Kolumnistin Anja Rützel hat sich Moderator und Podcast-Partner Jochen Schropp geschnappt und spricht mit ihm über die neue Staffel "Promi Big Brother", die am Montag bei Sat.1 und auf Joyn startet. Dabei werden so einige Highlights und Lowlights der 25-jährigen "Big Brother"-Geschichte aufgewärmt und sie geben preis, in welcher Rolle sie sich im Container sehen würden.

Anja Rützel
Eine Kolumne
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Anja Rützel: Jochen, wenn du heute "Big Brother" hörst, was ist das Erste, was dir in den Kopf schiesst?

Jochen Schropp: Tatsächlich denke ich zuerst an diese ikonischen Momente aus der Anfangszeit. Zlatko Trpkovski, Jürgen Milski, die erste Staffel, das hatte damals eine unglaubliche Wucht. Es war das erste Mal, dass man Menschen einfach nur beim Leben zugeschaut hat, ohne Drehbuch und ohne Schauspiel. Das hat eine ganz neue Form von Fernsehen eingeläutet. Ich habe damals in Liverpool Schauspiel studiert, aber wir hatten glücklicherweise eine Satellitenschüssel auf dem Dach, und so konnte ich alles verfolgen.

Anja: Ich weiss noch genau, dass ich damals meinen Geburtstag zum ersten Mal nachmittags gefeiert habe, richtig Rentnerstyle, obwohl ich erst 27 wurde. Damit ich in Ruhe um 19 Uhr die "Big Brother"-Tageszusammenfassung gucken konnte. Und ich war richtig sauer, weil meine Gäste einfach nicht gegangen sind. Was extra-lustig ist, weil der Geburtstag ereignisreicher war als die Tageszusammenfassung, damals ist im Container ja noch nicht so viel passiert. Ich glaube, das ist das Besondere an diesem Format: Es klebt sich an die eigene, aber auch an die kollektive Fernseh-Biografie. Jeder hat irgendeine Erinnerung daran.

Jochen: Ich fand es damals sehr spannend. Ich war allerdings nicht so ein Superfan wie offensichtlich du.

Anja: Ich habe jedenfalls immer noch das Original-Big-Brother-Kochbuch, das es damals gab, und das Weihnachtsalbum, das die Bewohner der zweiten Staffel aufgenommen haben. Mein Lieblingsbewohner, der Österreicher Walter, singt darauf "Lonely This Christmas", da hab ich doch direkt schon wieder Gänsehaut.

Jochen: Ich auch, allerdings weil es für mich ein Cringe-Moment ist. Das Besondere an diesem Format ist ja auch, dass es nicht nur auf dieser sehr persönlichen Ebene funktioniert, sondern auch dem Meta-Blick standhält. Ich glaube, das liegt daran, dass "Big Brother" ein soziales Experiment ist, das sich permanent selbst aktualisiert. Der Voyeurismus, über den man sich in den Anfangsjahren so gern aufgeregt hat, ist längst deutlich weniger schockierend, dafür schaut man heute viel stärker auf die Dynamiken zwischen den Menschen. Wer will anführen? Wer passt sich an? Wer eckt an? Es ist wie ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft, verdichtet auf ein paar Quadratmeter.

Anja: Früher genügte fürs Erste schon der Schockmoment: "Oh mein Gott, da duscht jemand im Fernsehen!" Heute guckt man ganz anders. Vielleicht analytischer, im Idealfall auch empathischer. Und bei "Promi Big Brother" kommt noch dieser Dreh dazu: Alle bringen eine öffentliche Persona mit rein.

Jochen: Manche kommen ja mit einer klaren Strategie, was sie von sich zeigen wollen und was nicht. Besonders wenn sie "an der Seite von" bekannt wurden oder berühmte Eltern haben. Aber das lässt sich nie ganz durchhalten. Du kannst nicht 24 Stunden auf Sendung sein, ohne dass irgendwann etwas Echtes durchkommt – neben unseren Sendungen gibt es ja auch in diesem Jahr wieder den Livestream auf Joyn, bei dem man die Bewohner und Bewohnerinnen rund um die Uhr beobachten kann. Und genau da wird es spannend. Der läuft übrigens während der Staffel bei mir auch ständig. Ich liebe es, vollends in den Kosmos abzutauchen.

