Olivia Briegel war eine bei Männern umstrittene Chefin: Im Bauunternehmen als auch im Fussballklub nebenan. Als sie brutal ermordet wird, bekommen es Kommissarin Luschke und Kollege Ross an der deutsch-polnischen Grenze nicht nur mit verschlossenen Teenagern zu tun.
Ein Gerüstbau-Unternehmen und ein Fussballverein – wenn man Schauplätzen ein Geschlecht zuweisen wollte, ginge es kaum männlicher. Maschinen, Metall und muskelbepackte Männer auf dem Firmengelände, und nebenan pubertierende Jungs im Kampf um den Ball.
Aber das Unternehmen hatte eine Frau als Geschäftsführerin, die zugleich die Präsidentin des Fussballklubs war. Und jetzt liegt Olivia Briegel brutal erschlagen und in einem Müllsack verpackt auf dem LKW ihres Angestellten Patryk Dobosz (Albert Tallski). Der haut erstmal seinem Kollegen Jakub Sobinski (Adrian Topol) eins in die Fresse: Jakub habe Olivia verachtet und wollte selbst Chef der Firma werden, wird er den Ermittlern sagen. Kommissar Vincent Ross (
Ungewöhnlich: Ein Mord voll brutaler Wut, aber genau geplant
Denn der Mord sehe nach einem "Overkill" aus, findet Vincent Ross: aufgestaute Wut, die sich unkontrolliert entlädt. Die Täter seien meist Männer, verschmähte Liebhaber zum Beispiel. Also konzentriert sich die Suche auf die Männer in Olivia Biegels Umfeld. Da sind Patryk und Jakub, da ist ein abwesender Ex-Mann, aber da ist auch der Fussballtrainer vom Verein nebenan.
Olivia Briegels alter Schulfreund Hannes Kirchner (Hanno Koffler) trainiert die Jungenmannschaft erst seit zwei Monaten. Den früheren Trainer Pawel Nasiadka (Ivan Shvedoff) hat sie wegen Alkoholproblemen entlassen – gegen den Willen der Jungen, zu denen auch Olivias 13-jähriger Sohn Marco (Len Blankenberg) gehört.
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Die Tatperson hat den Mord genau und gut geplant – ungewöhnlich für einen Overkill: Zur Tatzeit sassen alle in Pawels Kneipe, um sich das EM-Viertelfinale Deutschland gegen Spanien anzusehen. Natürlich seien alle da gewesen, sagen alle. Aber nein, sicher seien sie sich nicht, sagen auch alle, man habe ja aufs Spiel geachtet. Männer unter sich.
"Polizeiruf 110": Das Fussballturnier ist wichtiger als die Tat
Geschlechterrollen sind wichtig in dem neuen "Polizeiruf 110" von der deutsch-polnischen Grenze. Es ist unter anderem der aufmerksame Blick auf Rollenvorstellungen, der "Spiel gegen den Ball" (Buch: Michael Fetter Nathansky, Daniel Bickermann und Christian Werner, der auch Regie geführt hat) zu einem packenden Krimi macht. Wenn Identifikationsfiguren und Erwartungshaltungen, die innerhalb der Familie und in sozialen Umfeldern wie einem Fussballverein so wichtig sind, derart heftig aufeinanderprallen, sorgt das für eine Fülle an Motiven und Verdächtigen.
Olivia, so stellt sich bald heraus, hatte nicht viele Fans. Immer stand sie unter Strom, forderte von sich und anderen Bestleistungen. Wer die nicht brachte, sass auf der Bank – im Fussball, und offenbar auch zuhause. Es scheint, als habe Olivia Briegel ihre Mutterrolle ausgefüllt wie ihre Stellung als Geschäftsführerin: effizient und pragmatisch. Sohn Marco wirkt verstört, aber gleichzeitig seltsam unbeteiligt.
Auch die Befragung seiner Freunde gestaltet sich schwierig. Es ist nicht leicht, an diese Teenager heranzukommen, die der brutale Mord weniger zu beschäftigen scheint als ein bevorstehendes Turnier, für das sich ein Talentscout angekündigt hat. Vor allem Kevin (Franz Ferdinand Krause) ist wütend über die Ablenkung durch die Ermittlungen. Der talentierte Spieler setzt all seine Hoffnungen darauf, endlich "aus diesem Dorf" herauszukommen.
Bei Pommes und Ketchup lässt sich gut reden
Die Besetzung des Ermittlerteams, dessen Mitglieder im grenzübergreifenden "Polizeiruf" des rbb von Folge zu Folge wechseln, ist für diesen Fall perfekt gewählt. Kommissar Vincent Ross schert sich um Fussballromantik ungefähr so sehr wie um Geschlechtszuschreibungen. Die Offenheit und Unbekümmertheit, mit der er auf andere Menschen zugeht und seine Fragen stellt, machen seine Ermittlungen effektiv und einfühlsam zugleich. Alexandra Luschke mit ihrer ruppigeren Art und ihrem trockenen Humor ist für die Investigation in diesem testosterongesättigten Umfeld die perfekte Ergänzung.
Ross und Luschke zeigen Respekt für die verschlossene Welt des kleinstädtischen Amateurfussballs, aber sie bleiben beharrlich. Die beiden beobachten, mit leicht ironischem, aber aufmerksamen Blick. Gespräche werden auf den Bänken im Stadion geführt, bei Pommes und Ketchup, oder in Teenagerzimmern, mit behutsamem Abstand. So kommen sie langsam, aber stetig Motiv und Täter auf die Spur. Und langsam, aber stetig gewinnt "Spiel gegen den Ball" an Intensität und entwickelt sich zu einem schockierenden menschlichen Drama.