Das Vorhaben, die Europäische Union zu verlassen, beschert Grossbritannien einen neuen Regierungschef. Boris Johnson löst die in drei Jahren glücklose Theresa May ab. Für die englische Königin Elizabeth II. ist Johnson bereits der 14. Premierminster.

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Der Brexit-Hardliner Boris Johnson ist neuer Regierungschef Grossbritanniens. Er wurde am Mittwoch von Königin Elizabeth II. zum Premierminister ernannt.

Der 55-jährige Johnson tritt damit die Nachfolge seiner Parteikollegin Theresa May an, die unmittelbar zuvor ihren Rücktritt bei der Queen eingereicht hatte.

Bei ihrer letzten Ansprache als amtierende Regierungschefin sagte May, sie habe versucht, einen für das gesamte Vereinigte Königreich funktionierenden Brexit zu erreichen. Dies sei nun die drängendste Aufgabe, die vor ihrem Nachfolger liege.

Theresa May und Angela Merkel wünschen Boris Johnson Glück

Sie wünsche Johnson und seiner künftigen Regierung für die kommenden Monate und Jahre viel Glück.

Bundeskanzlerin Merkel schloss sich den guten Wünschen an. "Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit und die weitere Vertiefung unserer bilateralen Beziehungen", schrieb Merkel nach Angaben der stellvertretenden Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Mittwoch. "Tiefe Freundschaft und enge Partnerschaft prägen das Verhältnis unserer Länder."

Die Kanzlerin verwies auf ein "gemeinsames Engagement für eine regelbasierte internationale Ordnung" und ein "gemeinsames europäisches Erbe".

Insgesamt 13 Premierminister hat die britische Königin Elizabeth II. schon kommen und gehen gesehen. Ihr Lieblings-Regierungschef soll der erste, Winston Churchill, gewesen sein. Er war - so sagt man - wie ein gutmütiger Onkel, der sich um sie kümmerte, als ihr Vater gestorben war. Inzwischen ist die Queen 93 Jahre alt - und Johnson die Nummer 14.

Die Nummer 12 trug David Cameron. Auch Mays direkter Vorgänger wünschte Johnson im neuen Amt ein glückliches Händchen.

Der Posten des Premiers sei ein grosses Privileg, beinhalte aber auch eine grosse Verantwortung, erklärte Cameron am Mittwoch auf Twitter. "Ich wünsche Ihnen alles Gute", schrieb er.

David Cameron verzockte sich mit dem Brexit-Referendum

Cameron hatte das Referendum über den Austritt seines Landes aus der EU in der Hoffnung angekündigt, dass sich eine Mehrheit der Briten gegen einen Austritt aussprechen würde. Tatsächlich stimmten sie 2016 für den Brexit.

Diese Entscheidung hat Grossbritannien politisch in eine tosende See geschickt, auf der dem Land die Orientierung offensichtlich verloren gegangen ist. Der Rücktritt Mays ist eine direkte Folge der Zerstrittenheit und ist nicht der einzige geblieben.

Nach einer Reihe anderer Kabinettsmitglieder hat auch der britische Vize-Premierminister David Lidington seinen Rücktritt verkündet. Er habe Johnson bereits mitgeteilt, dass für ihn der richtige Augenblick dafür gekommen sei, schrieb Lidington am Mittwoch auf Twitter.

Zuvor waren bereits Finanzminister Philip Hammond, Justizminister David Gauke und Entwicklungshilfeminister Rory Stewart von ihren Posten zurückgetreten. Wie Lidington gelten sie als EU-freundlich.

Auch Justizminister David Gauke und Entwicklungsminister Rory Stewart legten ihre Ämter nieder.

Hammond legte seine Entscheidung am Mittwoch in einem Brief an May dar. Der neue Regierungschef solle sich einen Schatzkanzler suchen, "der vollkommen auf Linie mit seiner politischen Position ist", schrieb Hammond. Ausserdem warnte er, dass die Ungewissheit über die Form des Brexit für "Unsicherheit" in der Wirtschaft sorge.

Gauke, Stewart und Duncan treten ebenfalls wegen Johnson ab

Bereits am Freitag hatte Hammond erklärt, er könne Johnsons Ankündigung, Grossbritannien notfalls auch ohne Austrittsvertrag bis zum 31. Oktober aus der EU zu führen, niemals unterstützen.

Auch Gauke hatte am Sonntag bereits angekündigt, dass er Johnson die Gefolgschaft verweigern werde. Aussenstaatssekretär Alan Duncan reichte sein Rücktrittsgesuch bereits am Montag bei May ein.

Ob die Königin jemals eine grosse Sympathie für den Brexit-Hardliner Johnson empfinden wird, darf stark bezweifelt werden.

Der 55-jährige Johnson nimmt es nicht so genau mit der Wahrheit, kommt oft polternd und exzentrisch daher. Dennoch ist er bei den Mitgliedern seiner Konservativen Partei so beliebt, dass sie ihn mit grosser Mehrheit zu ihrem Chef gewählt haben - und damit auch zum Nachfolger von May. Man traut ihm zu, die vielen enttäuschten Brexit-Wähler wieder ins Boot zu holen.