Anja: Ich finde das bei manchen Bewohnern fast tragikomisch: Dieses nervöse Klammern an die Marke, für die man sich hält. Bei den Normalo-Bewohnern ist der Bruch zwischen Innen und Aussen kleiner. Bei Promis gibt’s diese Risse im Image, und das ist oft noch spannender. Eigentlich sind die klassische "Big Brother"-Variante und die Promi-Version zwei völlig unterschiedliche Formate.

Jochen: Ich verstehe deinen Punkt. Weil es natürlich ganz anders ist, wenn fremde Menschen, die sich vorher noch nie gesehen haben, aufeinandertreffen und sich erst mal kennenlernen müssen und eine ganz andere Intimität miteinander aufbauen, als wenn Prominente aufeinandertreffen, bei denen sowohl Mitbewohner als auch Zuschauer sagen: Oh Gott, das ist doch die Krawallschachtel, die wir schon im Dschungel gesehen haben!

Anja: Wenn es gut läuft, bewegt sich die Dynamik ja auch in unterschiedliche Richtungen: Beim Normalo-Big-Brother entwickeln unbekannte Leute langsam so etwas wie Star-Appeal. Bei "Promi Big Brother" werden Stars idealerweise wieder ein bisschen zu Normalos.

Jochen: Manchmal entwickeln sich dabei auch wirklich spannende Dynamiken. Ich denke da zum Beispiel an Claudia Effenberg, die bei Promi-BB zuerst mega unsympathisch wirkte. Die Zuschauer mochten sie überhaupt nicht, sie wurde ständig vom guten Bereich wieder in den schlechten gewählt. Irgendwann hatte sie dann einen richtigen Ausbruch und angedroht, ihr Facebook-Profil zu löschen, weil sie so sauer auf ihre vermeintlichen Fans beziehungsweise Hater war.

Anja: Das war damals, 2014, ja wirklich noch eine echte Drohung.

Jochen: Sie wollte Facebook löschen, weil sie alle diese Leute, die sich auf ihre Kosten amüsierten, aus ihrem Leben verbannen wollte. Und dann hat sich die Stimmung komplett gedreht, weil sie das so menschlich gemacht hat, und sie ist tatsächlich Zweite geworden.

Anja: Ich finde solche Brückenmomente interessant. Wenn jemand anfängt, eine Rolle zu hinterfragen. Oder wenn die Grenze zwischen Selbstdarstellung und Selbstschutz verschwimmt. Nino de Angelo und seine Papiertüte "Rudi", mit der er sich täglich sehr ernsthaft unterhalten hat, das war ja fast ein Fernseh-Gedicht. Eine Szene, in der jemand emotional komplett abrutscht, traurig, durchaus auch unbehaglich anzuschauen, gleichzeitig aber auch seltsam berührend. Weil es eben nicht gespielt war. Da war alles drin: Einsamkeit, Inszenierung, Kontrollverlust. Fernsehen als öffentlicher Innenraum.

Jochen: Das Publikum reagiert heute auch ganz anders auf bewusste Akte der Selbstinszenierung. Als Jay Khan 2011 mit Indira Weiss im Dschungelcamp-Tümpel knutschte und dabei mit seinem Blick ganz bewusst die Kamera suchte, haben ihm das die Zuschauer sehr übel genommen. Ich glaube, heute würde man sich daran kaum mehr stören. Die Leute sprechen in diversen Reality-Formaten ja inzwischen auch ganz bewusst direkt in die Kamera.

Anja: Eine Frage, bei der sich das BB-Publikum nicht ganz einig ist, ist ja die Bereichsfrage. Manche bevorzugen es, wenn es nur einen Bereich für alle gibt, weil man sich dann schwer aus dem Weg gehen kann, andere lieben den Kontrast von kargem Keller und Luxusetage. Wie siehst du das?

