• Die Verpflichtung von jungen Talenten ist für viele Klubs inzwischen ein Geschäftsmodell.
  • Die FIFA verbietet Transfers von Minderjährigen generell, ermöglicht diese aber mit Ausnahmen doch.
  • Zwei Experten fordern im Gespräch mit unserer Redaktion einige Änderungen im System.

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"Der neue Luka Modric." So wird Bayern-Neuzugang Lovro Zvonarek von seinem Ex-Trainer Tomislav Stipic charakterisiert.

1,8 Millionen Euro sollen die Münchner investiert haben, um den 16-Jährigen ab der kommenden Saison an die Säbener Strasse zu holen. Dort ist Zvonarek, der bislang noch in der Heimat bei Slaven Belupo spielt, zunächst fürs Amateurteam vorgesehen. Packt er den Sprung zum Profi, soll die Ablöse auf bis zu fünf Millionen Euro steigen.

Für einen Spieler, der bereits jetzt mit Kroatiens Nationalheld Luka Modric verglichen wird, ein echter Schnäppchenpreis und doch eine Wette auf die Zukunft, die insbesondere im schnelllebigen Fussball nicht direkt vorhergesagt werden kann.

Und doch sichern sich immer mehr europäische Klubs aussergewöhnlich junge Spieler, die in ihren Nachwuchsleistungszentren dann den letzten Schliff bekommen sollen, bevor sie eines Tages für das Profi-Team auflaufen – so zumindest die Wunschvorstellung von Spielern und Klubs.

FIFA verbietet U18-Transfers, macht aber einige Ausnahmen

Allerdings gelten für die Verpflichtung von Minderjährigen besondere Regeln. In ihrem Reglement bezüglich Status und Transfers von Spielern schreibt die FIFA, dass internationale Transfers von minderjährigen Spielern generell verboten sind, macht dabei aber einige Ausnahmen.

So ist ein Transfer eines U18-Spielers beispielsweise möglich, wenn mindestens ein Elternteil des Spielers aus Gründen, die nichts mit dem Fussball zu tun haben, einen festen Wohnsitz im Land des neuen Klubs aufnimmt; oder wenn Spieler und Verein jeweils nicht mehr als 50 Kilometer von der Landesgrenze des Heimatslands entfernt sind.

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Im Alter zwischen 16 und 18 Jahren dürfen Spieler innerhalb der EU wechseln, wenn die Vereine ihnen ein "adäquates" Trainings- und Bildungsangebot zur Verfügung stellen. So muss der aufnehmende Verein mindestens 90.000 Euro pro Jahr in die sportliche Ausbildung des Spielers investieren, um die Voraussetzungen der FIFA hinsichtlich der Trainingsstandards erfüllen zu können. Diese Bedingungen gelten auch für das kroatische Talent Zvonarek ab dem kommenden Sommer beim FC Bayern.

Ex-FIFA-Mann: "Verein profitiert im Alleingang vom Talent des Spielers"

Und doch bleibt die Frage, warum die Profi-Klubs in Europa sich so sehr um minderjährige Spieler bemühen und dabei auch vor Transfers aus dem Ausland nicht zurückschrecken, obwohl dort einiges mehr an Aufwand betrieben werden muss, bis die Talente integriert sind?

"Je früher diese Talente gesichert werden, umso weniger sind dabei externe Vermittler involviert. Der Verein profitiert also zunächst im Alleingang vom Talent des Spielers und muss dann später nicht mehr eine hohe Ablöse zahlen", sagt Hans-Joachim Eckert, früherer Vorsitzender der rechtsprechenden Kammer der FIFA-Ethikkommission, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eckert weiter: "Ich würde mir wünschen, dass bei all den Verhandlungen ein externer Berater, der von FIFA oder UEFA bezahlt wird, dabei ist." Dieser solle die "Einhaltung der ethischen und moralischen Grundsätze beobachten und soll zudem schauen, dass die Interessen des Spielers, der Eltern und des Vereins in gleicher Weise berücksichtigt werden".

Sportpsychologe: "Deutlich mehr als der reine Wechsel von A nach B"

Ist ein Wechsel dann erst einmal vollzogen, beginnt die wirkliche Arbeit. Denn die jungen Talente müssen sich in einer komplett neuen Umgebung schnellstmöglich einleben, um dann auf dem Platz die Leistungen zu bringen, die sich der Klub von ihnen erhofft.

