Ein Hoch auf Karl Wald – das muss man an dieser Stelle einfach mal loswerden. Wir verdanken ihm die spannendsten Momente dieser Weltmeisterschaft in Katar.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Günter Klein dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Karl Wald? Ein Deutscher. Gebürtiger Hesse, später in Bayern ansässig. Er starb 2011, mit über 90 Jahren. Er war Fussball-Schiedsrichter. Nicht in den höchsten Ligen. Trotzdem geht auf ihn eine Revolution zurück. Früher nämlich wurde anders verfahren, wenn Fussballspiele durch eine Verlängerung keinen Sieger gefunden hatten.

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Das Spiel wurde zwei, drei Tage später neu angesetzt. Oder wenn es gar nicht anders ging, entschied die Münze. In den 60er-Jahren wurde auf diese Weise sogar ein Europacup vergeben. Oder erinnern wir uns an 1974: Da gewann der FC Bayern München nach einer Wiederholung des Landesmeister-Finales den Henkelpott.

Karl Wald hatte die Idee: Lasst uns lieber ein Elfmeterschiessen veranstalten. Er testete das Format heimlich bei Jugend- und Amateurturnieren. Vor 52 Jahren brachte er den Antrag beim Bayerischen Fussball-Verband ein – und von dort machte das Elfmeterschiessen Karriere bis in höchste Kreise. Die EM 1976 in Belgrad wurde per Elfmeter-Krimi entschieden, das war die Premiere; beide Teams, Deutschland und die CSSR, einigten sich vor Anpfiff kurzfristig darauf – Uli Hoeness lieferte dann das erste grosse Versagen der Geschichte des Elfmeterschiessens.

In Katar geht es in Sachen Elfmeterschiessen richtig schön rund. Ein Achtel- und zwei Viertelfinals gingen über die Extrarunde – und es stehen noch weitere K.o.-Spiele an, in denen jeder versucht, so lange wie möglich ohne Gegentor zu bleiben. Die Wahrscheinlichkeit auf Dramen steigt.

Obwohl Elfmeter entscheiden können – keiner übt sie so richtig

Elfmeter sind ein lockeres Spielchen nach dem Training, "aber den Druck der Situation kann man nicht simulieren", wie der niederländische Trainer Louis van Gaal sagte. Von brasilianischer Seite war zu hören: "Wir geben den Spielern nicht vor, wie sie zu schiessen haben". so Coach Tite.

Dabei gäbe es klare Erkenntnisse, der Schuss aus elf Metern ist wissenschaftlich ausgedeutet. Die österreichische Physikerin Sigrid Thaller und ihr Landsmann und Fachkollege Leopold Mathelitsch haben es ausgerechnet. Ideal ist der flache Schuss mit 100 km/h ins Eck, möglichst nahe am Pfosten. Dann ist der Ball 0,4 Sekunden lang unterwegs. Der Torhüter benötigt eine Zehntelsekunde, um zu erfassen, wohin er sich begeben muss – und die verbleibenden 0,3 Sekunden reichen nicht, um die Masse des Körpers dorthin zu bringen, wo der Ball sein wird.

Die Physik setzt also klare Grenzen. Bei halbhoch geschossenen Bällen hat der Torhüter noch eine Chance – denn halbhoch liegt auf dem Weg. Eine Alternative für den Schützen ist auch der wuchtige hohe Schuss, denn ins Fliegen kommt ein Keeper in ein paar Zehntelsekunden nicht.

Stärker als die Wissenschaft ist die Eitelkeit der Spieler

In die Mitte schiessen, weil man davon ausgeht, der Torhüter würde sich in eine Ecke werfen, oder wie Robert Lewandowski und Lionel Messi einen Tick warten, wohin sich das Gegenüber orientiert und dann lässig in die andere Ecke schieben – sieht cool aus, kann einen aber im Fall des Misslingens dastehen lassen wie einen Stümper.

Vor einem Fehlschuss ist halt keiner sicher. "Auch die besten Elfmeterschützen haben nur eine Erfolgsquote von 85 Prozent", sagt Englands Teammanager Gareth Southgate. Bei verschossenen Elfern kann den Engländern niemand etwas vormachen. Und dass England vom Punkt verballert, das ist eine grosse Erkenntnis des Fussballs, die uns alle Turnierjahre beschäftigt, bestätigt, erheitert. Gäbe es ohne den Rebellen Karl Wald nicht. Dafür danke.

Interessiert Sie, wie wir über die WM in Katar berichten? Wir haben unsere Beweggründe in einem Text für Sie zusammengefasst.

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Auch 56 Jahre nach dem WM-Triumph im heimischen Wembley-Stadion rennt England einer Wiederholung dieses Siegs vergeblich hinterher. Im Viertelfinale in Katar ist Weltmeister Frankreich die glücklichere Mannschaft - weil sich Englands Kapitän Harry Kane einen Strafstoss zuviel zutraut. (Teaserbild: Getty Images/Julian Finney)
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