Seniorinnen aus der Schweiz, ein Bauer aus Peru, Jugendliche aus Deutschland – weltweit ziehen Betroffene vor Gericht, um die Klimakrise aufzuhalten. Was aber bringen solche Prozesse wirklich?
Ich bin bereits auf zahlreichen Demos zwischen Plakaten und Parolen gelaufen, habe mit Schulgruppen während eines früheren Jobs über die Gefahren der Klimakrise diskutiert und Fleisch komplett von meinem Teller gestrichen. Aber immer wieder frage ich mich: Reicht das? Wie viel kann man wirklich als einzelne Person ausrichten, während gefühlt die ganze Erde brennt?
Vor Kurzem habe ich mehr über einen weiteren Hebel gegen die Klimakrise gelesen: Klagen. Schweizer Seniorinnen, die ihre Regierung in die Pflicht nehmen, ein Landwirt aus Peru, der sich mit einem der grössten Energiekonzerne der Welt anlegt. Solche Klimaklagen nehmen weltweit zu. Seit 2015 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt.
Welche Prozesse gibt es gerade? Und sind sie das Mittel, um die globale Krise aufzuhalten? Um Millionen Menschen vor den Folgen von Dürre, Überflutungen oder Hurrikans zu schützen?
Klagen gegen ganze Staaten
2016 zog der Verein "Klimaseniorinnen Schweiz" vor Gericht. Ihr Vorwurf: Ihre Regierung tue zu wenig, um die Erderwärmung zu bremsen. Laut CO2-Gesetz hätte die Schweiz bis 2020 die Emissionen um 20 Prozent senken müssen – das Ziel wurde verfehlt. Für die älteren Frauen ist das kein abstrakter Streit um Zahlen, sondern eine Frage ihrer Gesundheit. Die Klimakrise trifft sie zum Beispiel bei Hitzewellen besonders hart.
2024 bekamen die Seniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof Recht. Die Schweiz muss nun handeln – Emissionsziele festlegen, Massnahmen nachschärfen. Während im Ständerat über "unzulässigen Aktivismus" der Richter geschimpft wird, feiern die Klägerinnen ihren Erfolg. Auf ihrer Website sehe ich Fotos von Frauen, die jubeln, die Hände in die Höhe reissen. Darunter schreiben sie: "Unser Sieg ist ein Sieg für alle Generationen." Es sind Bilder, die mir Hoffnung machen.
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Allerdings sind Prozesse manchmal auch erst der Anfang eines langen Kampfes: In Deutschland zogen 2020 neun Jugendliche vor das Bundesverfassungsgericht, unterstützt von der Deutschen Umwelthilfe und anderen Organisationen. 2021 wurde mit dem Urteil Geschichte geschrieben: Das Klimaschutzgesetz musste nachgebessert werden.
Wurde es auch, jedoch aus Sicht vieler Menschen mit Verbesserungsbedarf. Deswegen klagen derzeit mehrere Umweltverbände zusammen mit über 54.000 Menschen gegen die aus ihrer Sicht unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung. Klagen sind also ein Werkzeug – aber selbst mit dem schärfsten Messer muss man mehr als einmal ansetzen, um durch alte Strukturen zu schneiden.
Klagen gegen die Klimasünder der Welt
Auch Konzerne können vor Gericht gezogen werden: Dieses Jahr endete ein über zehnjähriger Rechtsstreit. Ein peruanischer Bergbauer verklagte mit Unterstützung von Germanwatch den Energiekonzern RWE, weil dieser zur Klimakrise beitrage. RWE solle sich an Schutzmassnahmen für das Haus des Bauern beteiligen, das durch das Schmelzwasser eines Gletschers bedroht wird.
Das Gericht entschied, dass das Haus ausserhalb der Gefahrenzone liegt. Allerdings legte es einen Grundstein: dafür, dass "grosse Emittenten für die Folgen ihrer Treibhausgasemissionen" zur Verantwortung gezogen werden können, so die Rechtsanwältin des Bergbauern.
All diese Gesetze werden einen Grundstein für weitere Fälle legen. So verklagen gerade die Bewohner einer indonesischen Insel einen der grössten Zementhersteller der Welt wegen seines Anteils an der Klimakrise und der Tatsache, dass ihre Insel immer häufiger von Überflutungen heimgesucht wird. Werden sie dank des Urteils im Fall des peruanischen Bauern bessere Chancen haben?
Ein Ausblick
Der Nachteil all dieser Klagen: Sie ziehen sich über Jahre oder gar Jahrzehnte. Diese Zeit bleibt uns nicht: Sollte die Erderwärmung auf zwei Grad ansteigen, werden fast alle Korallenriffe bis 2050 laut der Max-Planck-Gesellschaft abgestorben sein. Auch zunehmende Dürren führen schon jetzt dazu, dass Menschen auf der ganzen Welt hungern müssen. Vielleicht senden solche Klagen aber auch ein Signal, dass auch Konzerne und Staaten zur Verantwortung gezogen werden können. Ein Signal mit sofortiger Strahlkraft.
Verwendete Quellen
- The London school of economics and political sience: Global trends in climate change litigation: 2022 snapshot
- Die Bundesversammlung-Das Schweizer Parlament: Erklärung des Ständerates. Urteil des EGMR "Verein KlimaSeniorinnen Schweiz u.a. vs Schweiz"
- Germanwatch: Historischer Erfolg für Klima-Verfassungsbeschwerde
- Tagesschau: Umwelthilfe klagt gegen neues Klimaschutzgesetz
- Deutscher Bundestag: Haftung für globale Emissionen? Die Klimaklage gegen RWE
- Germanwatch: Bahnbrechendes Urteil in Klimaklage: Grosse Emittenten können für Klimarisiken haftbar gemacht werden
- European center for constitutional and human rights: Klimaklage gegen Holcim: Materielle Beurteilung verzögert sich
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