Bei der Wahl am Sonntag hat sich der liberale und pro-westliche Kandidat Nicușor Dan durchgesetzt. Die Wahl folgte auf eine zuvor annullierte Abstimmung im November 2024, die aufgrund nachgewiesener russischer Einflussnahme für ungültig erklärt worden war.
Der proeuropäische Kandidat Nicușor Dan hat die rumänische Präsidentschaftswahl am Sonntag mit 53,6 Prozent der Stimmen gewonnen und damit den ultranationalistischen George Simion geschlagen, der 46,4 Prozent erhielt. Die Wahlbeteiligung lag bei 64,72 Prozent, dem höchsten Wert seit 25 Jahren.
Wie geht es nun weiter für die Politik in Rumänien und welche Auswirkungen hat das Wahlergebnis auf Europa und den Ukraine-Krieg? Hierüber hat unsere Redaktion mit dem Osteuropa-Historiker Oliver Jens Schmitt von der Universität Wien gesprochen.
Herr Schmitt, wie erklären Sie sich den Wahlsieg des gemässigten liberalen Kandidaten Nicușor Dan?
Oliver Jens Schmitt: Es hat in den letzten Wochen stattgefunden. Ganz entscheidend war hier die Zivilgesellschaft, aber auch die freien Medien. Diese erlebten eine eigentliche Sternstunde. Aber wenn man das Wahlergebnis genauer betrachtet, stechen zwei Gruppen hervor, die sehr wichtig waren.
Welche waren das?
Das eine waren die Ungarn in Rumänien, die eigentlich geschlossen für Nicușor Dan gestimmt haben, und zwar gegen die Politik des ungarischen Premiers Viktor Orban, der George Simion unterstützt hat. Eine zweite wichtige Gruppe waren Bürger der Republik Moldau, die auch die rumänische Staatsbürgerschaft besitzen. Diese haben überwältigend für Nicușor Dan gestimmt und auch gleichzeitig damit zum Ausdruck gebracht, dass aus ihrer Sicht Simion der Mann Putins ist. Und sehr wichtig war auch, dass in der Diaspora Simion nicht einfach durchmarschieren konnte, sondern im Vergleich zum ersten Wahlgang fünf Prozentpunkte verloren hat. Es sind also auch viele pro-westlich, pro-demokratisch eingestellte Wähler an die Urne gegangen.
Wie war es in Rumänien selbst?
Dort konnte man sehen, dass Nicușor Dan vor allem in den grossen Städten wie Bukarest, Klausenburg, Temeswar und Iași enorm viele Stimmen geholt hat, teilweise bis zu siebzig Prozent. Es war also eine klare Abstimmung der städtischen, gebildeten Bevölkerung mit Auslandserfahrung, also dieser neuen Mittelschicht, die massivst unterstützt von der ungarischen Minderheit und eben von einem Teil der Auslandsrumänen, Dan zu diesem Wahlsieg verholfen hat.
"Die klassischen Parteien haben dazu nicht oder kaum beigetragen."
Welche Rolle haben die Parteien der Mitte, die klassischen Parteien gespielt?
Die klassischen Parteien haben dazu nicht oder kaum beigetragen. Die Postkommunisten, die sich Sozialdemokraten nennen, keine Wahlempfehlung abgegeben und damit indirekt Simion unterstützt.
Haben die Rumänen am Ende doch Angst vor einem radikalen Kandidaten wie George Simion?
Diese Angst war sehr gross. Ich war selber vor einer Woche noch in Rumänien und konnte das vor Ort beobachten. Es war eine Richtungswahl. Das war auch vielen Menschen bewusst. Auf der einen Seite George Simion, hinter dem ja nicht nur
Wie kam es überhaupt dazu, dass jemand wie Simion in die Stichwahl kommen konnte?
Das hat mit der Politik des zurücktretenden Chefs der sogenannten Sozialdemokraten, also der postkommunistischen Partei, Marcel Ciolacu, zu tun. Ciolacu wollte im November dafür sorgen, dass er gegen einen Rechtsextremen antritt, der unwählbar ist für die meisten Menschen. Sein Interesse war es, George Simion in den zweiten Wahlgang zu bringen und dann gegen ihn anzutreten. Um das zu erreichen, hatte er eine andere rechtsextreme Kandidatin, Diana Șoșoacă, mithilfe von Gerichten aus dem Verfahren ausgeschlossen.
Es gab also einen Plan hinter dem Aufstieg von Simion?
Ja, aber dieser ist völlig gescheitert, denn Ciolacu kam nicht in die zweite Runde, Simion auch nicht, sondern eben Călin Georgescu, der unter der Hand von der anderen Regierungspartei, den Liberalen, teilweise gefördert wurde…
…und von Russland unterstützt worden sein soll, wodurch er die erste Runde der Wahl im November gewinnen konnte. Anschliessend wurde er vom Verfassungsgericht von der Wahl ausgeschlossen…
…Das war eine ganz schwierige Konstellation der Hinterzimmerpolitik, die völlig gescheitert ist. Nachdem dann Călin Georgescu, der ganz offen ein Bewunderer von Putin ist und von Russland unterstützt wurde, im letzten Moment gestoppt worden war, ist Simion doch wieder angetreten und hat versucht, diese Wählerschaft, die auch zutiefst erbost war über das Urteil des Verfassungsgerichtshofs, für sich zu mobilisieren. So konnte er die erste Runde der Präsidentschaftswahl mit einigem Abstand gewinnen.
