Ihr Leuchten verzaubert Sommernächte – doch Glühwürmchen sind zunehmend bedroht: durch künstliches Licht, Pestizide und die Klimakrise. Was wir tun können, um sie zu schützen.
Ich war sechs oder sieben Jahre alt, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Es war im Sommerurlaub auf der Mittelmeerinsel Elba. Meine Familie und ich stiegen in der Abenddämmerung einen Berg hinauf. Plötzlich sahen wir kleine Lichtpunkte über dem Gras und zwischen den Büschen tanzen.
Als ich näher hinschaute, erkannte ich, dass es relativ unscheinbare Insekten waren, mit braun-schwarzem Panzer, deren Hinterleib im Dunkeln leuchtete. Mein Vater erklärte mir auf Italienisch, dass sie lucciole heissen – kleine Lichter. Oder auf Deutsch eben: Glühwürmchen.
Als Stadtkind kannte ich Glühwürmchen bis dahin nur aus Büchern und Filmen. Aber seit diesem ersten Moment als Kind war ich fasziniert von den Käfern. Denn biologisch gehören Glühwürmchen zur Familie der Leuchtkäfer, also zur Ordnung der Käfer, nicht der Würmer.
Lebensraumverlust, Pestizide und Licht gefährden Glühwürmchen
Vor ein paar Tagen schickte mir eine Freundin einen Beitrag auf Instagram mit dem Titel: "We are the last generation that will see fireflies" – auf Deutsch: "Wir sind die letzte Generation, die Glühwürmchen sehen wird." Der Satz liess mich nicht mehr los. Die Vorstellung, dass nachfolgende Generationen diese leuchtenden Tiere womöglich nie mehr zu Gesicht bekommen, bedrückte mich.
Ich begann zu recherchieren und fand schliesslich die Studie, auf die sich der Beitrag bezog: eine Analyse der Tufts University aus dem Jahr 2020, die in Zusammenarbeit mit der Weltnaturschutzunion IUCN entstand. Für die Studie wurden 350 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Regionen befragt. Sie sollten bewerten, welche Bedrohungen den Fortbestand der Tiere am stärksten gefährden. Die drei häufigsten Antworten: Lebensraumverlust, Pestizide und Lichtverschmutzung. Doch auch Wasserverschmutzung und der Klimawandel spielen eine Rolle.
Weltweit gibt es rund 2.000 Glühwürmchenarten. Sie verbringen den Grossteil ihres Lebens als Larven im Boden oder Laub. Dort leben sie über Monate oder sogar Jahre, bevor sie sich verpuppen und als leuchtende Käfer für ein paar Tage oder Wochen im Sommer umherschwirren. Damit die Larven überleben, brauchen sie feuchte, ungestörte Orte: Wiesen, Waldränder, Gebüsche, Flussufer. Doch solche Lebensräume verschwinden zunehmend. Wiesen werden zu häufig gemäht, Felder mit Pestiziden behandelt und Flächen versiegelt.
Die Folgen von Klimawandel und künstlicher Belichtung
Die Klimakrise verschärft diese Entwicklung: Längere Dürreperioden, Starkregen und Hitzewellen bringen den empfindlichen Zyklus der kleinen Leuchtkäfer durcheinander. Studien zeigen zum Beispiel: Bei höheren Temperaturen werden die Leuchtsignale der männlichen Glühwürmchen kürzer und weniger effektiv, der Paarungserfolg sinkt. Die Weibchen reagieren seltener, die Fortpflanzung gerät aus dem Takt.
Und dann ist da noch das künstliche Licht. Glühwürmchen kommunizieren über Lichtsignale: Die Männchen blinken im Flug, die Weibchen antworten vom Boden aus. Doch wenn überall Licht brennt – Strassenlaternen, Gartenlampen, Schaufenster –, finden die Käfer einander nicht. Die nächtliche Lichtmenge hat sich in Europa in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt. Insekten werden dadurch nicht nur gestört, sondern auch aktiv angelockt. Eine Strassenlaterne können sie also für ein Männchen halten. Sie verlieren die Orientierung, fliegen bis zur Erschöpfung und sterben.
Das Verschwinden der Glühwürmchen wäre mehr als nur das Ende sommerlicher Romantik, es wäre ein Warnsignal. Denn sie spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem. Ihre Larven fressen zum Beispiel gerne Schnecken, darunter auch invasive Arten, die Gärten und Felder schädigen. Damit leisten sie biologische Schädlingskontrolle. Gleichzeitig sind sie selbst Nahrung für Vögel, Amphibien und Spinnen. Fehlen sie, bricht ein Teil der Nahrungskette weg. Das kann ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen und weitreichende Folgen für die Artenvielfalt und die Stabilität natürlicher Kreisläufe haben. Kreisläufe, von denen letztendlich auch wir Menschen abhängig sind.
