Die DFB-Frauen verlieren ihr letztes Gruppenspiel der EM 2025 gegen Schweden. Vor dem Viertelfinale gibt es viele offene Fragen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Chaos, Hektik und ein Spiel mit dem Feuer – so lässt sich die spielentscheidende Phase aus deutscher Sicht beschreiben. Gegen Schweden verpasste Deutschland es, sich für das Viertelfinale ordentlich Selbstvertrauen zu holen und ging stattdessen mindestens teilweise unter.

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Dabei ging die Partie für die DFB-Frauen gut los. Im dritten Gruppenspiel bekam das Team von Christian Wück endlich das, was Polen und Dänemark mit sehr tiefen Verteidigungsketten nicht erlaubten: Platz für Kombinationen.

Und aus einer solchen entstand auch die frühe Führung durch Jule Brand. Aber Schweden reagierte, bespielte die Schwächen der deutschen Elf gnadenlos und entschied die Partie in wenigen Minuten: Durch drei Tore und einen Platzverweis für Carlotta Wamser.

DFB-Frauen: Individuell zu wenig?

Natürlich gibt es nahezu reflexartig einige Fragen, was vor allem die individuelle Qualität der Defensive anbelangt. Rebecca Knaak war mit dem technischen Niveau der Schwedinnen ebenso überfordert wie mit ihrem Tempo. Vor dem 1:1 verlor sie die Orientierung, weil sie nur auf den Ball schaute, statt mit einem Schulterblick zu realisieren, dass sie sich eher nach innen bewegen muss.

Auch danach wackelte sie im Verbund mit Sarai Linder mehrfach, sodass die Auswechslung zur Halbzeit fast schon zu spät kam. Bei Linder ist die Analyse ähnlich. Die Linksverteidigerin hatte bereits in den ersten beiden Spielen grosse Probleme in der Rückwärtsbewegung. Dänemark und Polen gelang es hin und wieder, hinter ihrem Rücken in den Strafraum durchzubrechen.

Schweden zeigte nun nahezu in Perfektion, wie man die Wolfsburgerin dauerhaft in Stresssituationen verwickeln kann. Viele Alternativen hat Wück allerdings nicht. Mit Carolin Simon hat er eine formstarke Linksverteidigerin des FC Bayern ignoriert, dafür Franziska Kett nominiert – eine junge Offensivspielerin, die auf dieser Position hin und wieder aushalf.

Und auch auf der rechten Seite wird der Bundestrainer nun vor Probleme gestellt. Wamser ist nach ihrer Rettungsaktion im Viertelfinale gesperrt, Giulia Gwinn ist verletzt.

Christian Wück muss seine Herangehensweise überdenken

Nur auf die Qualitätsmängel einzelner Spielerinnen zu zeigen, ist aber zu einfach. Deutschland hat sich auch deshalb früh jede Chance auf einen Sieg gegen Schweden genommen, weil sie sich selbst das Leben schwer machen mit ihrer Spielweise. Viele individuelle Fehler können auch ein Zeichen für eine kollektive Schwäche im taktischen Bereich sein.

Denn dass die Spielerinnen zu viele einfache Fehlpässe spielen, kann unter anderem damit begründet werden, dass Staffelung und Positionierung auf dem Platz oft nicht gut sind. Die Abstände zueinander sind mitunter riesig, was einerseits die Passwege verlängert und das Risiko für Fehlpässe erhöht. Andererseits sind die Laufwege für ein entsprechendes Gegenpressing bei Ballverlusten aber auch zu weit.

Jeder Ballverlust wird damit unmittelbar zu einer gefährlichen Situation. Mit einem engeren Positionsspiel könnten die Deutschen hingegen nicht nur ihre Fehlerquote verringern, sondern auch die Rückeroberungsquote. Nur bräuchte es dafür nicht nur einen taktischen Wechsel, es hätte auch die entsprechende Vorbereitung im Vorlauf des Turniers gebraucht.

Wer so abhängig von individuellen Aktionen und Geistesblitzen seiner Top-Spielerinnen ist, muss sich aber nicht wundern, wenn die Verunsicherung besonders gross ist, wenn genau diese Spielerinnen den Fuss nicht in die Partie bekommen.

Chaos-Lotterie statt Struktur und Kontrolle

Deutschland hat zwar viel individuelle Qualität in Mittelfeld und Angriff, aber es lassen sich keine klaren Abläufe für verschiedene Spielsituationen erkennen. Vieles wirkt zufällig und spontan. Das sind Dinge, die sich vor allem Wück ankreiden muss.

Nach bereits 13 Spielen als Nationaltrainer ist wenig Struktur im Spiel nach vorn zu erkennen. Dafür eben besagtes Chaos. Deutschland spielt unter ihm extrem offensiv, geht dabei volles Risiko. Beim 1:1 wurde das Team ausgekontert – zwar nicht in Unterzahl, aber dennoch in einer Art und Weise, die bei einer Führung nicht passieren darf.

Sich auf die Stärken im Angriff zu fokussieren, ist nachvollziehbar. Im Verbund mit den taktischen und individuellen Problemen wird aber jedes Spiel auf diesem Niveau zu einer Lotterie – wie einst schon beim 4:3 gegen England zum Wück-Debüt.

Gegen Schweden wurde deutlich, dass dem Team eine alternative Ausrichtung fehlt. Die Möglichkeit, auch mal vom Gaspedal zu gehen und das Spiel zu kontrollieren, indem man das Tempo herausnimmt, ist nicht da. Gerade nach dem Ausgleich, spätestens aber nach dem 2:1 der Schwedinnen hätten die DFB-Frauen eine taktische Grundlage gebraucht, auf der sie das Geschehen erstmal beruhigen können. Auf die sie sich verlassen können, wenn es nicht läuft, um sich sukzessive Spielanteile zu erarbeiten.

EM 2025: Der letzte Strohhalm für Deutschland

Stattdessen aber zeigte man eine Verunsicherung, die für Top-Teams eher ungewöhnlich ist. Verunsicherung, die vielleicht auch zu mindestens kleinen Teilen vom Trainer reingebracht wurde, als er jüngst öffentlichkeitswirksam ein Gespräch mit Ann-Katrin Berger ankündigte. Der Hintergrund war ihre riskante Spielweise.

Berger wirkte gegen Schweden nicht auf der Höhe, machte einige sehr einfache Fehler. Nun ist es nicht so, dass ihr das nicht vorher auch schon unterlaufen wäre. Bei diesem Turnier blieb sie bis zu diesem Spiel aber fehlerfrei. Ob es diese Aussagen von Wück wirklich gebraucht hat, ist fraglich.

Vor dem Viertelfinale ist die deutliche Niederlage ein ordentlicher Dämpfer. Verloren hat man das Spiel aber nicht nur in der ersten Halbzeit. Verloren hat man es auch in der langen Vorbereitung auf dieses Turnier.

Denn Chaos, Hektik und das Spiel mit dem Feuer sind nicht nur Attribute, die auf das Spiel gegen Schweden zutreffen. Streng genommen sind sie ein steter Begleiter unter Wück. Selbst bei einigen deutlichen Siegen im Vorfeld der Europameisterschaft war das zu beobachten.

Der Strohhalm, nach dem Deutschland bei diesem Turnier greifen muss, ist, dass man die Lotterie des Chaos auch schon das eine oder andere Mal spektakulär auf seine Seite ziehen konnte. Ob das aber der nachhaltige Weg der Zukunft sein kann, darf und muss hinterfragt werden.