Jochen: Wir werden dieses Jahr wieder mehrere Bereiche haben, und ich mag diese Spieldynamik. Es ist ja auch toll für die Leute, wenn sie die Dramaturgie der Sendung mitgestalten können: Wen möchte man im reichen Bereich sehen und wen möchte man im armen Bereich sehen?

Anja: Ich bin immer ein bisschen beleidigt, wenn es mehrere Bereiche gibt. Wenn der Cast bekannt gegeben wird, sehe ich mich nämlich immer ein bisschen als Trash-Bundestrainerin, die sich über diese Aufstellung ihre taktischen Gedanken macht, wer gegen wen und so weiter. Verschiedene Bereiche machen diese Überlegungen dann erst mal zunichte. Wie viel Spielraum hast du eigentlich, solche privaten Präferenzen in deine Moderation einfliessen zu lassen? Es ist ja zum Beispiel nur menschlich, dass dir manche Kandidaten sympathischer sind als andere.

Jochen: Ich darf so etwas mittlerweile viel mehr zeigen. Früher sollte ich am liebsten superneutral sein. Inzwischen wünschen, ja erwarten sich viele Menschen von uns Moderatoren, dass wir das Geschehen im Haus bei Bedarf auch einordnen. Und eben auch outcallen, wenn sich jemand blöd verhält. Marlene Lufen und ich hatten dafür auch in den vergangenen Staffeln immer wieder unsere kleinen Inseln.

Anja: Wenn du selbst Kandidat wärst: Welche Rolle würdest du im Haus wohl übernehmen?

Jochen: Ich wäre wahrscheinlich eher der Papa und würde versuchen, alle als Gruppe zusammenzuhalten. Aber mir würde auch relativ schnell die Hutschnur platzen.

Anja: Was würde dich am meisten aufregen?

Jochen: Unordentlichkeit und Faulheit finde ich ganz, ganz schlimm.

Anja: Eigentlich komisch, dass wir uns so gut verstehen. Ich würde im Container wahrscheinlich zu schnell in die Rolle der urteilenden Zuschauerin verfallen, eine, die innerlich alles kommentiert, aber sich nicht ganz einbringt und sich dem Gruppengeschehen nicht so hingeben kann wie du. Im echten Leben okay, im Container vermutlich sozialer Selbstmord.

Jochen: Auf welchen Bewohner freust du dich am meisten?

Anja: Von denen, die bisher bekannt gegeben wurden: auf Laura Blond. Ich fand sie toll bei "Beauty & The Nerd" und fand ihre Verwandlung im Laufe der diversen Formate spektakulärer als der Weg vom Laich zum Frosch.

Jochen: Auf sie freue ich mich auch, und auf Pinar Sevim. Ich bin gespannt, wie die Containerfrauen miteinander umgehen werden, also auch Christina Dimitriou und Doreen Dietel.

Empfehlungen der Redaktion

Anja: Ich warte ja immer noch auf das Trash-Format, in dem die Kandidatinnen endlich ein überzeugendes feministisches Bündnis schliessen, das auch hält. Ich glaube nicht wirklich, dass diese Frauengruppe das schaffen wird, aber ich werde bis zu meinem letzten Atemzug darauf hoffen, dass die Frauen in einem Realityformat einmal nicht gegeneinander gehen.

Jochen: Und bis es so weit ist, werden wir das alles in unserem Podcast "Sendepause Fehlanzeige" sezieren!

"Sendepause Fehlanzeige"

  • Trash-TV trifft Tiefgang: In "Sendepause Fehlanzeige" sprechen Kolumnistin Anja Rützel und Moderator und Schauspieler Jochen Schropp wöchentlich über die Highlights und Abgründe des Reality-TV – von Kampf der Realitystars bis zum Streaming-Neuheitenwahnsinn. Ein leidenschaftlicher Austausch über grosse Gefühle, kleine Dramen – und die Frage, warum wir das alles so gern schauen. Jeden Samstag eine neue Folge – überall, wo es Podcasts gibt. Und bei Steady gibt's obendrauf jede Woche noch eine Bonusfolge bei Sendepause Fehlanzeige intim.