Der Rückgang der Glühwürmchen ist aber auch ein Zeichen dafür, dass unsere Umwelt aus dem Takt gerät. Wer sie nicht mehr sieht, sollte sich fragen: Was stimmt hier nicht? Und doch stimmt der Satz "Wir sind die letzte Generation, die Glühwürmchen sehen wird" so nicht. Denn: Noch gibt es sie und wir können etwas tun, damit das so bleibt.
Glühwürmchen schützen - aber wie?
Ein erster Schritt ist, die Lichtverschmutzung zu reduzieren. Aussenlampen müssen zum Beispiel nicht die ganze Nacht brennen. Auch Bewegungssensoren, warmweisses Licht mit niedriger Farbtemperatur und abgeschirmte Leuchten helfen, die Nacht wieder dunkler zu machen. Selbst einfache Dinge wie das Ausschalten unnötiger Beleuchtung oder das Zuziehen von Vorhängen können einen Unterschied machen. Denn jede Stunde Dunkelheit zählt, für Glühwürmchen, Nachtfalter und viele andere dämmerungsaktive Tiere.
Wir können Gärten wieder zu Lebensräumen machen. Der NABU empfiehlt zum Beispiel: keine Schotterflächen, weniger Mähen, Blühinseln statt Rasen, das Laub liegen lassen und Totholz nicht gleich entsorgen. Das hilft nicht nur Glühwürmchen, sondern auch vielen anderen Tieren: Wildbienen, Igeln, Vögeln, Amphibien. Aber auch Balkonkästen, begrünte Hinterhöfe oder wilde Ecken in der Stadt helfen. Jede Fläche zählt. Landwirtinnen und Hobbygärtner sollten auf chemische Mittel verzichten und zum Beispiel Blühstreifen anlegen, die Nützlingen wie Glühwürmchen ein Zuhause bieten.
Insektenfreundliche Strassenbeleuchtung und begrünte Flächen
Und ja: Auch kleine Entscheidungen im Alltag machen einen Unterschied. Wer zum Beispiel mit dem Rad statt mit dem Auto fährt, Ökostrom nutzt, regional und saisonal einkauft, schützt nicht nur das Klima, sondern auch Lebensräume, für Glühwürmchen und viele andere Arten. Und natürlich ist es auch wichtig, politisch Druck zu machen. Denn: Ohne politische Weichenstellungen können auch private Entscheidungen langfristig nur wenig bewirken. Wir brauchen dringend Kommunen und Bezirke, die zum Beispiel auf insektenfreundliche Strassenbeleuchtung und begrünte Flächen setzen.
Empfehlungen der Redaktion
Eines der grössten Probleme unserer Zeit ist vielleicht, dass wir gar nicht mehr merken, wenn eine Tier- oder Pflanzenart verschwindet. In Berlin zum Beispiel würde ich es vermutlich nicht einmal mitbekommen, wenn Glühwürmchen verschwinden. Einfach, weil sie ohnehin nur noch an wenigen, abgelegenen Orten vorkommen, zum Beispiel am Müggelsee.
Gerade deshalb sind diese seltenen Erinnerungen so kostbar. Momente wie jener auf Elba: das Leuchten über dem Gras, das Staunen, das ich damals empfand. Heute weiss ich, dass auf der Insel eine seltene Glühwürmchenart lebt: Lampyris lareynii maculata, die nur auf wenigen Mittelmeerinseln vorkommt. Vielleicht war es genau diese Art, die ich als Kind gesehen habe. Und vielleicht war es genau dieser Moment, der in mir den Wunsch geweckt hat: Wir dürfen die kleinen Leuchtkäfer nicht verlieren.
Verwendete Quellen
- Oxford Academic: Eine globale Perspektive auf die Bedrohung durch das Aussterben von Glühwürmchen
- WWF: Glühwürmchen: wie sie leben und warum sie leuchten
- Nature: Light from a firefly at temperatures considerably higher and lower than normal
- Oxford Academics: Long-term trends of light pollution assessed from SQM measurements and an empirical atmospheric model
- Nabu Odenwaldkreis: Glühwürmchen-Die kleinen leuchtenden Helfer des Gärtners
- LBV Starnberg: Glühwürmchen und Leuchtkäfer
- Nabu: Summen, Surren und Vogelgezwitscher
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