Bill und Tom Kaulitz sind Musiker, Podcaster – aber auch Geschäftsmänner. Sie verkaufen Klamotten, Flaschenöffner, Parfüm und bald auch einen eigenen Tequila. In der neuesten Folge ihres Podcasts "Kaulitz Hills" haben die beiden aber für ein Geschäft überhaupt kein Verständnis. Vorsicht: Es könnte unangenehm werden.

Christian Vock
Eine Satire
Diese Satire stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Sollten Sie gerade Sommerferien haben, wird Ihnen aufgefallen sein, dass Ihre Sommerferien bald vorbei sind. Das merken Sie zum Beispiel daran, dass Sie gerade irgendwo auf der Autobahn im Rückreisestau stehen. Zumindest, wenn Sie nicht aus Baden-Württemberg oder Bayern stammen. Leute aus Baden-Württemberg oder Bayern stehen gerade im Hinreisestau.

Dann gibt es aber noch eine Gruppe von Menschen, die zwar auch Ferienende hat, aber weder im Hin- noch im Rückreisestau steht. Von diesen Leuten erzählt Tom Kaulitz in der neuesten Folge "Kaulitz Hills", und mit "diesen Leuten" meine ich Tom Kaulitz. Tom und Toms Frau weilen nämlich schon in der vierten Woche auf der Karibikinsel St. Barth, doch nun heisst es Abschied nehmen, und das behagt Tom so gar nicht.

"Ich muss jetzt packen, ich muss jetzt nach Berlin", erzählt Tom seinem Bruder Bill und verrät: "Ich will hier nicht weg." Das ist verständlich, denn viele Leute wollen nicht nach Berlin. Manchmal glaube ich, dass selbst Berliner nicht nach Berlin wollen. Die stehen dann immer um Berlin herum und wollen einfach nicht rein in ihre Stadt. Deshalb gibt es vor Berlin immer so viel Stau.

Was Toms Freund schon immer machen wollte

Klar, Berliner haben dadurch eine kurze Anreise zu ihren Hin- und Rückreisestaus, weil sie ja schon dort sind, aber das soll heute gar nicht das Thema sein. Tom erzählt nämlich von einem Ereignis, das vor dem Kofferpacken stattfand. "Bill, ich hatte diese Woche ein First", weiht Tom seinen Bruder in eine neue Erfahrung ein, die er schon immer mal habe machen wollen: "Nackt im Meer schwimmen."

Toms Frau habe ihn mehr oder weniger dazu angestiftet, sich im Meer doch einmal seiner Badebuxe zu entledigen. Das habe Tom auch gleich praktiziert und ein ganz neues Gefühl von Freiheit erlebt. Doch Tom steigert diese Anekdote sogleich mit der Frage eines Freundes, und auch hier geht es um eine neue Erfahrung. Der Freund habe Tom nämlich gefragt: "Weisst du, was ich schon immer mal machen wollte?" und sogleich die Antwort mitgeliefert: "Ins Meer kacken."

Tom habe sich sehr über diesen Wunsch gewundert und das noch mehr, als der Freund ihn auf das Verhalten der anderen Strandbesucher um sie herum aufmerksam gemacht und folgendes Fazit gezogen habe: "Es pinkeln alle ins Meer." Ich kann mir gut vorstellen, wie diese Erkenntnis Toms Weltbild verändert hat, umso mehr, da er laut eigener Auskunft selbst kein Ins-Meer-Pinkler sei. Ich kann mir genauso gut vorstellen, dass Tom nun viele Fragen hat, denn die habe ich auch.

Versuchen Sie das nicht bei den Müllers!

Zuerst käme bei mir natürlich die Frage nach der Seriosität der Quelle. Ich kenne Toms Freund nicht, daher kann ich darüber nichts sagen, aber mich erstaunt doch die Absolutheit der Aussage, es würden alle ins Meer pinkeln. Woher weiss er das? Es ist ja nicht so, dass das Meer morgens und abends gewogen wird, um den Tageszuwachs an Fremdflüssigkeit zu ermitteln. Aber gehen wir einmal davon aus, dass die Angabe zur Meer-Pinkelei auf einer soliden Datenbasis beruht. Dann bleibt immer noch die Frage nach dem Warum.

Vielleicht basiert die Meerespinkelei ja auf dem Missverständnis, dass es sich beim Meer um öffentlichen Raum handelt. Das könnte die Leute zu dem Glauben verführen, das Meer gehöre allen, damit also jedem auch ein Stückchen davon, und mit diesem Stückchen Meer könne man machen, was man wolle. Dann aber müsste es schon mit einer gehörigen Portion Zufall einhergehen, wenn man beim Ins-Meer-Pinkeln ausgerechnet das eigene Stückchen Meer erwischt. Dann würde ich nichts sagen.

So aber ist die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch, dass man das Stück Meer eines anderen trifft, und ich finde, hier sollten dieselben ungeschriebenen Gesetze gelten wie an Land. Dort marschiert man ja auch nicht mit der Klorolle unterm Arm aufs Nachbargrundstück und setzt sich mit einem "Auf die Freiheit!" auf den Rasen der Müllers. Ich bin der Meinung, nicht ins Meer zu pinkeln, kann dem Zusammenhalt in einer Nachbarschaft nur dienlich sein.

Tom und die einzig richtige Antwort

Dass man beim Pinkeln ins Meer in seinem eigenen Urin steht, scheint die Menschen hingegen nicht zu stören. Hier gilt offenbar das Badewasser-Paradoxon. Gegen ein Bad in der Wanne hat niemand etwas einzuwenden, auch wenn man dann in seinem eigenen Schmutz schwimmt. Würde man hingegen sein eigenes Duschwasser sammeln und dann hineinsteigen, würde man die Nase über sich selbst rümpfen. Ein eigenartiges Phänomen.

Ich finde ausserdem, nicht ins Meer zu pinkeln ist auch eine Frage der Fairness. Hier kämpfen Fische und Menschen einfach nicht mit den gleichen Waffen, und wir sollten den Umstand, dass ein Kabeljau nicht mal eben aus Rache in unseren Vorgarten urinieren kann, nicht ausnutzen. Wer Kabeljaue nicht ausstehen kann, sollte auf bewährte Mittel wie Mikroplastik, Überfischung, eine Ölpest oder die Erwärmung der Meere setzen. Plump ins Wasser zu pinkeln, ist irgendwie unter unserem Niveau.

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Und vielleicht behagt mir, ebenso wie Tom, das Ins-Meer-Gepinkel ja deshalb nicht. Weil es ein Rückfall in unzivilisierte Zeiten ist. Ein Sinnbild dafür, wie schnell ein Mensch sich gehen lässt, nur weil er glaubt, dabei unbeobachtet zu sein. "Ich glaube, es entleeren sich mehr Leute in Gewässern, als wir das uns vorstellen können", bilanziert Tom, und abgesehen davon, dass ich mir so etwas gar nicht erst vorstelle, könnte da etwas dran sein. Und so kann ich Tom nur zustimmen, wenn er seinem Freund auf dessen Wunsch, "ins Meer zu kacken", antwortet: "Bist du bescheuert?"