Ob Waschbär in Deutschland oder Feuerfisch im Mittelmeer: Der Mensch setzt auf das Aufessen als Waffe gegen invasive Arten – mit Erfolg?

Diese Kolumne stellt die Sicht von Lisbeth Schröder (RiffReporter) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Es gibt viele Möglichkeiten, mit seinen Problemen umzugehen. Eine davon ist, 70 seiner Freunde einzuladen, den Festschmaus mit Jagdhornbläsern einzuleiten und die Probleme einfach aufzuessen. So passiert es etwa in Breitenwisch, einem kleinen Ort in Niedersachsen. Dort findet regelmässig ein Nutria-Festessen statt.

Laut der Forscherin Carla Archibald von der Deakin University gewinnt das Essen invasiver Tiere zunehmend an Aufmerksamkeit. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wirbt für die Methode, indem sie sich mit einem Teller voller invasiver Krabben ablichten lässt, in Australien gibt es eine Serie, in der der Moderator mit indigenen Ältesten oder Naturschützer über Schäden und mögliche Gerichte spricht.

Denn invasive Arten verursachen laut einem Bericht des Weltbiodiversitätsrats 423 Milliarden Dollar Kosten jedes Jahr und spielen bei 60 Prozent des Aussterbens von anderen Tier- und Pflanzenarten eine entscheidende Rolle. Tendenz steigend. Warum sollte man Tiere wie Nutrias, Sumpfkrebse oder Fische wie die Schwarzmundgrundeln also nicht einfach aufessen – und damit noch Gewinn erwirtschaften?

Von Nutria-Festen bis "Eat the Invaders"

Die Idee ist an sich nicht neu: Nutrias etwa wurden in den 1930er-Jahren in die USA gebracht, um ihr Fell zu gewinnen. Doch als sie eine Plage wurden, wurde dort ein Nutria-Fest veranstaltet. So richtig populär wurde die Idee Anfang 2004, als ein Essay namens "Eat the Invaders" ("Esst die Eindringlinge") von der Universität von Vermont erschien. "Tatsächlich ist nichts besser geeignet, eine gesamte Spezies auszulöschen, als der Mensch", schreibt der Autor Joe Roman. Statt den Garten mit Pestiziden zu behandeln, könne man etwa aus invasiven Arten einen Salat mit Balsamico-Vinaigrette zubereiten. Roman empfiehlt Rezepte für Frühlingsrollen mit Nutria, Wildschwein oder Sumpfkrebs. Mit Kriegsrhetorik schreibt er: "Es gibt eine ausserirdische Armee, die durch unser Land marschiert, eine Armee so gross und so zerstörerisch, dass selbst Orson Welles in den Keller flüchten würde."

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In Mexiko schrumpfte der Bestand der Feuerfische durch intensive Befischung innerhalb von zwei Jahren um 60 Prozent. (Archivbild) © Getty Images/Anna Perfilova

Aber ist es so einfach, invasive Arten loszuwerden? Kurzfristig schon, das zeigen erste Studien: Der Feuerfisch, der sich schneller als jede andere invasive Art im Mittelmeer ausbreitet, ist so ein Fall. Laut der Europäischen Union (EU) könnte seine Ausbreitung fast das gesamte Ökosystem des Mittelmeers bis Ende des Jahrhunderts bedrohen. Taucherteams fischten deswegen zwischen 2019 und 2020 Hunderte Feuerfische aus dem Wasser, wodurch die Population nach Angaben der EU tatsächlich drastisch zurückging. Auch in mexikanischen Gewässern, wo der Fisch ebenfalls eine Plage ist, war die intensive Befischung erfolgreich. Hier schrumpfte der Bestand innerhalb von zwei Jahren um 60 Prozent.

Doch das Ganze hat gleich zwei Haken. "Man zielt immer auf die grösseren Individuen", erklärt Sven Bacher von der Universität Freiburg. So käme es quasi zu einer Art Turboevolution. Im Wasser bedeutet das: Nur die kleinen Fische pflanzen sich fort, breiten sich aus und schlüpfen eventuell durch die Netze der Fischer. Der zweite Haken: "Man kreiert einen Markt", sagt Daniel Simberloff, Invasionsbiologe an der Universität von Tennessee. Und dieser Markt kann dann zusammenbrechen: In den mexikanischen Gewässern löste der scheinbare Erfolg der Fischerei des Feuerfischs ihren Niedergang aus, heisst es in einer wissenschaftlichen Studie dazu.

Kurzfristiger Erfolg, langfristige Zweifel

Simberloff und Bacher sind kein Fall bekannt, bei dem das Jagen invasiver Arten einen langfristigen Effekt gebracht hätte. An der Idee, invasive Arten zu essen, zeige sich, was häufig im Naturschutz schiefläuft, sagt Bacher: "Oft werden direkt die Symptome bekämpft, indem man etwa einen gewissen Betrag in die Bekämpfung einer invasiven Art steckt. Aber man muss sich zunächst im Klaren darüber sein, was man erreichen möchte. Zum Beispiel, dass man so und so viele Arten an heimischen Fischen in einem Riff haben möchte oder so und so viele Vögel in einem Naturschutzgebiet."

Empfehlungen der Redaktion

Vielleicht ist das Essen invasiver Arten aber auch ein Symptom der Hilflosigkeit, die sich gerade in vielen Bereichen des Naturschutzes zeigt: Wir pusten CO2 in die Atmosphäre und hoffen, dass wir es vielleicht irgendwann im Boden speichern können, wie der Film "Kiss the Ground" zeigt. Wir zerstören ganze Wälder und hoffen, ein bisschen Aufforstung könnte schon reichen. Oder wir verpesten Böden und versauern die Gewässer, wodurch sich invasive Arten überhaupt erst ansiedeln können. Um ihnen zu begegnen, müssen wir nicht nur über Bekämpfungen nachdenken. Wir müssen auch an den Ursachen ansetzen.

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