Nach dem Viertelfinal-Aus bei den French Open wartet Tennis-Star Alexander Zverev weiter auf seinen ersten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier. Bei Wimbledon hat er die nächste Chance. Sportpsychologe Jürgen Walter erklärt im Interview, wie es klappen könnte – und wo Zverevs Probleme liegen.
Bei den Australian Open Anfang des Jahres scheiterte er erst im Finale an Ausnahmespieler Jannik Sinner, bei den French Open war gegen Altmeister Novak Djokovic bereits im Viertelfinale Schluss: Noch immer hat Deutschlands Tennis-Star
Bitteres Zverev-Aus bei den French Open
Nach dem Aus gegen
Zverev startet ohne grosses Erfolgserlebnis ins Wimbledon-Turnier in London. Im Finale des ATP-Turniers in Stuttgart verlor er im Finale gegen Angstgegner Taylor Fritz, beim darauf folgenden Rasen-Turnier in Halle scheiterte der 28-Jährige im Halbfinale an Daniil Medwedew. Sportpsychologe Jürgen Walter erklärt im Interview unter anderem, wie sich die zuletzt gezeigten Leistungen auf Wimbledon auswirken könnten – und warum Zverev auf einen Mentaltrainer setzen sollte.
Sportpsychologe: Vielleicht ist Zverev auch zu unentspannt
Herr Walter, warum hat es bislang noch nicht mit dem ersten Grand-Slam-Titel für Alexander Zverev geklappt?
Im Grunde gibt es zwei mögliche Antworten. Die erste wäre, weil die spielerische Qualität dafür einfach nicht ausreicht. Dass ein zweiter Platz oder ein Aus im Viertelfinale der French Open schon das Maximum der Möglichkeiten auslotet. Aber das würde ich bei Zverev nicht sagen.
Sondern?
Im Grunde hat er die spielerische Qualität, auch noch den allerletzten Schritt zu machen, um so ein Turnier zu gewinnen. Vielleicht ist er da auch zu unentspannt. Das soziale Umfeld erwartet, dass er gewinnt. Die Sponsoren, die Trainer – alle erwarten, dass er doch jetzt mal gewinnt. Und genau das kann das Problem sein, dass er dann diese Lockerheit nicht hat, diese mentale Stärke, unabhängig vom Druck von aussen, einfach sein Spiel zu spielen. Die Freude auf den Erfolg muss der Sorge vor dem Misserfolg überwiegen – und da bin ich nicht ganz sicher, ob das bei Zverev so ist.
Immer wieder schimpft Zverev nach Fehlern auf dem Court, spricht dabei auch häufig aufgebracht in Richtung seiner Box. Muss Zverev seine Emotionen mehr im Griff haben, um (noch) erfolgreicher zu sein?
Das Thema Emotionskontrolle ist immer wichtig. Wenn ein Tennisspieler während des Spiels schimpft und flucht und im Extremfall auch mal seinen Schläger zerlegt, dann soll er es tun, solange es im Rahmen der Regeln ist und ihm nutzt. Aber in der Regel hilft das nicht, die Spieler kommen dadurch aus dem Konzept – das merke ich auch bei den Sportlern, die ich betreue. Ich sehe auch häufig, egal in welcher Sportart, dass die Spielerinnen und Spieler, wenn es etwas nicht klappt, plötzlich zu ihren Trainern oder anderen Leuten gucken. Da frage ich mich immer: "Nutzt euch das denn was? Können die euch gerade helfen? Nein, können sie nicht. Ja, dann bleibt doch bei euch." Aus meiner Sicht ist es immer eine kleine Ablenkung, auf den Trainer zu schauen – das ist in der Regel nicht erfolgreich.
"Warum hat er denn keinen Sportpsychologen, aber einen Physiotherapeuten oder einen Koordinations- oder Konditionstrainer oder vielleicht noch einen Ernährungsberater."
