Zürich - Die Wortwahl geriet recht launig beim Generationenwechsel von Alt zu Jung. "Viel Spass mit dem Haufen", wünschte Alexandra Popp, als sie in ihrem letzten Länderspiel Nachfolgerin Giulia Gwinn die Kapitänsbinde überstreifte. Gut acht Monate ist das erst her. Doch aus der anfänglichen Interimskapitänin ist längst die unangefochtene Anführerin der deutschen Fussballerinnen geworden. Dabei tickt die Bayern-Spielerin, die am Mittwoch 26 Jahre alt wird, ganz anders als die 34-jährige Popp.

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"Alex war ja natürlich schon jemand, der sehr verbal war, der sehr laut geworden ist teilweise", sagt Gwinn vor dem Start der EM in der Schweiz, ihrem ersten grossen Turnier als Kapitänin. "Ich bin jetzt nicht die, die ständig rumschreit und Leute irgendwo zurechtweisen möchte."

Popp konnte das ganz gut, wenn es sein musste - und manchmal vielleicht auch nicht sein musste. "Früher haben uns die älteren Spielerinnen verbal auch mal auseinandergenommen", beschrieb die Wolfsburgerin in einem Interview des "Kicker" die alten Zeiten. "Das gibt es jetzt nicht mehr so. Wenn man jetzt mal den Mund aufmacht, wird das nicht mehr so angenommen, habe ich das Gefühl. Mich hat das damals aber weitergebracht."

Popps Aussagen stammen von 2019 und mit Blick auf das damalige Aus im WM-Viertelfinale gegen Schweden. Vor sechs Jahren in Frankreich erlebte auch Gwinn das Scheitern mit, sie wurde bei ihrer Turnierpremiere aber zur besten jungen Spielerin gewählt.

Däbritz: "Sie ist eine sehr empathische Person"

In der Schweiz, wo die DFB-Elf am Freitag in St. Gallen gegen Polen (21.00 Uhr/ARD) ihren Auftakt bestreitet, muss Gwinn die Dinge nun auf ihre Art lösen: flacher in der Hierarchie, ruhiger im Ton. Und vor allem: auf Augenhöhe. "Sie ist eine sehr empathische Person. Sie ist sehr offen, sie geht auf die Spielerinnen zu, sie hat auch immer ein offenes Ohr", sagt Sara Däbritz, die schon beim EM-Titel 2013 im Kader stand - und die früheren Zeiten noch kennt.

Trainingslager Fussball-Nationalmannschaft der Frauen
Läuft vorneweg: Giulia Gwinn. © dpa / Daniel Löb/dpa

Auch andere loben Gwinns zugewandte und verbindliche Art. Sie sei "charakterlich sehr fest", begründete Bundestrainer Christian Wück im Februar seine Kapitäninnen-Wahl pro Gwinn. "Eine Topfrau für den Job", meinte die nach ihrem Kreuzbandriss fehlende Lena Oberdorf bereits Anfang des Jahres.

"Sie will, dass sich alle Spielerinnen wohlfühlen, dass sie überhaupt keine Angst haben müssen, hier zu sein. Das ist eine Qualität, die Giulia extrem ausmacht", erklärt Vize-Kapitänin Janina Minge. Und für Co-Trainerin Maren Meinert ist Gwinn ohnehin "eine absolute Führungsspielerin", die im Team gut gehört werde. Obwohl sie "keine Lautstarke" ist, wie Minge findet.

Stattdessen strahlt Gwinn eine extreme Ruhe und Sachlichkeit aus. Knallige Sätze wie sie Popp in Serienreife produzierte, gibt es von ihr selten zu hören. Auch mit Kapitänsbinde versuche sie, sich "selbst treu zu bleiben und jetzt nicht die Rolle irgendwie so zu verkörpern, wie ich gar nicht bin".

Gwinn: "Ich bin definitiv sehr perfektionistisch"

Gwinn gilt als bestens organisiert, berechnend, wohl abwägend. Ihr rutscht verbal nichts raus, was sie später bereuen müsste. "Ich bin definitiv sehr perfektionistisch, alleine, wenn man meinen Zopf anschaut, der muss immer perfekt sein", sagt sie in der neuen ARD-Doku "Shootingstars - Deutschlands neue Fussballgeneration".

Bisher fährt Gwinn, die aus Ailingen am Bodensee stammt, damit ziemlich gut. EM-Vize 2022, Olympia-Bronze 2024, 63 Länderspiele, 14 Tore, eine 100-Prozent-Elfmeterquote sowie vier Meisterschaften und ein Pokaltriumph mit dem FC Bayern weist ihre Statistik aus.

Im Mai legte sie zudem ihre erste Biografie vor. Bei Instagram vermitteln die vielen Bilder, auf denen Gwinn lächelnd zu sehen ist, den 644.000 Followern, dass ihr die Dinge auf wie neben dem Platz ziemlich locker von der Hand und vom Fuss gehen müssen.

Giulia Gwinn
Gwinn (l) will auf wie neben dem Platz ihre Meinung sagen. © dpa / Andrew Milligan/PA Wire/dpa

Aber Gwinn kennt auch die Schattenseiten. Zweimal riss ihr das Kreuzband, zweimal kämpfte sie sich erfolgreich zurück. Einen "extremen Kampf" habe sie während der ersten Reha austragen müssen. Sie habe versucht, stark zu sein, "obwohl es in mir drin ganz anders aussah". Vielleicht taugt sie auch deshalb als Vorbild, das sie so gern für andere sein möchte. Nun eben als einfühlsame EM-Kapitänin des deutschen Nationalteams.  © Deutsche Presse-Agentur