Seit 20 Jahren sucht Heidi Klum nach einem nächsten Topmodel, seit 20 Jahren reisst die Kritik an der Sendung nicht ab. Für Designer Kilian Kerner absolut unverständlich vor allem eine Sache kann er nicht nachvollziehen.

Ein Interview

Modedesigner Kilian Kerner (46) gehört seit Jahren zum GNTM-Inventar: Der Berliner sitzt immer wieder als Gastjuror an Heidi Klums Seite bei "Germany's Next Topmodel". Auch in der 21. Folge der aktuellen Staffel wird er zu sehen sein am Donnerstag, 22. Mai.

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Im Interview mit unserer Redaktion spricht der 46-Jährige über Diversität in der Modelbranche, warum er für Gesetze in den sozialen Netzwerken plädiert und wie die Chancen der aktuellen Kandidatinnen und Kandidaten auf den GNTM-Sieg stehen.

Herr Kerner, wer gewinnt "Germany's Next Topmodel"?

Von Talent und Optik her ist das die beste Staffel seit langem, da können echt viele gewinnen. Bei den Frauen habe ich vier Favoritinnen: Zoe finde ich mega, diese Frau hat ein Gesicht, das ist so unglaublich schön. Und sie hat es drauf, kann laufen, macht super Fotos. Daniela hat das Glück, dass man ihr Gesicht sehr gut schminken kann sie ist kommerziell, aber mit dem richtigen Make-up auch High Fashion. Magda finde ich toll, sie kann ebenso gewinnen, weil sie ein sehr aussergewöhnliches Gesicht hat. Und wie Canel läuft, ist der Wahnsinn.

Auch bei den Jungs sehe ich vier Favoriten: Kevin, Moritz, Pierre und Jannik. Jannik ist zwar ein Petite Model, aber dieser Junge ist so konstant gut, liefert jede Woche ab. Von ihm bin ich sehr beeindruckt und kann mir deswegen auch einen Petite Boy als Sieger vorstellen.

Jannik ist eins der wenigen Petite Models dieser 20. Jubiläumsstaffel die am wenigsten diverse Staffel.

Das finde ich überhaupt nicht! Divers fängt für mich nicht mit Körpergrösse und Gewicht an, sondern schon bei der Herkunft. Wir haben ein Curvy Model, es waren Best Ager Models dabei, PoC-Models [People of Colour, Anm. d. Red.]. Jannik und Eva sind Petite Models.

Wie divers ist die Modebranche generell? Sie haben erst vor wenigen Jahren zum ersten Mal ein Curvy Model gebucht bei GNTM.

Die Modelwelt war bei Diversität immer schon Vorreiter. Wir sehen People of Colour, Menschen aus Asien, russische Models, Models aus der ganzen Welt, Curvy Models und auch Grössen jenseits von Grösse 34 auf dem Catwalk. Petite Models auf dem Runway das ist allerdings nicht so einfach, denn die Klamotten haben ganz andere Massstäbe.

Allerdings wird immer mehr gefordert, dass der Catwalk für alle geöffnet werden soll. Dann brauchen Designer und Labels aber auch Finanzierungen, weil es sich kein Label leisten kann, Musterkollektionen in jeder Grösse anzufertigen, auch Kurzgrössen. Das ist nicht rentabel und auch nicht nachhaltig was passiert denn mit den Mustern danach? Die Welt da draussen stellt sich das immer so einfach vor.

Bei Curvy Models sprechen viele von einem Trend, der wieder zurückgeht. Ja, das ist rückläufig. Ich habe sieben Saisons mit Dascha Carriero [die 2021 an der 16. GNTM-Staffel teilgenommen hat, Anm. d. Red.] im High-Fashion-Bereich gearbeitet. Und es hat nicht funktioniert, keiner wollte meine Curvy-Klamotten kaufen. Best Ager Models hingegen hat Heidi Klum in Deutschland wieder gross gemacht. Nachdem die bei GNTM zu sehen waren, standen einen Monat später bei der Fashion Week in Berlin auf einmal ganz viele Best Ager auf dem Catwalk. Das liegt meiner Meinung nach ganz klar an GNTM.

Seit zwei Jahren dürfen sich auch Männer bei GNTM bewerben. Was halten Sie davon?

Das ist einfach wunderbar. Es gibt der Sendung einen komplett neuen Anstrich. Ich war in beiden Staffeln am Set dabei und es ist jetzt ein komplett neues GNTM. Das finde ich grossartig. Es war einfach an der Zeit.

