Sie haben acht Jahre als Präsident und Vize-Präsident zusammengearbeitet: Barack Obama und Joe Biden. Was Obama mit dem Einzug ins Weisse Haus als erster Mann schon einmal gelungen ist, will nun auch Trumps Herausforderer Biden schaffen. Kann Obama ihm dabei helfen? Politikwissenschaftler Prof. Dr. Michael Dreyer erklärt die "strategische Ressource" namens Obama – samt ihren Tücken.

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Man sieht ihn in letzter Zeit wieder häufiger: In Werbespots, auf Twitter oder in öffentlichen Reden. Ex-Präsident Barack Obama ist zurück im Rampenlicht – und zwar an der Seite des Trump-Herausforderers Joe Biden. Dabei hatte Obama lange die Füsse stillgehalten, ganz so, wie es der Sitte entspricht: Dem Nachfolger nicht reinreden, sich nicht in die Tagespolitik einmischen.

Kritiker hatten diese Zurückhaltung schon länger kritisiert, sei Trump doch kein normaler Präsident. Nun, zu Wahlkampfzeiten aber lässt sich Obama als Geschütz der Demokraten wieder auffahren. "Die Obamas sind nicht die Hauptpräsenz im Wahlkampf, aber eine strategische Ressource für die Biden-Kampagne", sagt Politikwissenschaftler Michael Dreyer.

Obama und Biden: "Ikonen der Demokraten"

Auf seiner Website erwähnt der Biden den Ex-Präsidenten mehrfach in seinem Lebenslauf. Von einem "friend for life" – einem "Freund fürs Leben" spricht er über Obama. Die Familien der beiden Politiker seien eng zusammengewachsen. "Vizepräsident unter Obama" – eine Art Qualitätssiegel.

"Die Obamas sind Ikonen der Demokraten", erklärt Experte Dreyer. Biden versuche sich entsprechend als der "einzig wahre Erbe Obamas" zu verkaufen. Der Politikwissenschaftler hält das für wahlkampftaktisch klug: "Seine Zeit als Vizepräsident von Obama waren seine letzten definierenden politischen Aktivitäten, davor war Biden jahrzehntelang im Senat. Die Präsidentschaft von Obama definiert seine Person also mit – deshalb umarmt er sie und macht sie sich zu eigen", so Dreyer.

Unterstützung bei YouTube und Twitter

Biden sei an wichtigen Errungenschaften der Obama-Administration beteiligt gewesen, die es nun zu verteidigen gelte: "Dazu zählen Bürgerrechtsmassnahmen wie die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe, Obamacare und der Dreamer-Act, der illegal Eingewanderten ermöglicht hat, im Land zu bleiben", sagt Dreyer. Die Wähler an seine zentrale Rolle dabei zu erinnern, sei legitim und wahlkampftaktisch sinnvoll.

Bei Youtube verbreiten die Demokraten entsprechend Videos mit Biden und Obama: Vor einer USA-Flagge und in Ledersesseln unterhalten sich die Politiker 15 Minuten lang über die politische Zukunft des Landes und schauen sich alte Fotos ihrer gemeinsamen Zeit an. Biden lässt sich von Obama loben: Es sei seine "willingness to listen and learn" – seine "Bereitschaft, zuzuhören und zu lernen", die Obama immer beeindruckt habe. Ähnlich bei Twitter: Auch hier unterstützt Obama seinen Partei-Kollegen tatkräftig. "Joe weiss, dass es nicht um ihn geht, sondern um uns", twitterte der Ex-Präsident.

Obama könnte Biden auch schaden

Sein Loblied geht weiter: "Joe Biden ist ein Mann, der gelernt hat, jede Person mit Respekt und Würde zu behandeln. Seine Eltern haben ihm vermittelt: ‚Niemand ist besser als du, Joe, aber du bist auch nicht besser als jemand anderes‘. Diese Empathie, dieser Anstand, dieser Glaube, dass jeder zählt – das ist es, was Joe ist", twitterte Obama.

Doch sind diese Lobeshymnen eine gute Idee? "Obama könnte Biden auch schaden", gibt Experte Dreyer zu. Es sei immer etwas misslich, wenn Ex-Präsidenten für neue Herausforderer Wahlkampf machten: "Es besteht die Gefahr, dass sie den aktuellen Kandidaten in den Schatten stellen. Sie hatten schon das Amt, welches der andere erst anstrebt", erklärt Dreyer.

Man müsse entsprechend gut aufpassen, dass die Verschiebung der Gewichte gelinge: "Der neue Mann muss im Fokus stehen, der Ex-Präsident erweist ihm sonst einen Bärendienst," so Dreyer.

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Hätte Obama sich einen anderen Kandidaten gewünscht?

Im YouTube-Werbespot lässt sich das gut beobachten: Obama wirkt redegewandter, Biden an vielen Stellen nur wie ein Zuhörer. Auch Dreyer urteilt: "Wenn sie gemeinsam auftreten, symbolisieren sie auch: Biden hat schon zwei gescheiterte Anläufe für das Präsidentschaftsamt hinter sich, Obama hingegen ist Ex-Präsident und ein geborener Charismatiker."

