Im Jahr 2025 schauen viele Nationen nach Spanien. Doch der Aufstieg des Top-Favoriten der EM ist beispiellos und brauchte mehrere Revolutionen von unten.
Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Spanien den ersten grossen Titel im internationalen Fussball der Frauen holen würde. Während der FC Barcelona die Champions League schon seit vielen Jahren dominiert, wartete das Nationalteam noch auf einen vergleichbaren Erfolg.
Im Jahr 2023 war es dann aber so weit: Spanien holte sich mit einem 1:0-Sieg im Finale gegen England den WM-Titel in Australien. Die Krönung einer Entwicklung, die ihresgleichen sucht. Vor allem aber eine Krönung, die sich nicht der Verband zuschreiben kann, sondern die vielen Frauen, die über Jahrzehnte hinweg dafür gekämpft haben, dass es angemessene Bedingungen für die Spielerinnen gibt.
Denn auch im Jahr 2025 sind sie immer noch dabei, sich von einer Zeit zu lösen, in der Unterdrückung, Machotum und Vernachlässigung der Frauen den spanischen Fussball geprägt haben.
27 Jahre Unterdrückung und Schreckensherrschaft: Spanien litt unter dem Nationaltrainer
27 Jahre lang war mit Ignacio Quereda ein Mann Nationaltrainer der Frauen, der von diversen Spielerinnen während seiner Zeit und rückblickend entlarvt wurde – als unprofessionell, machtsüchtig, unqualifiziert und vieles mehr.
Maria Teresa Andreu, die in Spanien als Pionierin des Fussballs der Frauen gilt, jahrelang selbst aktiv spielte und in den vergangenen Jahrzehnten als Funktionärin viel für den Fussball getan hat, bezeichnete ihn in einem Interview mit der "Marca" 2015 als "Krebs des Frauenfussballs". Sie habe gesehen, wie er "Spielerinnen misshandelt" habe, sie "angeschrien" und "lächerlich gemacht" habe.
Von Bodyshaming war die Rede, von Kontrollzwängen und der Unfähigkeit, Kritik anzunehmen. Vorwürfe gab es immer wieder. In den Neunzigern, in den 2000er Jahren und schliesslich auch in den 2010er Jahren beschwerten sich Spielerinnen – teils intern, teils sogar öffentlich. Erst 2015 kam es nach einer weiteren Rebellion der Spielerinnen schliesslich zum Bruch.
Grund dafür, dass all die Beschwerden ins Leere liefen, war ein ignoranter Verband, der an seinen Strukturen festhielt und dem Fussball der Frauen keinerlei Bedeutung und Beachtung schenkte.
Auch nach Quereda gab es grosse Probleme
Bis zur besagten WM 2023 wurde gern eine Erfolgsgeschichte gezeichnet, die das Ende von Quereda als Nationaltrainer als Ausgangspunkt sah. Doch schon im Vorfeld des Turniers gab es abermals den Aufstand von unten. Spielerinnen beschwerten sich über Trainer Jorge Vilda, der auf Quereda gefolgt war.
15 Spielerinnen traten in den Streik, um gegen die Methoden des Übungsleiters zu protestieren. Wieder ging es um Kontrollzwänge und es ging darum, dass sie ihren emotionalen Zustand sowie ihre Gesundheit beeinträchtigt sahen. Dafür setzten sie ihre Teilnahme bei der WM 2023 aufs Spiel.
Nach der WM und dem Titelgewinn kam der Verband ebenfalls nicht zur Ruhe. Der damalige Verbandspräsident Luis Rubiales wurde übergriffig, küsste Stürmerin Jennifer Hermoso ohne ihr Einverständnis auf den Mund. Es folgte ein monatelanges Schauspiel an Machtdemonstrationen durch männliche Vetternwirtschaft und Kumpeleien.
Ein Schauspiel, das unterstrichen hat, dass dieser Verband längst nicht so weit ist, wie es die sportlichen Leistungen vermuten liessen. Vor allem der Reflex, gegen die eigenen Spielerinnen zu arbeiten und sie notfalls öffentlich zu diskreditieren, wenn sie gegen die Zustände aufstanden, ist bezeichnend. Spanien hat diese Probleme freilich nicht exklusiv, aber gerade beim amtierenden Weltmeister gab es die grosse Hoffnung, man sei weiter.
Die ehemalige Spielerin Vero Boquete wurde 2015 in einem Interview mit dem "Münchner Merkur" deutlich: "Spanien ist ein Macho-Land, auch noch heute. Ich musste viel kämpfen, aber das gibt mir heute die Energie, um Dinge zu verändern."
