Die Gegner der "depperten Demokratie": Im sendungsbewussten Action-"Tatort: Wir sind nicht zu fassen!" müssen sich die Wiener Ermittler mit Verschwörungstheoretikern und dem Verfassungsschutz herumschlagen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

In Amerika regiert Donald Trump. In Deutschland ist die rechtsextreme AfD die zahlenmässig zweitstärkste Partei im Bundestag. Österreich schlitterte nach den Abgeordnetenwahlen im September knapp an einer rechtsextremen Regierung vorbei.

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Und jetzt sind auch noch die Wiener "Tatort"-Ermittler Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) von versponnenen Verschwörungsschwurblern umgeben: Demonstranten marschieren auf das Wiener Regierungsviertel zu. "Wichtig ist der Widerstand, friedlich oder militant", skandieren sie. "Wir sind nicht zu fassen!", steht auf einem ihrer Plakate.

Das umschreibt die Motivation der Protestierenden ziemlich treffend - keine gemeinsamen Ziele, nur ein grimmiges Dagegen: gegen den Staat, seine Polizei, "die depperte Demokratie", die "Mainstream-Medien", die "Mainstream-Wissenschaft", und so weiter, und so fort. Es geht um "die da oben", von denen man sich bevormundet fühlt, weil man selbst neuerdings alles besser weiss.

"Tatort" aus Wien: Die Schlagstöcke der Polizei

Einer von ihnen war Jakob Volkmann (Tilman Tuppy). Der 24-Jährige und seine Freundin Katja (Julia Windischbauer) sind ganz vorne mitmarschiert. Doch jetzt ist Jakob tot. Liegt in einer Blutlache zwischen leeren Pappbechern und Papierfetzen. Seine Freundin irrt fassungslos durch die Stadt. Bald wird sie im Zentrum der Ermittlungen stehen und für eine überraschende Wende im Fall sorgen.

Noch aber wissen die Ermittler nichts von Katja, als sie am Tatort stehen. Auf den ersten Blick sieht es ganz nach Polizeigewalt aus. Bibi Fellners Blick fällt auf die Schlagstöcke der umstehenden Beamten. Mit ihren kritischen Fragen macht sie sich bei den unterbesetzten und angespannten Polizisten keine Freunde. Auch Moritz Eisner reagiert empört, als Einsatzleiter Markus Schuch (Wolfgang Oliver) das harte Vorgehen seiner Leute verteidigt.

Als kurz darauf jemand einen Molotowcocktail aus einem vorbeifahrenden Wagen gezielt auf Assistentin Meret Schande (Christina Scherrer) und eine junge Polizeibeamtin wirft, die dabei schwer verletzt wird, liegen die Nerven endgültig blank.

Der Verfassungsschutz wird wütend

Doch als Bibi Fellner sich Videoaufnahmen der Demo genauer ansieht, wird sie stutzig. Und noch komplizierter wird der Fall, als die beiden Ermittler erfahren, dass Jakob seit zwei Jahren vom österreichischen Staatsschutz beobachtet wurde.

Weil er und Katja der KAPO angehörten: Die "Kampfbereite Ausserparlamentarische Opposition", so Kollege Schubert (Dominik Warta) vom Nachrichtendienst, sei eine Ansammlung gewaltbereiter Staatsverweigerer mit grossen Überschneidungen zu den Verschwörungstheoretikern von QAnon. Mitglieder der KAPO würden regelmässig staatskritische Demonstrationen unterwandern. Sie seien dezentral organisiert, es gebe keine Mitgliederlisten – auch sie also sind "nicht zu fassen".

Unbeirrt machen sich Moritz Eisner und Bibi Fellner an ihre Arbeit – solide Ermittlungsarbeit, die vor allem darin besteht, dass man mit den Leuten redet, anstatt mit wichtiger Miene geheimnisvolle Aktentaschen durch die Gegend zu tragen. Weshalb das Duo sich bei den Aktenträgern vom Staatsschutz erst einmal unbeliebt macht, weil diese ihre langjährigen Geheimaktionen gefährdet sehen.

Jugendliche Hitzköpfe oder gefährliche Systemgegner?

Regisseur und Drehbuchautor Rupert Henning tut sein Möglichstes, "Wir sind nicht zu fassen" als actionreichen Politkrimi zu inszenieren. Das Persönliche ist politisch – der Polit-Slogan aus den Siebzigerjahren wird beim Sonntagabendkrimi schliesslich zum Erzählgebot: Das Politische muss über das Persönliche erzählt werden. Ein theoretischer politischer "Tatort" ist kein guter "Tatort". Was aber, wenn die Figuren nicht fesseln, weil sie nicht zu fassen sind?

Jakob und Katja erscheinen trotz mehrerer Rückblenden, die ihre Herkunft und Radikalisierung zeigen soll, kaum mehr als blasse jugendliche Hitzköpfe. Auch die finsteren Drahtzieher innerhalb der KAPO wirken nur wegen ihrer Waffen gefährlich, nicht wegen ihrer austauschbaren Slogans.

Gänzlich misslungen ist schliesslich der Versuch, das Gefahrenpotential zu vergrössern, indem plötzlich ein gross angelegter Putschversuch in Gestalt eines grau melierten Edelschwurblers angedeutet wird, der quasi aus dem Nichts in der Geschichte auftaucht.

Immerhin kann man sich für das Persönliche wie üblich vor allem an Bibi und Moritz halten, die nach diesem Fall leider nur noch in drei "Tatorten" ermitteln – gerade haben die Darsteller ihren Abgang angekündigt.

Sie müssen in "Wir sind nicht zu fassen" zwar etwas zu oft besorgt gucken und didaktische Alltagsweisheiten über Dialogbereitschaft und friedliches Miteinander von sich geben. Aber die für die beiden Wiener Ermittler so typische Gelassenheit und grundsätzliche Empathie macht ihre Perspektive des "gesunden Menschenverstandes" tatsächlich menschlich und selten peinlich.

Ein Goebbels-Zitat als Warnung

Die grossen gesellschaftskritischen Themen, die der "Tatort" anschneiden will, müssen das Actiontempo notgedrungen drosseln. Die Frage, wie gefährlich die Kombination aus Inhaltsleere und Meinungsstärke dieser Systemkritiker sind, wird in zahlreichen Gesprächen erörtert.

Meret Schande zitiert gar durchaus treffend Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels: Man werde die Demokratie mit ihren eigenen Waffen schlagen, schrieb dieser einst, und in den Reichstag einziehen wie der Wolf im Schafspelz.

Aber brauchen wir angesichts der politischen Lage in Europa und der Welt wirklich noch einen sendungsbewussten "Tatort", um daran erinnert zu werden, wie fragil Demokratie ist? Vielleicht ist die Realität auch einfach zu ernst, um an zweitklassige fiktionale Feinde zu viele Gedanken verschwenden zu wollen.