Weniger Debatten, weniger Schauspielerei, keine Rudelbildung – ohne Zuschauer halten sich die Spieler gegenüber den Schiedsrichtern stärker zurück als sonst. Nicht nur das ist ungewohnt für die Unparteiischen an diesem ersten "Geisterspieltag". Verstösse gegen die Hygienevorschriften müssen sie aber nicht sanktionieren.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Oft war am Wochenende zu hören oder zu lesen, die "Restart" genannte Fortsetzung der Bundesliga habe in mancherlei Hinsicht an Kreisligakicks erinnert. Nicht vom spielerischen Niveau natürlich, aber mit Blick auf das ganze Drumherum dieser Wiederaufnahme des Spielbetriebs ohne Publikum.

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Wie in den untersten Ligen des Amateurfussballs, wo kaum jemand zusieht, gab es von aussen praktisch keinerlei Reaktionen auf das Spielgeschehen. Keinen Jubel, keine Flüche, keine Gesänge, keine Anfeuerungen, keine Pfeifkonzerte.

Die Kommandos auf dem Feld und von den Bänken waren gut zu hören, und wenn ein Ball an Latte oder Pfosten knallte, war das viel klarer zu vernehmen als sonst. Die Pfiffe des Schiedsrichters wurden ebenfalls nicht vom Lärm gedämpft, sondern klangen laut und durchdringend.

Auch für die Unparteiischen ist es eigenartig, ein Spiel vor leeren Rängen zu leiten, wobei ihnen diese Situation zumindest noch aus den Anfängen ihrer Laufbahn vertraut ist. Denn jeder von ihnen hat einmal ganz unten angefangen, wo es kaum Zuschauer gibt.

Weniger Proteste, weniger Schauspielerei

Doch daran ist keine Pandemie schuld, und ausserdem ist das lange her. Deshalb hat die sportliche Leitung der Schiedsrichter versucht, die Referees in Videokonferenzen auf die "Geisterspiele" vorzubereiten.

Konkret zum Beispiel darauf, wie Fussball unter diesen Voraussetzungen aussieht. Oder darauf, dass im Fernsehen zu hören ist, was die Schiedsrichter zu den Spielern sagen. Und darauf, was sich am Verhalten der Spieler ihnen gegenüber ändern könnte.

Was den zuletzt genannten Aspekt betrifft, lässt sich zumindest für diesen Spieltag konstatieren: Es gab weniger Diskussionen, weniger Proteste, weniger Schauspielerei und weniger Theatralik als üblich.

Wenn kein Publikum da ist, das sich gegen den Unparteiischen aufbringen lässt, sparen sich manche Spieler und Trainer offenbar das Reklamieren, Debattieren und Simulieren.

Vielleicht ist so mancher aber auch gehemmt, weil er weiss, dass die Mikrofone zumindest jedes laut gesprochene Wort einfangen und dass das Vortäuschen einer Verletzung vor verwaisten Rängen noch alberner wirkt.

Ein gutes Ziel auch für Spiele mit Publikum

Eine – übrigens richtige – Entscheidung wie die von Schiedsrichter Deniz Aytekin im Revierduell zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 (4:0), das Handspiel des Schalkers Jonjoe Kenny in dessen Strafraum nicht mit einem Strafstoss zu ahnden, hätte in einem vollen Westfalenstadion vermutlich für Diskussionen gesorgt.

Nun jedoch regte die Szene kaum jemanden auf. Auch der ebenso korrekte Elfmeterpfiff von Bastian Dankert für den FC Bayern München im Spiel bei Union Berlin (2:0) hätte die Alte Försterei sonst laut werden lassen. Jetzt aber gab es keinerlei Reklamationen.

Wenn die Überprüfung einer Szene durch den Video-Assistenten einmal etwas mehr Zeit in Anspruch nahm wie etwa in Köln und Berlin, dann entfiel das übliche Umringen des Unparteiischen, zu dem es sonst neben hörbarem Raunen und "Ihr macht unseren Sport kaputt"-Gesängen der Fans kommt. Stattdessen schwiegen die Spieler und warteten ab.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Keiner mag Spiele ohne Zuschauer. Auch die Schiedsrichter nicht. Aber sollte es an den kommenden Spieltagen ähnlich fair zugehen, wäre das ein gutes Ziel auch für die Zeit, in der das Publikum wieder zugelassen ist.

Warum Brych jetzt auch den FC Augsburg pfeifen darf

Generell war für die Schiedsrichter manches anders. So hätte etwa Felix Brych normalerweise kein Spiel des FC Augsburg pfeifen dürfen, weil der Verein genauso zum Bayerischen Fussballverband gehört wie er selbst.

Doch weil die Unparteiischen nun grundsätzlich erst am Spieltag anreisen sollen, hat man diese Regelung ausser Kraft gesetzt, um ihnen kürzere Wege zu ermöglichen. Spiele in der eigenen Stadt werden die Referees allerdings nicht leiten, Brych wird also nicht die Bayern pfeifen und Manuel Gräfe nicht Hertha BSC oder Union Berlin.

Alle Schiedsrichter, Assistenten und Vierten Offiziellen sind am Tag vor ihrem Einsatz noch einmal auf das Sars-CoV-2-Virus getestet worden, die Testergebnisse lagen spätestens um 10:00 Uhr am Spieltag vor.

Das ist auch der Grund, warum der DFB so spät bekannt gibt, wer wo pfeift: Zunächst werden die Laborergebnisse abgewartet. Sollte ein Teammitglied positiv getestet werden, wird es kurzfristig ersetzt.

Zu diesem Zweck hält die sportliche Leitung der Unparteiischen eine kleine Reserve bereit, die ebenfalls getestet wird und bei Bedarf einspringen kann. Das Testverfahren wird vor jedem Einsatz wiederholt.

Hertha schert aus, wird aber nicht bestraft

Die eine oder andere Diskussion gab es über die Empfehlung der DFL an die Klubs, beim Torjubel möglichst auf körperliche Nähe zu verzichten. Die meisten hielten sich daran, gefeiert wurden Treffer meist nur mit einem kurzen Faust- oder Ellenbogenkontakt.

Hertha BSC scherte allerdings aus: Die Berliner Treffer beim 3:0 in Hoffenheim zelebrierten die Herthaner fast genauso inniglich wie in Zeiten ohne Corona. Sanktionen haben sie trotzdem nicht zu befürchten, weil die DFL ein anderes Verhalten lediglich empfiehlt, aber nicht vorschreibt.

Die Schiedsrichter wiederum sind ohnehin nicht angehalten, Verstösse gegen die Hygieneauflagen zu bestrafen. Da das betreffende Konzept der DFL nicht Bestandteil der Fussballregeln ist, greifen sie auch nicht ein, wenn beispielsweise auf den Bänken die Maskenpflicht vernachlässigt wird. Die Unparteiischen haben genug damit zu tun, das Regelwerk umzusetzen.

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