"Es ist sehr wichtig, dass der Spieler nicht nur geholt wird, sondern ihm auch eine Art Mentor an die Seite gestellt wird, um Land und Sprache kennenzulernen", sagt Sportpsychologe René Paasch über die Arbeit mit jungen Talenten im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er ergänzt: "Es ist deutlich mehr als der reine Wechsel von A nach B, es kommt darauf an, dass auch abseits des Platzes eine Menge für die neuen Spieler getan wird." Schule und eine mögliche Ausbildung sind hier an erster Stelle zu nennen.

Aber selbst bei einer gelungenen Integration des jungen Neuzugangs, muss sich auch dieser an die Anforderungen und Gegebenheiten im jeweiligen Nachwuchsbereich anpassen, um am Ende tatsächlich als Profi spielen zu können.

Sportpsychologe über Druck der Talente: "Dadurch geht die Individualität verloren"

"Ich finde es schade, dass zu sehr in der Zukunft geplant wird und den jungen Spielern nicht die Chance gegeben wird, von einem Tag in den anderen zu leben und das ganze zu geniessen. Das langfristige Planen setzt die Spieler extrem unter Druck, weil sie immer liefern müssen", erklärt Paasch.

Die Talente müssen von Anfang an "in bestimmte Normen und Raster passen. Dadurch geht die Individualität ganz oft verloren", befindet der Sportpsychologe. Ein Umstand, den unlängst auch der DFB bemerkt hat und zukünftig in seiner Nachwuchsförderung ändern will.

Zusätzlich zum Druck im Training und in den Spielen immer abliefern zu müssen, stehen die jungen Talente auch relativ früh im Rampenlicht. Paasch meint dazu: "Kinder und Jugendliche können sich ganz oft auf den Moment einlassen und das Geniessen." Problematischer wird es, wenn es nicht klappt mit dem grossen Traum von der Profikarriere.

Darauf seien die jungen Spieler nicht vorbereitet, meint der Experte und fordert: "Daher ist es wichtig, dass in den Nachwuchsleistungszentren Pädagogen und Psychologen dabei sind. Gleichzeitig müssen aber auch Trainer viel qualifizierter mit Kindern und Jugendlichen umgehen, es reicht aus meiner Sicht nicht aus, nur eine fussballspezifische Ausbildung zu machen."

Kauf von jungen Talenten: Systemänderung nicht in Sicht

Für die Zukunft wünscht sich Paasch eine bessere Nachbereitung der Klubs für die Spieler, die es nicht bis zum Profifussball gepackt haben. Er berichtet, dass Kinder nach dem Aus in einem Nachwuchsleistungszentrum "in tiefe psychische Löcher fallen. Sie haben keine Lust mehr auf Fussball und bauen Selbstzweifel auf."

Paasch fordert: "Das sind Kinder und Jugendliche, die alles auf ihren grossen Traum ausgerichtet haben, da sollte es den Anspruch geben, im Nachgang auch anders betreut zu werden."

Denn das System mit den Teenie-Transfers als Wette auf die Zukunft wird sich wohl nicht mehr ändern, wie Ex-FIFA-Mann Eckert erklärt: "So lange sich das System im Grundsatz nicht ändert, wie es zu Beginn der Corona-Pandemie teilweise geäussert und auch durch Gehaltsverzicht praktiziert wurde, wird es auch im Bereich der Jugendtransfers keine Veränderung geben."

Auch "der neue Luka Modric" Lovro Zvonarek ist ein Teil dieses Systems, das vielen Vereinen Millionengewinne beschert, dabei aber nicht immer das Wohl des Einzelnen, in diesem Fall sogar von minderjährigen Kindern und Jugendlichen, im Blick hat.

Über die Experten:
Hans Joachim Eckert war von 2012 bis 2017 Vorsitzender der rechtsprechenden Kammer der FIFA-Ethikkommission. In diesem Amt verurteilte er unter anderem Sepp Blatter und Michel Platini. Zudem war er von 2005 bis 2015 Vorsitzender Richter der Grossen Wirtschaftsstrafkammer beim Landgericht München I.
Dr. René Paasch arbeitet als Sportpsychologe unter anderem mit den Schwerpunkten Führung und Teamentwicklung, Kognitives Training, Sportpsychologisches Training und Coaching mit Kindern. Er lehrt zudem an der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport in Unna.

Verwendete Quellen:

  • Telefonische Gespräche mit Hans-Joachim Eckert und Dr. René Paasch
  • FIFA.com: Regulation on the Status and Transfer of Players August 2021
  • Fussballtransfers.com: "Musiala-Kategorie": So gut ist Bayerns Neuverpflichtung Zvonarek
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