Problematisch auch, dass Obama Bidens Polit-Talent schon häufiger bezweifelt hat. "Unterschätzt nicht Joes Talent, alles zu versauen", soll der Ex-Präsident gewarnt haben, ebenso bezweifelt haben, ob Bidens Bindung zu ländlichen US-Wählern eng genug sei.

Dreyer aber meint: "Ja, vielleicht hätte sich Obama einen anderen Kandidaten aus den Reihen der Demokraten gewünscht, aber das ist jetzt egal: Es gilt nun, Trump zu schlagen." Dabei könnten die Obamas – eingeschlossen Michelle Obama – eine entscheidende Rolle spielen.

Zuspruch in schwarzer Bevölkerung

"Sie haben besonders in den Minderheiten-Communities grossen Zuspruch, gerade in der schwarzen Bevölkerung", erinnert Dreyer. Die wähle zwar ohnehin grösstenteils demokratisch, wenn die Obamas aber kräftig werben würden, seien es vielleicht noch ein paar Prozent mehr. Michelle Obama hat mit ihrer empathischen Rede beim virtuellen Parteitag gute Voraussetzungen dafür geschaffen. "Das kann in einigen Staaten einen Unterschied machen", so Dreyer.

Besonders gross sei der Obama-Faktor dann, wenn die ehemalige Präsidentenfamilie dafür sorge, dass die Wahlbeteiligung der Schwarzen höher ausfalle als normalerweise. Beispiel Detroit, wo viele Afroamerikaner leben. Als Barack Obama selbst kandidierte, stieg die Wahlbeteiligung hier auf 53 Prozent, 2016 sank sie wieder auf 48 Prozent. "Dass möglichst viele Angehörige unterschiedlicher Minoritäten zur Wahl gehen und nicht zu Hause bleiben, ist der wichtigste Beitrag, den die Obamas zur Biden-Kampagne leisten können", betont USA-Kenner Dreyer.

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Grösstes Pfund: Mobilisierung von Minderheiten

Es gehe weniger darum, Wähler von den Demokraten zu überzeugen – die Lager seien ohnehin polarisiert, die meisten hätten ihre Entscheidung längst getroffen. "Die traditionelle Lehrmeinung der Politikwissenschaft, man müsse die Wähler der Mitte überzeugen, stimmt in den USA so nicht mehr – es gibt die Mitte kaum noch", stellt Dreyer klar.

Es sei aktuell wichtig, die eigenen Anhänger dazu zu bringen, überhaupt wählen zu gehen – trotz aller Schwierigkeiten. Der texanische Gouverneur entschloss beispielsweise kürzlich, man könne seine Wahlunterlagen nur noch in einem Briefkasten je Landkreis abgeben – gerade für Menschen im unteren Einkommenssegment ohne Auto eine Herausforderung.

"Da sind die Obamas sehr gute Sprecher und Mobilisatoren", meint Dreyer. Auch die Nominierung der Immigrantin Kamala Harris als Bidens Running Mate sei ein Schachzug in diese Richtung gewesen.

Angriffsfläche für Republikaner?

Gibt es dennoch eine Angriffsfläche für die Republikaner? "Bezüglich der Kritik, die Obama in der Vergangenheit an Biden geübt hat, hängt das Schadenspotenzial davon ab, wie die Republikaner es verwerten", wirft Dreyer ein. Allerdings bemühe sich Trump seit geraumer Zeit vergeblich, Biden als radikalen Sozialisten darzustellen.

"Dabei können sie Obama aber nicht in einer negativen Form einspannen", schätzt Dreyer. Denn die Republikaner hätten acht Jahre seiner Präsidentschaft dazu genutzt, ihn nach Kräften schlecht zu machen. "Ihn jetzt umgekehrt zu instrumentalisieren, um Zweifel an Biden zu rechtfertigen, ist unglaubwürdig", meint Dreyer.

So scheiterte auch der Versuch einer Pro-Trump-Gruppe einen Ausschnitt aus der Biografie Obamas für einen Wahlwerbespot zweckzuentfremden. Darin soll der Eindruck erweckt werden, Obama sehe die Unterstützung von Biden für die schwarze Community kritisch – der Ausschnitt aus der Audiobuch-Version "Ein amerikanischer Traum" bezieht sich aber gar nicht auf Biden. Obama forderte Sender in South Carolina schriftlich auf, die Ausstrahlung des Spots zu unterlassen.

Über den Experten: Prof. Dr. Michael Dreyer ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ideengeschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts in Deutschland und den USA, das politische System der USA, Minderheiten und die Theorie der Revolution. Dreyer lehrte im Rahmen einer DAAD-Professur an der Northwestern University im amerikanischen Evanston, Illinois.

Verwendete Quellen:

  • Webseite von Joe Biden
  • Twitteraccount von Barack Obama
  • "YouTube" 23.07.2020. A Socially Distanced Conversation President Barack Obama and Vice President Joe Biden
  • "Zeit.de": 17.02.2020: Afroamerikaner könnten die Wahl entscheiden – für Trump
  • "Redaktionsnetzwerk Deutschland": 27.02.2020: Obama wehrt sich gegen irreführenden Wahlkampfspot über Biden
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