates gegenüber der "Rheinischen Post". Der Schritt sei "Symbolpolitik", der nicht zum Frieden führe, sondern "im Gegenteil: Eine Anerkennung spielt der Hamas in die Hände, die sich in ihrem brutalen Terrorkampf gegen Israel bestätigt fühlen wird."
Beim Koalitionspartner sieht man das hingegen anders. Die SPD stehe zur Zweistaatenlösung und sage auch, "dass die nicht unbedingt am Ende des Prozesses stehen muss", erklärte der Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch am Montag.
Nach der Anerkennung Palästinas durch Grossbritannien hatte sich Adis Ahmetovic, aussenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zuvor ähnlich geäussert. Gegenüber der "Rheinischen Post" sagte er, dass Europa "eine geschlossene Position" mit Blick auf die UN-Generalversammlung benötige, die auf einen neuen Prozess zur Zweistaatenlösung setzt. Nur so könne ein dauerhafter Frieden in der Region erreicht werden.
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Von deutscher Seite ist kein Umschwung zu erwarten
Doch zumindest von deutscher Seite dürfte es bei dem Treffen in den USA keine Impulse für eine solche gemeinsame Haltung geben. Der Aussenminister wird dort zwar an einer von Frankreich und Saudi-Arabien organisierten Konferenz zur Stärkung der Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern teilnehmen. Doch er will keine neue Position der Regierung verkünden.
Dabei hatte er vor seiner Abreise noch die Notwendigkeit von Verhandlungen für eine Zweistaatenlösung betont. "Niemand sollte an dieser Stelle eine Politik verfolgen, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen", sagte er. "Der Weg der Verständigung, des Ausgleichs, der Verhandlungen bleibt der schwierige, der mühevolle Mittelweg. Aber für diesen steht die Bundesrepublik Deutschland."
Nur scheint sie gleichzeitig zunehmend alleine dazustehen.
Verwendete Quellen
- Mit Material von dpa und afp