Wenn am Wochenende die Leichtathletik-WM in Tokio startet, hat Japans Hauptstadt nach dem Corona-Olympia vor vier Jahren eine neue Chance, die Sportwelt von sich zu begeistern. Und endlich das Nationalstadion zu füllen, das 2021 leer bleiben musste.
Als die Fackel feierlich ins Stadion getragen, der Kessel zum lodernden Feuer geworden war, hätte eigentlich Jubel durch die Arena tosen müssen. Denn
Es sind Bilder, die sich ins internationale Sportgedächtnis eingebrannt haben. Vier Jahre ist es her, dass Tokio die Olympischen Sommerspiele ausgerichtet hat, die grösste Sportveranstaltung der Welt. Aber weil sich zu Anfang des Jahres 2020, für das die Spiele eigentlich geplant waren, Covid-19 global ausgebreitet hatte, wurde das Event um ein Jahr verschoben. Da auch im Sommer 2021 die Pandemie noch nicht zu Ende waren, fand "Tokyo 2020" mit einem Jahr Verspätung vor Geisterkulissen statt. Die Stadien blieben leer.
Japan bekommt mit der Leichtathletik-WM eine neue Chance
Nun aber hat die japanische Hauptstadt noch einmal die Chance, ein bisschen von der Sportpartystimmung zu erzeugen, die sie sich damals gewünscht hätte. Ab Samstag startet im Nationalstadion, das vor vier Jahren aufwendig neu gebaut worden war, um dann leerzustehen, die Leichtathletik-WM. Rund 2.000 Athletinnen und Athleten aus aller Welt kämpfen über neun Tage (13.-21. September) in 49 Wettbewerben um Medaillen und Weltrekorde.
Highlights gibt es an jedem der Wettkampftage. Zwei werden am Sonntagabend Ortszeit erwartet, wenn bei den Frauen und Männern das Finale im Sprint über 100 Meter stattfindet. Einen Tag später ist Stabhochspringer
Das Stadion war teuer und soll jetzt endlich glänzen
Gut 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauer passen in die runde Arena, die der japanische Architekt Kengo Kuma mit vielen Holzelementen versehen hat, von der Fassade bis zur Decke unterm Dach. Von der Aussenseite hängen Pflanzen herab, sodass sich das Stadion harmonisch in den Meiji-Park fügt, dessen Hauptrolle eigentlich ein grosser Schrein ist. Bevor das jetzige Nationalstadion hier für umgerechnet mehr als eine Milliarde Euro gebaut wurde, war an selber Stelle bereits das Olympiastadion der Spiele von 1964.
So hielten viele Stimmen den teuren Neubau für Geldverschwendung. Zumal sich Stadien auch deutlich billiger bauen lassen. Als etwa Unterstützerinnen und Unterstützer des FC St. Pauli dieses Jahr eine Genossenschaft ins Leben riefen, um ihrem Verein finanziell zu helfen, indem sie ihm die Mehrheitsanteile am fast 30.000 Zuschauer fassenden Millerntor-Stadion abzukaufen, waren dafür nur knapp 30 Millionen Euro nötig, wie es auf der Website heisst.
Das Stadion kostet ein Vermögen – und stand lange leer
Was Kritiker noch zusätzlich reizt: Nach den Olympischen Spiele von 2021 wurde das Stadion zunächst kaum genutzt. Der öffentliche Sektor musste den Unterhalt mit jährlich an die zwei Milliarden Yen (rund elf Millionen Euro) unterstützen. Selbst nachdem im Mai ein Konsortium, bestehend aus der Fussballliga J-League und dem Ex-Telekommunikationsmonopolisten NTT, die Geschäfte übernommen hat, wird das Nationalstadion laut "asahi.com" noch subventioniert.
Dies ist nur einer von mehreren Gründen, warum der japanischen Gesellschaft der Appetit an der Austragung von Sportgrossveranstaltungen abhandengekommen ist. Im Vorfeld von "Tokyo 2020" hatten die Organisatoren getönt, das Event werde eine internationale Party ohne Kosten für den Steuerzahler. Am Ende aber hat Tokio mehrere Milliarden Verlust gemacht – mit einem Event, das vor leeren Rängen offenbar nur noch für die zahlenden Sponsoren durchgezogen worden war, wie die "Zeit" berichtet.
Als die Spiele schliesslich mit einem Jahr Verspätung begannen, waren laut Umfragen mehr als 80 Prozent gegen die Austragung. Verwöhnung mit dem Event gab es teilweise, zumal Tokio dann doch schöne TV-Bilder lieferte – dem Monopol des IOC auf TV-Bilder aus den Stadien sei Dank. Doch kurz nach Ende der Spiele versank "Tokyo 2020" wieder in Korruptionsskandalen. So unbeliebt war Olympia dann, dass das nordjapanische Sapporo seinen Plan, die Winterspiele 2030 auszutragen, laut "Deutschlandfunk" lieber begraben hat.
Happy End mit der Leichtathletik-WM?
Die Leichtathletik-WM soll nun also für Versöhnung sorgen. Takashi Takeichi von der Tokioter Metropolregierung, der auch dem Organisationskomitee angehört, scheint das Ausmass dieser Herausforderung zu verstehen. "Wenn wir eine tadellose WM abliefern, können wir damit beweisen, dass Tokio eine Topdestination für den Weltsport ist", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Wobei Takashi zugab: "Gelingt es uns nicht, die Öffentlichkeit zu bewegen, wird es umso schwieriger, Vertrauen wiederzugewinnen."
Jetzt wird einiges von dem wieder ausgegraben, was schon 2020 geplant gewesen war, inmitten der Pandemie aber nicht umgesetzt werden konnte. Ein Beispiel ist ein "host city"-Programm, mit dem Regionen oder Städte in Japan nationale Athletendelegationen empfangen und beherbergen. Die Präfektur Gifu etwa versteht sich laut japannews.yomiuri.co.jp als Gastgeberin für Kanada. Für den Empfang der Sportler aus dem nordamerikanischen Land an diesem Wochenende hat eine Schule die kanadische Nationalhymne auswendig gelernt.
Empfehlungen der Redaktion
Hintergedanke bei solchen Vorhaben: Dem japanischen Nachwuchs soll der Austausch mit anderen Kulturen, der Blick in die weite Welt erleichtert werden. Eines der Dinge eben, was eigentlich schon "Tokyo 2020" hätte liefern sollen. Und auch das traurigste Olympiastadion der Welt wird bei der Leichtathletik-WM endlich strahlen.
Verwendete Quellen
- fcspeg.com: FC St. Pauli Genossenschaft – Eine andere Finanzierung ist möglich!
- asahi.com: NTT Docomo heads group to operate National Stadium
- zeit.de: Die Karikatur von Olympia
- deutschlandfunk.de: Warum Sapporo die eigene Bevölkerung nicht fragen will
- yomiuri.co.jp: Japanese Volunteers Who Missed Chance at Tokyo Games Raring to Go as World Athletics Championships Approaches