Als österreichischer Wintersportler hat man mehr als acht Millionen heimische Skisprungexperten und Psychologen hinter sich. Gregor Schlierenzauer kann davon ein Lied singen. Im Interview mit GMX erklärt er, wie er damit umgeht.

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Das Wichtigste vorweg - wie geht es Ihnen? Wie schwer sind die Verletzungen nach Ihrem Sturz?

Gregor Schlierenzauer: Es geht mir den Umständen entsprechend. Ich habe Prellungen und Hämatome, die sich aber schon in den nächsten Tagen bessern werden. Das Kreuzband hat gehalten, im Zuge einer MRI-Untersuchung wurde allerdings auch eine starke Zerrung bis zu einem leichten Einriss des Seitenbandes festgestellt.

Die in Bälde startende Nordische Ski-WM in Lahti ist klarerweise Teil Ihres Masterplans. Aber werden Sie bis dahin überhaupt fit?

Das ist jetzt noch nicht abschätzbar. Ich kann den Heilungsprozess leider nicht beeinflussen, aber meine mentale Einstellung geht jedenfalls klar in diese Richtung. Entscheidend wird letztlich die körperliche Verfassung sein.

Wie sind Sie denn eigentlich mit dem bisherigen Verlauf Ihres Comebacks zufrieden?

Lassen Sie es mich so sagen: Es ist ein Wiedereinstieg, weniger ein Comeback. Und ich darf mich bei meinem Umfeld, dem Trainerstab und den Serviceleuten, wirklich bedanken. Ich fühle mich sehr gut in das Team eingebettet, und das gibt mir Mut beim Vorankommen.

Zudem bin ich der Überzeugung, dass das Potenzial, das in mir schlummert, schon in naher Zukunft immer besser abrufbar sein wird. Zu Ihrer Frage: Grundsätzlich bin ich mit meinem derzeitigen Weg zufrieden.

Als Kind haben mich die exotischen Namen der Skispringer unglaublich begeistert: Die Namen Ole Gunnar Fidjestøl, Primož Ulaga und Tuomo Ylipulli waren Musik in meinen Ohren. Welche Namen waren es bei Ihnen?

Bei mir waren es Namen wie Sven Hannawald, Thomas Morgenstern, Andi Goldberger oder Martin Schmitt – die haben vielleicht weniger exotisch geklungen, aber mindestens genauso laut, wenn nicht lauter.

Im Jänner 2016 meinten Sie, nachdem Sie die Schanzentournee verlassen hatten: "Es passt so ganz und gar nichts zusammen und mir fallen auch keine Antworten mehr ein." Welche Antworten haben Sie gefunden - oder haben Sie einfach andere Fragen gestellt?

Beim Reflektieren dieser Zeit habe ich für mich festgestellt, dass es im Leben schwierige Situationen gibt, in denen sich Fragen auftun, auf die es aber keine unmittelbaren Antworten gibt. Wenn man, so wie ich, mit 16 Jahren bereits gewinnt, impliziert das, dass man bereits jahrelange intensive und professionelle Arbeit hinter sich hat. Ich denke, ich habe mich damals einfach gefragt, ob ich ...

... das alles überhaupt noch will?

Genau. Allein die Beschäftigung mit dieser Frage und Thematik hat dann schon meine Aufmerksamkeit von dem abgelenkt, was es braucht, um im Sport erfolgreich zu sein.

Monate später, Ende 2016, haben Sie dann erklärt, dass Ihnen im Grunde nichts Besseres als die Verletzung passieren hätte können. Inwiefern? Hätte für einen Neustart nicht einfach auch eine Pause gereicht?

Essenziell ist, dass man auch geistig eine Pause macht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich, wäre die Verletzung nicht passiert, zu früh wieder mit dem Training begonnen und somit die Auseinandersetzung mit dieser schwierigen, aber konstruktiven Zeit zu früh abgebrochen hätte.

Somit wäre es wohl zu keiner wirklichen Konfrontation mit der Thematik gekommen, sondern es wäre eher eine Flucht davor geworden. Soll heissen: Die Verletzung hat mich dazu gezwungen, eine Pause einzulegen und mich mit grundlegenden Fragen zu befassen, was damals für mich alles andere als einfach war.

Training macht mit Sicherheit nicht immer Spass, gibt’s auch so richtig lustloses Springen?

Wie in jedem Job gibt es auch in meinem Momente, in denen einen vorrangig die Disziplin antreibt. Grundsätzlich kann ich aber schon sagen, dass mir das, was ich tue, sehr, sehr viel Spass macht.

Sportler, die bereits in jungen Jahren grosse Erfolge feiern und massiv dem Rampenlicht ausgesetzt sind, erleben häufig einen unglaublich schnellen Reifeprozess. Sie werden rasch erwachsen. Woran liegt das?

Man erlebt als junger und erfolgreicher Sportler in sehr komprimierter Zeit Extremsituationen, so auch enorme Höhen und Tiefen. Will man weiterhin reüssieren, muss man sich mit diesen Ups and Downs intensiv auseinandersetzen. Und diese eingehende Beschäftigung führt vermutlich zu einem raschen Reifeprozess.

Wir Österreicher sind ja nicht nur allesamt erstklassige Fussball-Teamchefs, sondern auch kompetente Sprungtrainer und exzellente Psychologen, die sofort für alles einen Befund bei der Hand haben und wissen, woran es hapert. Wie geht man damit um?

Ich kann das verstehen. Alle Menschen sind in ihrem Leben mit herausfordernden Situationen konfrontiert, die, subjektiv betrachtet, für den Einzelnen dramatisch sind. Jeder Einzelne hat in unterschiedlicher Form einen Zugang zur Lösung seines Problems.

Deshalb ist auch die Motivation da zu helfen. Ich habe gelernt, diese Ratschläge zu reflektieren und zu spüren, was in der momentanen Situation für mich selbst wichtig ist. Die Eigenverantwortung beizubehalten, ist das Ziel.

Zurück nach Lahti. Sollten Sie dort antreten können: Wo liegen Ihre Erwartungen?

Eine Weltmeisterschaft ist immer ein Ziel für einen Spitzensportler. Erwartungen können sich erfüllen oder nicht erfüllen. Deshalb ist mein Fokus nicht auf Erwartungen gerichtet, sondern auf jene technischen Aufgaben, die nötig sind, um gute Sprünge zu machen.

Ich habe die Sicherheit, weil ich in einer guten Mannschaft mit einem guten Trainerteam gut vorbereitet bin.

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