Blaualgen, Keime, Vibrionen: Mit der Klimakrise schwinden sichere Badestellen in Seen und Ostsee. Warum wir endlich mehr bezahlbare Freibäder brauchen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Elena Matera (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Auf der Wiese vor mir liegen Menschen auf bunten Handtüchern. Jugendliche springen vom Dreier, Kinder tauchen um die Wette und auf dem Beckenrand sitzen zwei Frauen, die ihre Beine ins Wasser halten. Ich liege im Schatten, lese und warte darauf, dass meine Freundin mit den Pommes rot-weiss zurückkommt. Freibäder haben eine besondere Atmosphäre, die ich seit meiner Kindheit liebe. Hier habe ich schwimmen gelernt und als Kind viele Sommer verbracht, oft, weil wir die Sommerferien in der Stadt blieben.

Freibäder sind mehr als nur Badespass. Sie sind Treffpunkt, Auszeit vom Alltag und ein Ort, an dem Menschen aus allen Ecken der Stadt zusammenkommen, um für ein paar Stunden so etwas wie Urlaub zu erleben. Schon als der junge Architekt und spätere Schriftsteller Max Frisch 1943 das Freibad am Letzigraben in Zürich entwarf, mit 50-Meter-Becken, Springturm und weiten Wiesen, notierte er in seinem Tagebuch: "Ein Freibad für das Volk."

Schwimmen wird zum Luxus

Ich finde den Satz "Ein Freibad für das Volk" sehr treffend. Denn genau das macht Freibäder aus: Sie sind für alle Menschen da. Über Jahrzehnte hinweg waren sie ein Stück gelebte Gleichheit, bis in den letzten Jahren viele schliessen mussten. Manche Kommunen sagen, es fehlt das Geld, andere finden kein Personal. Gleichzeitig steigen die Eintrittspreise – Schwimmen wird immer mehr zum Luxus.

Dabei werden Freibäder wichtiger denn je. Denn sie sind einer der wenigen Orte, an denen Abkühlung im Sommer verlässlich möglich ist. Klar, es gibt Seen oder Flüsse. Aber an meiner Lieblingsbadestelle an der Havel ist ans Baden gerade nicht zu denken: Grüne Schlieren treiben auf der Wasseroberfläche, es riecht modrig wie ein alter Blumenstrauss, die Blaualgen haben sich ausgebreitet.

Blaualgen sind keine Algen, sondern Bakterien, Cyanobakterien. Manche Arten produzieren Gifte, die beim Schlucken Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall auslösen können. Schon ein leichter Hautkontakt kann Jucken, rote Flecken oder Ausschläge verursachen. Besonders gefährdet sind kleine Kinder und Hunde, die beim Spielen schnell Wasser über den Mund aufnehmen. Aktuell sind mehrere Seen deutschlandweit wegen Blaualgen gesperrt – in Berlin, Bayern und Sachsen.

Folgen der Klimakrise: Seen und Flüsse werden wärmer

Der Klimawandel verstärkt dieses Problem: Höhere Luft- und Wassertemperaturen verlängern die Wachstumszeit, weil sich Seen und Flüsse schneller aufheizen. Trockenperioden senken die Wasserstände, sodass Nährstoffe und Schadstoffe stärker konzentriert bleiben.

Kommt Starkregen, spült er grosse Mengen Dünger, Erde und organisches Material in die Gewässer – in Städten mit Mischwassersystemen auch ungeklärtes Abwasser. Für Cyanobakterien ist das ein Festmahl. Gleichzeitig gelangen so auch Fäkalkeime ins Wasser, wie in diesem Sommer auch am Berliner Spektesee, der deswegen gesperrt werden musste.

Auch wärmere Winter setzen den Gewässern zu: Bleibt die natürliche "Winterzirkulation" aus, gelangt weniger Sauerstoff in die Tiefe – Jahr für Jahr werden Seen so anfälliger.

Vibrionen in der Ostsee

An den Küsten ist es nicht besser. Auch an der Ostsee, einem flachen und durch Nährstoffeinträge stark belasteten Meer, breiten sich derzeit die Blaualgen aus. Und wie Blaualgen profitieren auch Vibrionen von warmen Wassertemperaturen. Das Robert-Koch-Institut warnt vor den Bakterien, die bei offenen Wunden oder geschwächtem Immunsystem schwere Infektionen auslösen können.

Die Ostsee ist wegen ihres niedrigen Salzgehalts besonders betroffen. Mit dem Klimawandel werden Wassertemperaturen über 20 Grad häufiger und bleiben länger. In diesem Sommer gab es bereits mehrere Vibrionen-Infektionen und sogar den ersten Todesfall.

Das Ergebnis sind also weniger unbeschwerte Badetage in Naturgewässern und mehr Badeverbote. Wo das Baden noch erlaubt ist, drängen sich die Menschen. Badestellen wie der Schlachtensee in Berlin sind komplett überfüllt, die Natur ist dort am Limit.

Freibäder müssen günstiger werden

Mit dem Klimawandel werden Freibäder daher wichtiger denn je. Aber auch sie spüren die Folgen der Klimakrise: Längere Hitzeperioden lassen den Wasserverbrauch steigen, Starkregen kann Technik und Beckenanlagen beschädigen, steigende Energiekosten setzen Kommunen unter Druck.

Empfehlungen der Redaktion

Damit Freibäder also auch in Zukunft ihre Rolle erfüllen können, müssen sie nachhaltiger werden, mit Solaranlagen zur Wassererwärmung, energieeffizienten Pumpen und Filtern, intelligenter Wassernutzung und mehr Schattenflächen durch Bäume und Begrünung. So bleiben sie nicht nur Orte der Abkühlung, sondern auch Vorbilder für Klimaanpassung im städtischen Raum.

Und natürlich müssen endlich die Preise wieder runter, damit das Baden für alle zugänglich wird. Es braucht ausserdem dringend neue Schwimmbäder und keine weiteren Schliessungen.

Die beste Massnahme wäre natürlich, den Klimawandel zu bremsen – damit auch Seen, Flüsse und Ostsee wieder sicherer werden. Genauso wichtig ist es, den Nährstoffeintrag aus Landwirtschaft, Abwasser und anderen Quellen deutlich zu reduzieren. Aber solange es wärmere Sommer, stärkere Algenblüten, mehr Vibrionenfälle und häufigere Überläufe der Kanalisation gibt, sind Freibäder keine "Nice to have"-Freizeitanlagen, sondern Teil der Grundversorgung. Damit wir uns auch in Zukunft an heissen Tagen abkühlen können – mit Chlorgeruch in der Nase und Wassertropfen auf der Haut.

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Verwendete Quellen