Dass es für die Models bei "Germany’s Next Topmodel" auf dem Laufsteg manchmal gefährlich werden kann, ist spätestens seit dem "Hindernis-Walk" bekannt. In der neuesten Folge besteht aber diesmal für Heidi Klum höchstpersönlich Stolpergefahr. Denn beim Rauswurf verheddert sich die Klum völlig in ihrer eigenen Logik.

Christian Vock
Eine Kritik
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"Überraschung! Heute wird’s wild", flötet Heidi Klum in der tatsächlich bereits 20. Folge vorfreudig, doch weder das eine noch das andere ist wahr. Sofern einem nicht die Gnade zuteilwurde, in der vergangenen Woche nichts von "Germany’s Next Topmodel" und damit von der Vorschau auf die neueste Folge mitbekommen zu haben, dürfte man vom Kommenden kaum überrascht sein: der "Drag Edition".

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Was das "wild" anbelangt: Da kommt es natürlich immer darauf an, womit man die Folge vergleicht. Im Vergleich zu anderen Folgen ist die jüngste Folge eher nicht so wild, dazu hat man schon zu viel gesehen. Vergleicht man die Folge hingegen mit nassem Käsesalat, kommt einem das Ganze vor wie eine rasante Achterbahnfahrt. Na gut, wie eine Achterbahnfahrt. Wie eine Achterbahnfahrt vor der Fahrt. Sagen wir einfach: wie ein Spaziergang zur Achterbahn.

Bitte, bitte keine Gedanken machen!

Trotzdem hat die Klum noch Erwartungen an die Models: "Von meinen Models erwarte ich vor allem Wandelbarkeit: Choreografie, Ausdruck, Ausstrahlung oder Mimik und Gestik", behauptet Klum und wir wissen im Grunde alle, dass auch das nicht stimmt. Was die Klum erwartet, ist, dass die Herren ein bisschen Tamtam machen, weil sie auf High Heels laufen müssen, dass ein paar der Models ganz offensichtlich scheitern, damit die Argumente für einen Rauswurf nicht zu sehr an den Haaren herbeigezogen wirken und dass die Models die Werbepartner dieser Ausgabe glücklich machen. Kleiner Spoiler: Das klappt alles echt nicht gut diesmal.

Erst einmal aber marschieren die Protagonisten der Folge, eine Truppe Dragqueens, in das Model-Loft ein, um den Damen und Herren in Kleingruppen die Fertigkeiten dieser Kunstform näherzubringen. Am Ende soll eine kleine Aufführung mit Choreografie und "Lip Sync Gesang" stehen und man darf sich einigermassen zu Recht fragen, ob im Umkehrschluss angehende Dragqueens auch einen Wochenendkurs im Modeln machen müssen.

Im Folgenden versuchen Schnitt und Regie ein bisschen Drama zusammenzufegen, weil ja auch die Herren High Heels anziehen müssen. Aber das hört sich im besten Fall so an: "Ich war halt riesig, ich war extrem gross auf einmal", entdeckt Pierre den Effekt von Absätzen. Und weil man sich ein bisschen auf den ach so maskulinen Kevin konzentriert, bekommt der von einer der Dragqueens einen ganz heissen Tipp für den Auftritt: "Mach dir nicht so viele Gedanken!" Na, das sollte bei "Germany’s Next Topmodel" doch mit Leichtigkeit gelingen. Gedanken sind ja nicht gerade die Währung, in der dort bezahlt wird.

Sommer-Kampagne? Is klar

Eine Währung, mit der man bei GNTM hingegen immer zahlen kann, sind Jobs. Zumindest wird das gerne behauptet und damit die Models diesbezüglich wieder ein bisschen was auf dem Girokonto haben, hat die Produktion für sechs Models ein Casting bei einem Elektronik-Konzern arrangiert. Dort werden Daniela, Kevin, Eva, Jannik, Josy und Ray von der Marketing-Abteilung in Empfang genommen, eine Frau ist für Smartphones des Konzerns, ein Mann für Uhren und Ringe zuständig.

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"Wir suchen heute ein Model für unsere grosse Sommer-Kampagne", behauptet die Marketing-Frau und schickt die Models dann paarweise mit einem Smartphone an die frische Luft. Dort sollen sie ein "cooles, kreatives Foto" schiessen und mit der Bildbearbeitung "das Maximum aus den Bildern herauszuholen". Die Aufgabe der Marketing-Leute besteht hingegen darin, möglichst häufig den Namen des zu bewerbenden Smartphones zu nennen. Dann sind wieder die Models dran, denn sie müssen nun die Bildbearbeitungsfunktionen möglichst unauffällig, aber dennoch ausführlich erläutern.

Da merkt man ein bisschen zu doll, dass die Dame und der Herr vom Marketing hier vordergründig gar niemanden für eine "grosse Sommer-Kampagne" suchen, sondern dass das bereits die grosse Sommer-Kampagne ist. Immerhin schludern die Smartphone-Frau und der Uhren-und-Ringe-Mann noch ein paar Alibi-Sätze wie "Ihr Vibe ist auch echt cool" dahin. Aber offenbar scheinen sich die beiden nicht daran zu stören, dass sich selbst die Check-24-Familie für so eine hölzerne Werbung schämen würde.

Eva und Katharina müssen gehen – weil halt

Der Werbekunde ist also zufrieden, womit immerhin einer von Klums drei Wünschen erfüllt wird und auch Klum hat sich ein Geschenk gemacht. Denn weil die Kandidaten Josy und Jannik den Job bekommen, behauptet Klum: "Das bestätigt meine Entscheidung, auch kleineren Models eine Chance zu geben. Gerade im kommerziellen Bereich haben sie grosses Potenzial." Ja, Klums Weitsicht, Grösse und Genialität sind schon beeindruckend, aber merken wir uns die Sache mit der grossen Chance für kleinere Models doch bis zur Entscheidung dieser Folge.

Die kommt schneller, als Kevin "High Heels" und "Blasenpflaster" sagen kann, zuvor zeigen die Models die von Klum geforderten "Choreografie, Ausdruck, Ausstrahlung oder Mimik und Gestik" in unterschiedlicher Qualität. Sagen zumindest Klum und die Dragqueens. "Ich finde Jannik jetzt auch stärker als Eva", bereitet Klum den Rauswurf Evas, dem kleinsten der von Klum so geschätzten kleineren Models vor, schliesslich habe man die Augen kaum von ihrem Partner lassen können. Das – oder es liegt daran, dass Jannik ein Tänzer ist und dass Nicht-Tänzerin Eva deshalb im direkten Vergleich schwächer aussieht. Aber wer weiss das schon?

Vollkommen in ihrer Logik verheddert sich Klum aber, als sie nach Eva auch noch Katharina rauswirft. Die hatte zwar bisher die meisten Jobs als Model bekommen, soll bei der Dragqueen-Darbietung aber schlechter als ihre Kollegin Zoe gewesen sein. Die Logik ist also: Man muss nicht das schlechteste Model sein, um rauszufliegen, sondern nur schlechter als eine zufällige Konkurrentin. Und wenn man als Model gut ist, aber bei einer Dragqueen-Aufführung schlechter als Zoe, ist man ein schlechtes Model. Dass die Klum bei ihrem obligatorischen "Das tut mir leid" nicht selbst lachen muss, ist aber tatsächlich die grösste Leistung an diesem Abend. Sogar besser als Zoes.