GNTM gibt es seit 20 Jahren und genauso lange gibt es schon Kritik an der Sendung. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Nein, das kann ich nicht nachvollziehen. GNTM wird immer vorgeworfen, dass die Kandidatinnen und Kandidaten keine Handys benutzen dürfen, nicht einfach auf die Strasse gehen dürfen aber das ist in jedem Format so. Überall gibt man sein Handy ab und darf nicht einfach rausgehen, das hängt mit der Versicherung zusammen. Mir geht es auf den Keks, dass viele Menschen immer so schnell eine Meinung haben, aber nicht hinterfragen, warum die Dinge so sind, wie sie sind.

Wenn man sich mal überlegt, welche Frauen am lautesten waren und sich immer wieder beschwert haben, dann sind das die, die am hysterischsten waren und bei denen es mit der Karriere nicht geklappt hat. Das war bei Lijana Kaggwa so, die während der Staffel durch so viele negative Dinge aufgefallen ist, aber hinterher der Liebling der Nation war, weil sie erzählt hat, wie sie bei GNTM manipuliert worden sein soll. Bei Simone Kowalski war es das gleiche Simone, die dann übrigens irgendwann doch wieder bei der aktuellen GNTM-Kinopremiere dabei gewesen ist. So schlimm kann es also nicht gewesen sein.

Warum hat sich Lena Gercke nie beschwert? Oder Toni Dreher-Adenuga? Aber trotzdem heisst es immer, GNTM sei das schlimmste Format der Welt, Heidi sei an allem Schuld. Die Leute sollen sich mal andere Reality-Shows anschauen, wie es dort abgeht und was dort für Menschen sind. Die können sich weder benehmen, noch haben sie Anstand oder ticken sauber.

Sie sind schon oft bei GNTM dabei gewesen. Wie nehmen Sie Heidi Klum am Set wahr?

Es macht immer einen Riesenspass, mit Heidi zu arbeiten, sie ist einer der lustigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Und ich bewundere ihre Professionalität: Egal, wie kalt es ist oder wie heiss, ob sie mitten in der Wüste sitzt oder vom Wind weggeweht wird, sie beschwert sich nie, zieht ihr Ding durch. Von ihrer Professionalität kann man sich sehr viel abgucken.

Sie sitzen in der Folge am 22. Mai an Heidi Klums Seite. Wie viel Einfluss haben die Gastjuroren auf die Entscheidung, welches Model gehen muss? Wenn etwa der Fotograf Rankin einer Kandidatin bescheinigt "She's a model", dann kommt die Kandidatin sehr weit. Oder Sie selbst: Sie haben für Ihre Kampagne "20 Jahre Kilian Kerner" vergangenes Jahr Lea und Jermaine gebucht. Die beiden haben am Ende gewonnen.

Ich glaube absolut nicht, dass sie gewonnen haben, weil sie den Job bei mir gekriegt haben. Ich hatte einfach einen guten Riecher und einen guten Model-Geschmack. Aber wir Gastjuroren haben natürlich Einfluss. Natürlich hört sich Heidi an, was wir sagen. Am Ende ist es aber ihre Show, und die Models gewinnen, die das in ihren Augen am besten gemacht haben. Wir sind als Gastjuroren ja auch nur eine Folge dabei, Heidi sieht die Models jede Woche.

Sie haben Heidi Klum schon eingekleidet, auch Jennifer Lopez und Gwen Stefani. Wer sollte Ihre Mode unbedingt mal tragen?

Justin Bieber. Ich liebe Justin Bieber. Den fände ich sehr cool.

Ist schon was geplant?

Das kann man nicht planen. Ausser man gibt denen eine Million. Aber das mache ich nicht, ich zahle kein Geld für meine Sachen. Die Leute sollen tragen, was sie gut finden. Justin Bieber wäre mein Wunschkandidat Nummer eins, aber ich liebe auch Cate Blanchett und Miley Cyrus.

Was sollte man heutzutage nicht anziehen?

Ich bin keine Fashion-Polizei, jeder soll das anziehen, worin er sich wohlfühlt. Denn es ist das Schlimmste, wenn man das Gefühl hat, jemand hat sich verkleidet, weil er meint, er müsste so aussehen, weil das auf Instagram gerade jeder macht. Ich fände mehr Individualität schön. Die aktuelle Jugendgeneration, die sehr stark von Social Media geprägt ist, kleidet sich tatsächlich ein bisschen eintönig. Ich würde dennoch nichts vorschreiben. Aber vielleicht Tipps geben. Das mache ich zum Beispiel bei meiner Mutter.

Welche Tipps geben Sie Ihrer Mutter?