Wie konnte sich Spanien zur Top-Nation entwickeln?
Bleibt die grosse Frage: Wie hat man es dennoch geschafft, sich in den vergangenen Jahren als Fussballmacht zu etablieren? Ein Teil der Antwort liegt bei den Klubs. Denn die fingen in den 2010er Jahren nach und nach an, viel mehr Geld in den Fussball der Frauen zu stecken und gleichzeitig die Strukturen, die sie für die Männer geschaffen hatten, auch den Frauen zugänglich zu machen.
Neben dem FC Barcelona, der allen voran zu nennen ist, zählen auch Athletic Bilbao, Atletico Madrid oder Real Madrid zu den Vereinen, die über die letzten zehn, fünfzehn Jahre hinweg sukzessive für Verbesserungen in Spanien sorgten. Allein dadurch, dass die Zugänglichkeit für gute Trainingsbedingungen und professionelle Infrastruktur besser wurde, machten die Spanierinnen auch bei der Entwicklung von Talenten riesige Fortschritte.
Nach Angaben des damaligen Chefs von LaLiga der Frauen Pedro Malabia hatten die meisten der Erstligaklubs 2018 eine komplette Jugendstruktur von der U6 bis hoch zum A-Team. Zwischen 2003 und 2018 vervierfachte sich die Anzahl an Spielerinnen in Spanien. Bereits in den 2010er Jahren stellten sich auch die ersten grossen Erfolge bei U-Turnieren ein.
Spanien spielte plötzlich häufiger eine gute Rolle, gewann die U19-Europameisterschaft beispielsweise nach 2004 auch in den Jahren 2017, 2018, 2022, 2023, 2024 und 2025. Damit sind sie mittlerweile Rekordchampion.
FC Barcelona als Vorzeigeklub des spanischen Fussballs
Wie lange es braucht, um strukturelle Veränderungen in Spanien anzustossen, zeigt auch der Fakt, dass die Liga erst seit 2021 als komplett professionell anerkannt wird. Den wohl grössten Anteil an der spanischen Entwicklung hat aber der FC Barcelona – allen voran Maria Teixidor. Die heute 49-Jährige war die erste Frau in der Geschichte des Klubs, die als erste Frau überhaupt die Position als Vorstandssekretärin innehatte und eine von dreizehn Frauen ist, die in der Führungsebene des Klubs arbeiteten.
Dass die Professionalisierung der Frauenabteilung mit ihrem Aufstieg zusammenhängt, ist kein Geheimnis. Fortan investierte der Klub immer mehr Geld in die Jugendarbeit der Frauen, in Neuzugänge und auch in die Vermarktung. Barca füllte bald das Camp Nou – mehrfach. Sie haben ihre Reichweite in den sozialen Netzwerken vervielfacht und erwirtschaften mittlerweile Gewinne.
Von der Ausbildung spanischer Nationalspielerinnen beim FC Barcelona profitiert der Verband, der selbst über Jahrzehnte hinweg wenig bis nichts für die Frauen tun wollte. Vielleicht können sich die Spanierinnen in diesem Sommer mit dem nächsten grossen Titel belohnen. Wobei es ausdrücklich und ausschliesslich für jene eine Belohnung wäre, die von unten für eine Revolution gesorgt haben.
Die Spielerinnen, die gegen Unterdrückung und für Gleichberechtigung gekämpft haben und dabei nicht aufgaben. Die Frauen in Führungspositionen, die die Männer unermüdlich daran erinnert haben, dass sie existieren und dass nicht nur das Potenzial im Fussball der Frauen riesig ist, sondern es auch eine gesellschaftliche wie auch historische Verantwortung gibt, ihn zu fördern.
Nach der WM 2023 scheint sich in Spanien auch gesellschaftlich ein bisschen was getan zu haben. Der Respekt ist vielerorts grösser geworden, die Einschaltquoten gingen hoch. Zwar sind das fragile Entwicklungen, die auch in Deutschland bekannt sind. Doch man kann wohl kaum genug Hüte vor den Protagonistinnen ziehen, die all das erreicht haben und weiter dafür kämpfen, dass der Aufstieg Spaniens nicht nur weitergeht, sondern auch andere Nationen inspiriert.
Verwendete Quellen
- marca.com: "El cáncer del fútbol femenino es Quereda"
- sportschau.de: Vilda nicht mehr Trainer von Spaniens Weltmeisterinnen
- merkur.de: Vero Boquete beim FC Bayern: "So hat mich Pep empfangen"
- espn.com: Spanish government makes women's football professional, sorry for 'injustice'
- equalizersoccer.com: Professionalizing women’s club soccer in Spain: A conversation with Pedro Malabia