Der FC Schalke steht vor einer ungewissen Zukunft. Es wird ein Trainer gesucht, der Kader ist unausgewogen und die wirtschaftliche Situation ist prekär. Kulttrainer Peter Neururer macht das grösste Problem in der fehlenden sportlichen Kompetenz aus.
Viel Zeit hat Peter Neururer eigentlich nicht. "Nur kurz" könne er über den FC Schalke 04 reden, sagt er. Doch das Gespräch mit unserer Redaktion wurde nicht nur ein längeres, sondern auch ein emotionales. Dem 70-Jährigen war deutlich anzumerken, wie sehr ihm die Entwicklung des Revierklubs zusetzt. "Mir blutet schon ganz lange das Herz", sagt er. Und holte dann aus, um die Missstände bei seinem Ex-Klub schonungslos anzusprechen. Heraus kommt ein Plädoyer für mehr Struktur und Kompetenz in Gelsenkirchen.
Die Verantwortlichen in den meisten Ämtern sind hoffnungslos überfordert, weil sie vom Bundesliga-Geschäft keine Ahnung haben.
"Der Verein ist ohne sportliche Führung, ohne sportliche Linie. Er hat die fantastischsten Fans, die man sich vorstellen kann. Aber er hat das grosse Problem, dass es keine sportliche Führung gibt und niemand im Verein imstande ist, klare Zielsetzungen auszugeben", sagt Neururer. "Die Verantwortlichen in den meisten Ämtern sind hoffnungslos überfordert, weil sie vom Bundesliga-Geschäft keine Ahnung haben", erklärt er.
Die Fakten geben Neururer Recht. Seit 2023/24 spielt Schalke in der 2. Bundesliga. Nach Platz zehn in der Vorsaison belegt S04 aktuell Platz 13 und wird mit viel Glück einer Relegation entgehen. Wie bitter die Lage ist, verdeutlicht die Tatsache, dass Schalke am letzten Spieltag noch auf Platz 15 abrutschen könnte. Damit würde der Klub erstmals in seiner Historie bei der DFB-Pokal-Auslosung im Amateurtopf landen.
Kein Trainer sorgt für nachhaltigen Erfolg
Zuletzt hat man sich nach einem peinlichen Hin und Her doch vorzeitig von Trainer Kees van Wonderen getrennt, der während der Saison Karel Geraerts abgelöst hatte. Der Schalke-Wahnsinn: Seit
Und die "Königsblauen" sorgen mit seltsamen Entscheidungen, reichlich Zoff hinter und sogar vor den Kulissen und einem unausgewogenen Kader auch aktuell für dauerhafte negative Schlagzeilen. Schalke war schon immer eine Diva, ein Verein, der traditionell für ein unterhaltsames Chaos steht, aber auch für Erfolg.
Neururer: "Was danach kam, war einfach nur Chaos"
Neururer verweist auf die Ära
Das grosse Problem der Ära Tönnies – die rund um den Klub auch kritisch gesehen wird - ist aber die enorme Schuldenlast, unter der Schalke immer noch ächzt. Für den Verein ist es ein stetiger Kampf um das wirtschaftliche Überleben. Zuletzt wurden die Schulden abgebaut – auf rund 150 Millionen Euro. Nur knapp entging der Klub einem Punktabzug. Dementsprechend eingeschränkt sind die Verantwortlichen in ihren Handlungen. Was aber nicht gleichbedeutend mit sportlichem Misserfolg sein muss. Und das ist laut Neururer der Knackpunkt.
Denn für den Ex-Coach fehlt die Kompetenz im Verein, um kreative Lösungen zu finden. Im Idealfall eine gesunde und vielversprechende Mischung aus ambitionierten Profis und der eigenen Knappenschmiede. Schalke steht sportlich wie strukturell an einem Scheideweg.
Es dominiert die Angst, Fehler zu machen
Entscheidend wird sein, ob der Spagat zwischen wirtschaftlicher Konsolidierung und sportlicher Wettbewerbsfähigkeit gelingt. Dafür braucht es Mut und Entschlossenheit, dabei wirkt es aber eher so, als dominiere die Angst, Fehler zu machen, weil die Situation um den angeschlagenen Traditionsklub nicht nur prekär, sondern auch fragil ist. So steht man auf Schalke vor allem sich selbst im Weg.
Die Gemengelage ist eine Herausforderung, an der Schalke im Moment krachend scheitert. Mit der Mannschaft könne man niemals im oberen Drittel mitspielen, sagt Neururer. "Diese Mannschaft ist vom Aufstieg so weit entfernt. Das ist unfassbar." Die jetzige Führung werde auf die Restschulden verweisen, erklärt er. "Aber dann muss man anders vorgehen, dann kann man nicht 20 Trainer verpflichten. Dann kann man nicht zig Direktoren haben."