Was ist dran an den Vorwürfen, Georgescu sei von Russland unterstützt worden?
Es ist ganz klar, dass Călin Georgescu das rumänische Wahlgesetz verletzt hat, weil er behauptet hat, er hätte null Euro für seine sehr teure Kampagne ausgegeben. Aber man muss gar nicht nach Geldflüssen fragen. Georgescu hat sich immer ganz offen zu Putin bekannt. Er hat davon gesprochen, Rumänien müsste die "russische Weisheit" übernehmen. Aber ganz genau weiss man bisher nicht, wie weit die Verflechtung geht. Der neue Präsident Dan hat versprochen, hier Transparenz zu schaffen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass hier Gelder geflossen sind, aber die konkreten Beweise stehen noch aus.
Was muss der neue Präsident nun tun, um das Vertrauen der Bürger wiederzugewinnen?
Er steht vor einer unglaublich schwierigen Lage. Rumänien hat das grösste Budgetdefizit der EU, und das Land ist sehr gespalten. Auch die Auslandsrumänen sind gespalten. Man darf nicht vergessen, für Simion haben Menschen gestimmt, die in grosser Armut leben. Der Wohlstand ist sehr ungleich verteilt. Es wurde ein Parlament gewählt, in dem Parteien, die von der Mehrheit der Bürger abgelehnt werden, stark vertreten sind. Eine Regierung kann nicht gebildet werden ohne die Sozialdemokraten, eine zutiefst korrupte Partei, die in sich noch gespalten ist in einen proeuropäischen Flügel – proeuropäisch, solange eben europäische Mittel fliessen – und einen Flügel, der gegen die EU und gegen die NATO ist. In dieser Konstellation muss eine Regierung gebildet werden.
Das klingt sehr kompliziert…
Ja, ich möchte aber doch betonen, dass die Konstellation in Rumänien jetzt nicht grundsätzlich anders ist als etwa in Deutschland oder in Österreich, wo nach den Wahlerfolgen von Extremisten, Parteien Koalitionen schliessen mussten, die sich nicht besonders lieben und sich zu politischen Zweckehen zusammenfinden mussten. Und ich glaube, deutsche Leser werden die rumänische Situation am besten verstehen, wenn man die schwierige Regierungsbildung in Berlin betrachtet. Da ist Rumänien durchaus vergleichbar.
"Dieser Wahlsieg hatte eine weltpolitische Bedeutung."
Welche Auswirkungen hat diese Wahl nun für Europa?
Dieser Wahlsieg hatte eine weltpolitische Bedeutung. Rumänien wurde ins Visier genommen, nicht nur von Putin, sondern auch von Orban und Trump. Es ist kein Wunder, dass in US-amerikanischen Medien, die in Opposition zur Regierung stehen, der rumänische Wahlerfolg bejubelt wurde. Es wurde auch in der ganzen westlichen Welt wahrgenommen. Putin ist gescheitert, die Trump bzw. Orban-Leute haben eine schwere Niederlage erlitten. Das bedeutet, dass es nicht gelungen ist, ein nicht sehr stabiles grosses Land der EU auszuhebeln. Das ist ein enormer Erfolg der liberalen Demokratie. Und das, weil die Menschen zu den Urnen gegangen sind und sich nicht haben manipulieren lassen.
In Rumänien soll der grösste Nato-Stützpunkt in Europa entstehen. Was hätte ein Sieg eines Rechtspopulisten in diesem Land bedeutet?
Rumänien befindet sich in einer geostrategischen Schlüssellage. Es ist ganz entscheidend für die Unterstützung der Ukraine. George Simion hätte die Hilfe für die Ukraine eingestellt. Er hätte Călin Georgescu zum Premierminister gemacht, und Georgescu ist gegen die NATO. Es wurde auch der Stützpunkt Deveselu bei Constanţa infrage gestellt. Simion und Georgescu hätten Rumänien in ein sicherheitspolitisches Niemandsland manövriert und damit in die Arme von Wladimir Putin. Das hätte für Europa schwerwiegende Folgen gehabt. Der Schwarzmeerraum wäre weggebrochen und die Kontrolle über die Donaumündung verloren gegangen. Die Ukraine wäre massiv isoliert worden. Positiv ausgedrückt: Dieser grosse Stützpunkt ist eine Lebensversicherung für Rumänien und für Europa. Ein starkes Rumänien in der NATO ist zentral für den Westen, um Südosteuropa weiterhin stabil zu halten.
Über den Gesprächspartner
- Oliver Jens Schmitt ist Osteuropa-Historiker und lehrt an der Universität Wien.