Sie ist gerade in Frührente gegangen. Jetzt, wo sie mehr Freizeit hat, muss sie nicht immer nur so praktisch rumlaufen, sie kann auch wieder öfter zu den schönen Sachen im Schrank greifen. Und das macht sie jetzt auch. Meine Mutter hat nie Rot getragen, jetzt liebt sie Rot. Handtaschen mochte sie nie, aber als wir neulich zusammen einkaufen waren, fand sie eine Handtasche ganz toll, und dann habe ich ihr einfach eine Valentino-Handtasche geschenkt. Sie hat sich auch die halbe "Kilian Kerner Senses" gekauft, die es jetzt wieder gibt das ist Alltagskleidung, aber mit vielen bunten Teilen. Man kann jeden Look sportlich, aber auch elegant tragen, es ist Kleidung für jeden Tag und jeden Anlass, von Grösse 34 bis 48.

In den vergangenen Jahren wurde sehr viel über die Begriffe Body Positivity und Body Neutrality gesprochen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Das ist ein ganz schwieriges Thema. Body Positivity ist natürlich super, weil es keinen Grund gibt und geben darf, Menschen wegen ihres Aussehens zu dissen. Solange sich jemand in seinem Körper wohlfühlt, finde ich das grossartig. Ich habe da auch die grössten Issues mit mir selbst. Ich bin in meinem Job viel unterwegs, aber meistens findet der im Sitzen statt. Seit anderthalb Jahren habe ich deswegen keine Zeit mehr für Sport. Arbeite ich mal nicht, will ich dann auch lieber auf der Couch sitzen, obwohl ich weiss, dass ich aufstehen müsste.

Bei Body Positivity darf die Akzeptanz nicht nur in eine Richtung gehen, sondern muss in alle gehen. Aber es kann auch nicht alles unter dem Deckmantel der Body Positivity stattfinden. Extreme sind nie gesund egal ob bei Körperformen, in der Politik, bei Chemikalien oder Alkohol, die und den Menschen zu sich nehmen. Extreme werden oft unter den Deckmantel der Body Positivity gestellt. Das finde ich nicht richtig.

Welchen Einfluss hat Social Media?

Da lese ich oft Dinge und denke mir, wer bist du, dass du dir das Recht nimmst, sowas zu schreiben? Du wurdest nicht nach deiner Meinung gefragt. Als ich kürzlich in der "NDR Talkshow" war, schrieb danach jemand: "Such dir einen besseren Friseur." Darüber lache ich und finde das auch nicht diskriminierend, sondern denke mir: Vielleicht finde ich meine hässliche Frisur ja gar nicht hässlich. Aber ich verstehe nicht, warum bei diesen Sachen, die auf Social Media geäussert werden, nicht härter durchgegriffen wird. Dafür muss es Gesetze geben. Dass es die nicht gibt, kann ich nicht akzeptieren, muss es aber scheinbar.

Viele verstecken sich im Internet hinter einem Alias.

Warum gibt es dort keine Ausweispflicht? Wir haben überall Ausweispflicht. Egal, wo wir uns anmelden, müssen wir 1.000 Codes eingeben. Warum muss man das bei Social Media nicht tun? Da können wir wirklich nicht von Datenschutz reden.

Noch einmal zurück zur Mode: Woran arbeiten Sie aktuell?

Natürlich an meinen beiden Marken, "Kilian Kerner Berlin" und "Kilian Kerner Senses". Mit Danny Reinke und Marcel Ostertag arbeite ich ausserdem an einem tollen Projekt: Wir machen eine Non-Profit-Charity-Kollektion für Krebsärzte, "Collection for Doctors", wir entwerfen coolere Kleidung für Ärzte in ihrem Arbeitsalltag. Bis vor zweieinhalb Jahren hatte ich nie mit dem Thema Krebs zu tun, aber seither sind sieben Leute in meinem näheren Umfeld an Krebs erkrankt. Drei sind gestorben.

Deswegen möchte ich den Ärzten, die einen knallharten Job haben und jeden Tag mit dem Tod konfrontiert sind, Wünsche erfüllen. Sie dürfen sagen, welche Stoffe sie wollen und welche Needs ihre Kleidung haben soll, etwa spezielle Reissverschlüsse, mit denen man Jacken im Notfall schnell ausziehen kann. Die Kollektion ist sehr edgy, sehr besonders. Das Projekt hat uns dreien Riesenspass gemacht.

Über den Gesprächspartner

  • Kilian Kerner ist ein Designer aus Berlin, geboren 1979, der regelmässig als Gastjuror an Heidi Klums Seite bei "Germany's Next Topmodel" sitzt. 2004 gründete er die nach ihm benannte Modelinie, ein Jahr davor entdeckte ihn Sängerin Nena auf einem ihrer Konzerte. "Das bedeutet mir immer noch sehr viel", sagt Kerner heute dazu. "Sie hat mein Leben verändert, aber ich will heute gar nicht mehr so viel darüber reden." Er kleidete schon Kylie Minogue, Toni Garrn, Karolina Kurkova, Anke Engelke, Veronica Ferres und natürlich Heidi Klum ein.