Am 25. April 1983 präsentiert der "Stern" in Hamburg eine vermeintliche Weltsensation: Reporter Gerd Heidemann hatte die Tagebücher von Adolf Hitler aufgespürt. Die Geschichte des "Dritten Reiches" müsse in grossen Teilen neu geschrieben werden, titelt das Magazin damals. Doch was niemand der Verantwortlichen zu diesem Zeitpunkt ahnte: Die geheimsten Gedanken Adolf Hitlers waren eine Fälschung – aus der Feder von Konrad Kujau. Doch wer war eigentlich dieser Mann und wie kam es zum grössten Medienskandal der Bundesrepublik?

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Konrad Paul Kujau wird am 27. Juni 1938 in Löbau, Sachsen, geboren. Bereits während der Volks- und Oberschulzeit veröffentlicht er Karikaturen und Zeichnungen in verschiedenen Publikationen. Nach seinem Abitur in Dresden studiert er kurzzeitig an der Kunstakademie Dresden, bis er aus der DDR in den Westen flieht. Dort folgen ein abgebrochenes Studium an der Kunstakademie Stuttgart und die Bekanntschaft mit Kunstmalern und Restauratoren, denen er zu der Zeit zur Hand geht. 1961 bricht er sein Studium ab, betätigt sich selbst als Künstler und beginnt laut einer ZDF-Dokumentation aus dem Jahr 2013 mit seiner Fälscher-Karriere und dem Handel mit Nazi-Kitsch.

Der Stuttgarter Kunstmaler wittert daraufhin das grosse Geld, wie die "Rhein-Zeitung" berichtet. Es gibt damals genug Sammler von Devotionalien der Nazi-Zeit - und der Kunstfälscher verhilft ihnen zu spektakulären "Originalen" des Diktators: Bilder, Gedichte und schliesslich die Tagebücher Adolf Hitlers.

Der Prototyp des Hitler-Tagebuchs

Als Kujau Mitte der 1970er Jahre von einem Sammler getäuscht wird, fasst er einen folgenschweren Beschluss: Er will sich rächen – mit einem gefälschten Tagebuch von Adolf Hitler. Eine schwarze Kladde und etwas frei interpretierte Geschichts-Fantasie später ist das Werk vollbracht: Das erste Hitler-Tagebuch erblickt mit etwas Hilfe von Siegelwachs, Asche und teegetränktem Papier das Licht der Welt. Damit hätte die Geschichte eigentlich zu Ende sein können, doch "Stern"- Starreporter Gerd Heidemann hatte Wind von der vermeintlichen Sensation bekommen und nimmt die Fährte auf.

Selbst von der Nazizeit fasziniert – Heidemann hatte die Privatyacht von Hermann Göring gekauft und sammelt selbst diverse Nazi-Devotionalien – spürt er den Sammler auf, dem Kujau das falsche Tagebuch untergejubelt hatte, und macht so die Quelle der Schriftstücke ausfindig. Beim ersten Kontakt mit dem Reporter nimmt Kujau die Rolle von "Konrad Fischer" an, einem Militaria-Händler, und tischt dem Journalisten diese Lügengeschichte auf: Sein Bruder sei NVA-General in der DDR und durch Zufall auf die Tagebücher gestossen. Sie stammen angeblich aus dem Wrack einer in Börnersdorf, Sachsen, abgestürzten Junkers-Transportflugzeugs "Ju 352", das auf dem Weg von Berlin nach Salzburg abgeschossen worden war. Die Fracht: Dokumente aus Hitlers Privatbesitz, darunter auch die Tagebücher.

Adolf Hitler, ganz privat

Der Inhalt der Schriftstücke ist Hitlers vermeintliches Privatleben – einige Auszüge:

"13. November 1936: Morgens gegen 11 Uhr gründliche Untersuchung. Mache den Ärzten grosse Vorwürfe, da meine Schmerzen immer grösser werden. Nun habe ich schon Schmerzen im Gedärm. Besuch eines Konzerts. Was verschweigen mir meine Ärzte? Kann ich diesen Leuten überhaupt noch trauen. Bin total zerstochen von den vielen Spritzen. Bin ich vielleicht unheilbar krank?"