Kritik an den Verantwortlichen
Kritik richtet sich dabei vor allem gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Axel Hefer, den Vorstandsvorsitzenden Matthias Tillmann und Kaderplaner Ben Manga, der vor der Saison 15 neue Spieler holte, damit aber nicht die richtige Mischung fand. Seit einigen Monaten ist Klub-Legende Youri Mulder interimsweise als Sportdirektor im Amt, am 1. Juni startet Ex-Profi Frank Baumann offiziell als Sportvorstand.
Jakob Fimpel ist zum zweiten Mal in dieser Saison Interimstrainer, eine neue langfristige Lösung wird mal wieder gesucht. "Aber diejenigen, die die Trainer verpflichtet haben, werden nicht entlassen, die bleiben da. Die verpflichten den nächsten Trainer auch wieder", sagt Neururer.
Kann Baumann das Ruder herumreissen?
Viele Hoffnungen ruhen jetzt darauf, dass der frühere Bremer Baumann mit seiner ruhigen und bedachten Art Ordnung in das Chaos und Stabilität bringt. "Er hat gezeigt, dass er es kann", sagt Neururer. Das "Aber" lässt allerdings nicht lange auf sich warten.
"Aber was hat man ihm erzählt? Was soll er machen, was hat er zur Verfügung? Und wie sieht das Team von Schalke 04 aus? Hat man ihm die Wahrheit gesagt? Weiss er, wie es um diesen Verein steht? Das sind Fragen, die man sich stellt. Aber wer stellt die Fragen da? Das ist das Problem", meint Neururer. Er ist daher eher skeptisch, ob Baumann das Ruder herumreissen kann.
Die Verantwortlichen sehen das naturgemäss anders. "Ich glaube, dass die Mannschaft besser ist als ihr derzeitiger Tabellenplatz und als das, was sie teilweise auf dem Feld anbietet", sagte Tillmann im "Kicker". "Es mit den richtigen Transfers und dem passenden Trainer auf den Platz zu bekommen, ist unsere Aufgabe für den Sommer." Die Fans irritierte er dabei mit der Aussage, dass "kein XXL-Umbruch" notwendig sei.
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Umbruch ergibt sich fast von selbst
Dabei ergibt der sich fast von selbst. Die Verträge von Ralf Fährmann, Dominick Drexler, Tobias Mohr, Memo Aydin und Marcin Kaminiski laufen aus, Stammspieler wie Derry Murkin, Paul Seguin, Moussa Sylla und Taylan Bulut könnten gehen, dafür aber auch Ablöse einbringen. Die dann wieder klug investiert werden müsste.
Die Entwicklung ist brandgefährlich. Denn irgendwann kippt die Stimmung.
Für Neururer sind die Massnahmen rund um den Kader aber zu oft "ein weiterer Schritt zurück. Viele Schritte zurück kann ich aber nicht mehr machen. Dann bin ich in der 3. Liga", stellt er klar. Und er schlägt Alarm. "Die Entwicklung ist brandgefährlich. Denn irgendwann kippt die Stimmung." Tillmann hatte zuletzt betont, das Ziel sei es, "dauerhaft in die Bundesliga zurückzukehren". Für Neururer kann es mit der Perspektive "allerdings nur darum gehen, im nächsten Jahr die Liga zu halten".
Tönnies und Neururer zurück zu S04?
Würde es Neururer selbst nochmal reizen, auf Schalke zu helfen? Sportliche Kompetenz würde er zweifellos mitbringen. "Ja bravo, aber auf Schalke würde man diese wohl ohnehin nicht erkennen. Das ist aber nicht schlimm", sagt Neururer, "denn warum sollen die sich Fachkompetenz holen? Wenn die Menschen, die im Augenblick den Verein führen, Fachkompetenz holen, dann verlieren sie ihre eigene Daseinsberechtigung."
Und was wäre, wenn Tönnies noch einmal zurückkehren würde? Es gab in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Spekulationen über ein Comeback des einst mächtigen Klubbosses. "Er würde dem Verein immer helfen. Aber alleine helfen reicht ja nicht", sagt Neururer. "Du musst in Personen investieren, die auch fussballerischen Sachverstand haben, die dann imstande sind, mit dem zur Verfügung stehenden Geld auch optimale Spieler zu holen." Sonst dürfte Neururer das Herz noch ein bisschen länger bluten.
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Über den Gesprächspartner:
- Peter Neururer ist ein ehemaliger Bundesliga-Trainer, der unter anderem auch beim FC Schalke tätig war. Heute ist der 70-Jährige als Experte tätig.