Donald Trump freut sich auf Johnson

Einen Verbündeten scheint Johnson gefunden zu haben: US-Präsident Donald Trump, der gute Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich wittert. Er lobte Johnson nach der Wahl unter anderem in einer Rede vor einer Studentenorganisation über den grünen Klee: "Er ist tough und er ist schlau. (...) Sie nennen ihn Grossbritanniens Trump, und die Leute sagen, dass das eine gute Sache ist. Sie mögen mich da drüben, sie wollten das so. Es ist das, was sie brauchen."

Wesentlich skeptischer, wenn nicht sogar mit einem Stück Verachtung, wird Johnson von vielen Staats- und Regierungschefs in den anderen EU-Staaten gesehen.

Der Tory-Mann gilt in Brüssel als einer der Politiker, die die britische Bevölkerung mit Lügengeschichten gegen die EU aufhetzen - gleichzeitig aber keine Idee haben, wie ein britischer EU-Austritt einvernehmlich und ohne negative Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft umgesetzt werden soll.

Putin wünscht "viel Erfolg"

Russlands Präsident Wladimir Putin hat Boris Johnson "viel Erfolg bei seiner verantwortungsvollen Arbeit" gewünscht. In einem am Mittwoch vom Kreml in Moskau verbreiteten Glückwunschschreiben warb Putin für einen Ausbau der Beziehungen zwischen Moskau und London. Das würde den Interessen beider Länder und Völker entsprechen.

Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte den Kremlchef zuletzt aufgefordert, "verantwortungslose und destabilisierende" Aktivitäten zu beenden. Anderenfalls könnten sich die Beziehungen nicht normalisieren. Hintergrund ist der Giftanschlag auf den Ex-Spion Sergej Skripal und dessen Tochter Julia im März 2018 mit dem in der früheren Sowjetunion entwickelten chemischen Kampfstoff Nowitschok. Russland weist jede Verantwortung in diesem Fall von sich.

Michael Barnier fordert Klarheit von Johnson

EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier hat von Johnson Klarheit über den Kurs beim EU-Austritt gefordert. "Wir freuen uns darauf zu hören, was der neue Premierminister Johnson will", sagte Barnier der BBC am Mittwoch. "Welche Entscheidungen trifft das Vereinigte Königreich?"

Barnier betonte, es sei "ein sehr wichtiger Moment für den Brexit". Die EU werde sich nie für einen Austritt ohne Abkommen entscheiden, sagte er. "Aber wir sind darauf vorbereitet."

Er wolle versuchen, "in einem sehr konstruktiven Geist" mit der britischen Regierung zusammenzuarbeiten, "um eine Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern".

Ein mögliches Entgegenkommen der EU hängt von einem politischen Kurswechsel Irlands ab. Das kleine EU-Land steckt in dem Dilemma, da es unbedingt an dem Austrittsabkommen festhalten will: Es enthält nämlich eine Garantieklausel, um die Wiedereinführung von Kontrollen an der Grenze zum britischen Nordirland zu verhindern.

Gleichzeitig würde ein No Deal, also ein ungeregelter EU-Austritt, unweigerlich zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen führen - also genau der Situation, die mit dem Abkommen vermieden werden soll.

In Brüssel wird allerdings nicht erwartet, dass Irland wegen der No-Deal-Drohungen Johnsons einknickt und die EU-Partner um eine Neuverhandlung des Abkommen bittet.

Genau die Garantieklausel, die neue Grenzen ausschliessen soll, will Johnson nämlich aus dem Abkommen herausverhandeln. Sie sei ein "Instrument der Einkerkerung" Grossbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt, schimpfte er zuletzt.

Für wahrscheinlicher wird es in Brüssel gehalten, dass am Ende Johnson einknickt. Zum einen, weil er die Verantwortung für die absehbaren wirtschaftlichen Schäden durch einen ungeregelten Brexit nicht tragen will, vor allem aber, weil ein Vorantreiben des No Deals zu seinem Sturz durch politische Gegner in den eigenen Reihen führen könnte. Johnson würde dann womöglich als der Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte eingehen.

Johnsons Position im Brexit-Chaos ist schwer zu halten

Um dies zu verhindern, könnte Johnson nichts anderes übrig bleiben, als doch noch eine politische Kehrtwende zu vollziehen. In diesem Szenario würde er zum Beispiel Änderungen an der politischen Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich als so weitreichend verkaufen, dass sie eine Annahme des Austrittsabkommens ermöglichen. So könnte es am 31. Oktober dann doch zu einem geregelten Brexit oder zumindest zu einer weiteren Verschiebung des Austrittsdatums kommen.

Die Königin mischt sich nicht in die Politik ein. Die Queen wird das alles beobachten und dabei wissen, dass sie gute Chancen hat, auch den 15. Premierminister in ihrer Regentschaft noch zu erleben. May hat drei Jahre lang auf ihrem Posten ausgeharrt; vor allem als Aussenminister hat ihr Johnson das Leben oft zur Hölle gemacht. Hat er nun sein Ziel wirklich erreicht? Die Probleme sind geblieben. Das Parlament ist im Brexit-Kurs zerstritten. Und Johnson kann wie seine Vorgängerin nur mit einer hauchdünnen Mehrheit regieren. (hau/dpa/AFP)

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