"Ich glaube, der einzige Mensch, der mir in so einer Situation helfen kann, bin ich selbst", hat Zverev im April gesagt. Im Gegensatz zu vielen anderen Top-Spielern hat er keinen Mentaltrainer. Sollte er sich einen zulegen?
Ich würde noch eine andere Frage stellen. Warum hat er eigentlich keinen Mentaltrainer? Wovor hat er denn Angst? Und warum hat er denn keinen Sportpsychologen, aber einen Physiotherapeuten oder einen Koordinations- oder Konditionstrainer oder vielleicht noch einen Ernährungsberater. Warum lässt er die Sportpsychologie da ganz blank aussehen? Das macht keinen Sinn. Wovor hat er Sorge?
Sie sagen also, er müsste seinen Kopf genauso trainieren wie seinen Körper?
Zumindest sollte er die Offenheit dafür haben. Es kann ihm ja nur nutzen.
Zverev nennt nach Niederlagen immer wieder äussere Einflüsse als Gründe, warum er nicht gewonnen hat. Mal sind es die Bälle, mal das Wetter, mal der Schläger. Kritiker sprechen von Ausreden. Ist Zverev zu wenig selbstreflektiert?
Ja! Ich sage meinen Sportlern immer: "Leute, ich kann es doch auch nicht besser." Aber Sieger haben einen Plan und Verlierer haben Ausreden. Ausreden, Ausreden, Ausreden, warum irgendetwas nicht klappt. Klar, wenn Zverev das hier liest, wird er sich natürlich sehr echauffieren und sagen, ich habe keine Ahnung. Ich sage auch nicht, dass ich recht habe und die anderen unrecht. Aber genau darum es geht es doch: Die Fähigkeit zu haben, ein Fremdbild anzunehmen. Wie nehme ich eine Situation wahr und wie nimmt es jemand anders wahr? Diese Erkenntnis ist ein Geschenk und sehr hilfreich. Probleme auf andere Dinge zu schieben, hilft ja nichts. Der Gegner hat ja die gleichen Probleme – er spielt mit dem gleichen Ball, auf dem gleichen Boden, mit dem gleichen Wind, es ist alles gleich. Also es hat keinen Sinn, die Gründe ausserhalb zu suchen, sondern ich muss sie bei mir suchen. In diesem Zusammenhang gibt es auch die schöne 3A-Methode.
Die da lautet?
Ich sollte nach einer Niederlage das Ganze analysieren, ich sollte es dann aber auch akzeptieren und anschliessend muss ich es abhaken. Nicht hadern und auch nicht ins nächste Spiel mitnehmen. Man sollte das übrigens auch nach einem Sieg anwenden und überlegen, was heute gut lief. Also: Analysieren, akzeptieren, abhaken. Die Fehler aussen zu suchen, ist nicht hilfreich.
"Wir sind doch alle Menschen und keine Maschinen."
Nach dem Viertelfinal-Aus bei den French Open verlor Zverev das Finale in Stuttgart, erst kürzlich schied er in Halle im Halbfinale aus. Startet Zverev Ihrer Meinung nach mental angeknackst in die heisse Phase der Wimbledon-Vorbereitung?
Zverev ist ja nicht mental schwach, sonst könnte er ja gar nicht auf diesem hohen Niveau spielen. Nur spielerisch kann man das nicht lösen. Aber es kann mir keiner erzählen, dass die Niederlagen zuletzt nicht doch auch in seinem Kopf sind. Wir sind doch alle Menschen und keine Maschinen. Die Frage lautet: Inwieweit habe ich diese Negativ-Erlebnisse im Kopf im Griff und wie viel Einfluss gebe ich Ihnen im Hinblick auf mein nächstes Spiel?
Nach den Australian Open Anfang des Jahres, bei denen Zverev erst im Finale verlor, fiel er in ein Formloch. Im Mai sagte er, dass er "mental ein wenig ausgebrannt war". Wie hart ist das Tennis-Business aus sportpsychologischer Sicht?