"30. April 1935: Der kleine Goebbels macht schon wieder Geschichten mit Frauen. Werde in den nächsten Tagen einen geheimen Erlass herausgeben, dass ich von meinen engsten Mitarbeitern und Parteiführern im Reich keinerlei Affären mehr wünsche. Auch kann ich die Schnüffeleien von Himmler nicht gebrauchen, er schnüffelt auch E. nach."

Alle diese Einträge entstammen Kujaus Fantasie. Er selbst beschreibt in einer ZDF-Dokumentation den Entstehungsprozess: "Man muss sich in den Schrift- oder Bildgeber hineinversetzen und das hab ich getan. (...) Man habe nachts zu Hitler gesagt, er habe Magengeruch. Wer soll denn nachts zu ihm gesagt haben: 'Mein Führer, sie stinken aus dem Maul!' – das kann ja nur die Eva (Braun, Anm. d. Redaktion) gesagt haben. Die wird halt gesagt haben: 'Adolf, dreh dich rum.'"

Insgesamt liefert Kujau Heidemann 62 Bände dieser vermeintlichen Einblicke in Hitlers Seele. Dem "Stern" sind sie über neun Millionen D-Mark wert. Zweifel an der Echtheit kommen den Verantwortlichen nicht.

Das böse Erwachen am 25. April 1983

Nach zwei Jahren Recherche präsentiert das Magazin der gespannten Weltöffentlichkeit auf einer Pressekonferenz die Sensation – und fährt damit gegen die Wand. Binnen einiger Tage stellt sich heraus: Die Bücher sind eine Fälschung. Experten hatten zuvor zwar die Handschrift als die Hitlers identifiziert, doch viele der Vergleichsstücke stammten ebenfalls aus Kujaus Feder. Erst eine chemische Papieranalyse des Bundesarchivs in Koblenz bringt die Fälschung ans Licht. Das Papier ist mit Aufhellern bearbeitet worden, die erst nach dem Krieg zum Einsatz kamen.

Heidemann ist am Boden zerstört: "Was hast du da bloss gemacht, Conny?", fragt er in einer ZDF-Dokumentation Kujau am Telefon. "Ich kann doch nichts dafür", beteuert der Fälscher scheinheilig. "Ich kann mir im Grunde nur 'ne Kugel in den Kopf schiessen, es ist alles aus", erwidert darauf Heidemann. Die Katastrophe war perfekt, der Ruf Heidemanns zerstört, die Reputation des "Stern" nachhaltig beschädigt.

Auch juristisch hat die Affäre ein Nachspiel: Kujau wird in Hamburg vor Gericht gestellt und verurteilt. Er gesteht, die 62 Bände selbst geschrieben zu haben und wird wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Nach drei Jahren wird er wegen einer Kehlkopfkrebs-Erkrankung aus der Haft entlassen. Bis heute ungeklärt ist der Verbleib eines Grossteils des gezahlten Geldes.

Ein neues Leben nach der Haft

Nach seiner Haftstrafe nutzt Kujau seine gewonnene Popularität und eröffnet ein eigenes Atelier, in dem er "Original Kujau-Fälschungen" verschiedener klassischer Maler verkauft. Weitere Bekanntheit erlangt er 1992 durch die Aufarbeitung der Tagebuch-Affäre im Satire-Film "Schtonk!". 1994 versucht er in der Politik Fuss zu fassen: Er kandidiert bei der Bundestagswahl im selben Jahr für die Autofahrerpartei. 1996 stellt er sich in Stuttgart als Oberbürgermeister-Kandidat zur Wahl.

Zwölf Jahre nach der ersten Krebsoperation muss sich Kujau erneut einem Eingriff unterziehen. Die Ärzte entdecken bösartige Tumore an drei Lymphknoten und Metastasen zwischen den Lungenflügeln. Im Jahr 2000 erliegt der Mann, der Hitlers Tagebücher fälschte, im Alter von 62 Jahren dem Kehlkopfkrebs.

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