Studien zeigen: Utopien erzeugen Hoffnung, Dystopien Dringlichkeit. Doch nur gemeinsam bringen sie uns wirklich ins Handeln gegen den Klimawandel.
Städte ohne Staus, Dachgärten auf jedem Haus, Energie zum Grossteil aus Wind und Sonne – eigentlich hatte ich mit Utopien wie diesen fast schon abgeschlossen. All das wirkt im Moment ferner denn je.
Dann stolperte ich neulich über einen Film bei einem Streamingdienst. In der Vorschau heisst es: "Die meisten Dokumentationen zum Klimawandel lassen dich erdrückt, paralysiert und depressiv zurück. Aber diese wird dir Hoffnung geben." Und tatsächlich: In "Kiss the Ground" sehe ich Pflanzen, die aus der Erde spriessen, Kinder, die im Sonnenlicht lachen, und frische Karotten, die voller Leben aus dem Boden gezogen werden. Was für eine wundervolle, wenn auch etwas kitschige Utopie.
Ich habe vor einiger Zeit einen Text zu solch einer Zukunft geschrieben: Wie unsere Meere aussehen würden, wenn die deutsche Politik ihre Versprechen zu Klima- und Naturschutz bis zum Jahr 2030 umsetzt. Dorsch, Hering und Seelachs würden irgendwann wieder die Netze der Fischerinnen und Fischer füllen. Und doch bleibt die Frage: Wann trägt uns die Vision einer besseren Welt – und wann zwingt uns erst das drohende Bild einer Katastrophe zum Aufwachen?
Utopien als Zeichen von Krisen
Schon immer haben Philosophen überlegt, wie eine bessere Gesellschaft aussehen könnte. Den Begriff "Utopie" prägte der Schriftsteller Thomas Morus. In einem Werk von 1516 beschrieb er die Insel Utopia: Hier gebe es weder Arme noch Bettler und "obwohl keiner etwas besitzt, sind doch alle reich". Dies zeichnete einen Kontrast zu dem, was damals auf der Welt los war: Utopische Bilder wie jene von Morus entstanden in einem "Jahrhundert der Umbrüche und Unsicherheiten", schreibt der Journalist und Soziologe Mathias Greffrath.
Auch wir leben derzeit in der Krise. Da kann es helfen, zunächst ein düsteres Bild zu zeichnen. Forschende forderten 2022 in einem Artikel im Fachmagazin PNAS, dass wir uns mehr den katastrophalen Folgen des Klimawandels widmen sollten. Denn der Weltklimarat rechnet meist damit, was passieren könnte, wenn die Temperatur um höchstens zwei Grad steigt. Was wäre aber, wenn es noch heisser wird? Könnte der Klimawandel zu einem "weltweiten gesellschaftlichen Kollaps" oder sogar letztlich zum Aussterben der Menschheit führen? Das Verständnis extremer Risiken sei entscheidend für eine robuste Entscheidungsfindung, schreiben die Forschenden – so könnten wir uns besser darauf vorbereiten und Massnahmen dagegen ergreifen.
Ein wenig Dringlichkeit hilft also. Jeder muss aber selbst entscheiden, wie viel man davon an sich heranlässt. Ständige Dystopien können auf Dauer auch demotivieren.
Wann hilft ein positives Bild?
Fast jeder kennt Dystopien wie den Film "The Day After Tomorrow", die vom Leben nach einer Naturkatastrophe handeln. Warum aber gibt es nicht mehr Utopien, die uns zeigen, wie wir wieder mehr mit der Natur im Einklang leben können?
Eine Utopie bewegt uns meist eher zum Handeln. Eine neue Studie im "Journal of Environmental Psychology" zeigt: Wer sich mit utopischen Visionen einer nachhaltigen Zukunft beschäftigt, entwickelt eher Hoffnung – und damit auch stärkere Absichten, aktiv zu werden. Eine weitere Studie besagt, dass politisches Handeln weniger aus der Angst vor Schäden entsteht, sondern vielmehr aus der Vorstellung von Vorteilen.
Empfehlungen der Redaktion
Wir müssen uns die Zukunft wieder mehr ausmalen, aber auch konkrete Lösungen entwickeln. Denn positive Zukunftsszenarien sind sehr unterschiedlich: Bei der Dokumentation "Kiss the Ground" ging es letztlich darum, Kohlenstoffdioxid im Boden zu speichern. Nur was würde das dann mit dem Mikrokosmos machen, der dort bisher noch kaum verstanden ist?
Wir brauchen konkrete Handlungsansätze, die auf wissenschaftlichen Fakten beruhen. Und vor allem eines: Taten. Nur so kann eine Utopie von einer reinen Träumerei Einzug in die Realität finden.
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Verwendete Quellen
- Webseite von Kiss the Ground
- deutschlandfunk.de: Warum Utopien scheitern
- Max-Planck-Gesellschaft: Die vierte Massenbleiche
- pnas.org: Climate Endgame: Exploring catastrophic climate change scenarios
- sciencedirect.com: Visions of Tomorrow: Emotional drivers of climate change mitigation and adaptation intentions
- researchgate.net: Utopian Hopes or Dystopian Fears? Exploring the Motivational Underpinnings of Moralized Political Engagement
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