Ich habe schon eine Menge Tennisprofis beraten, allerdings nicht die Weltspitze, die auf diesem hohen Niveau ständig durch die Welt fährt. Da gibt es Reisestrapazen, Jetlag, fremde Hotels, Presse und diese ganzen Sachen, die da eine Rolle spielen. Es gibt also nicht nur die extreme körperliche Anspannung. In der Tennisbranche ist aus sportpsychologischer Sicht noch vieles ungenutzt. Es gibt zum Beispiel das System der Schallpause.
Können Sie das genauer erklären?
Bei der Schallpause hört die Sportlerin oder der Sportler Entspannungsmusik, die mit Schallwellen untermalt ist, die das Regenerationszentrum ansprechen. Klar, da geht es darum, ob man an so etwas glaubt oder nicht. Aber es ist eine neue Wissenschaft, und sie funktioniert! Ich habe einen Judo-Kämpfer beraten, der ist hinterher Weltmeister geworden. Der konnte nicht abschalten und nicht schlafen, weil er quasi Tag und Nacht gekämpft hat. Er hat vom Kämpfen geträumt und als er aufgewacht ist, hat er an einem imaginären Gegner gerüttelt. Nach der Schallpause konnte er dann wieder besser schlafen – und war erfolgreich. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mental zu stärken oder auch von der Anspannung runterzukommen.
Wie wichtig ist das Mentale bei einem Einzelsport wie Tennis im Vergleich zu einem Mannschaftssport wie zum Beispiel Fussball?
Im Einzelsport ist das natürlich noch wesentlich wichtiger. Da treffe ich auf jemanden, der in der Weltrangliste tiefer ist und schon bin ich unter Druck und muss gewinnen. Ich habe eine Tennisspielerin betreut, die war zu diesem Zeitpunkt die Nummer 528 der Welt und sie hat bei einem Turnier die Nummer 212 besiegt. Danach hat sie zu mir gesagt, wenn sie gewusst hätte, dass sie gegen die 212 spielt, hätte sie auf keinen Fall gewonnen. Wenn ich beim Tennis ungefähr gleich stark bin – und selbst, wenn ich nicht gleich stark bin – habe ich eine Chance. Wenn es da im Kopf nicht stimmt, dann kann ich nicht erfolgreich sein. Und selbst wenn die Nummer 500 gegen die Nummer 200 spielt, dann ist nicht die Frage, wer gewinnt, sondern wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nummer 500 gewinnt. Vielleicht liegt sie bei zehn oder sogar nur fünf Prozent, aber ja nicht bei Null.
Sportpsychologe glaubt an Grand-Slam-Erfolg von Zverev
Zverev wird inzwischen von seinem eigenen Vater trainiert. Kann das funktionieren?
Oh, das ist problematisch. Das heisst aber nicht von vornherein, dass das gar nicht geht. Aber die Beziehung zwischen Vater und Sohn hat ja im Grunde ein ganzes Leben geprägt. Da hat man viele schöne Dinge, aber vielleicht auch Enttäuschungen erlebt. Vielleicht gibt es auch Dinge, die nie angesprochen wurden. Also ich finde es kompliziert, aber wenn das so entschieden ist, dann sollte man es auf jeden Fall machen und probieren. Aber die vielen Trainerwechsel bei Zverev zeigen ja auch eines wieder: Die Fehler liegen beim Trainer und nicht bei mir selber. Das wird beim Vater als Trainer genauso wieder ausgehen. Das muss man beobachten.
Denken Sie, Alexander Zverev wird in seiner Karriere noch einen Grand-Slam-Titel gewinnen?
Wenn er das locker angeht und nicht versucht zu erzwingen, wenn er mit viel Spielfreude und mentaler Stärke rangeht, dann gewinnt er noch ein Turnier.
Über den Gesprächspartner
- Jürgen Walter ist Diplom-Psychologe, Sportpsychologe und Vorstandsvorsitzender im Verband der praktischen Sportpsychologie e.V. Daneben ist Walter Lehrbeauftragter der Fresenius Hochschule Düsseldorf und der Deutschen Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin. Der Sportpsychologe praktiziert in Düsseldorf.