Wenige Tage nach der ersten medaillenlosen WM in der Geschichte der deutschen Leichtathletik plant die Bundesregierung, den Förderetat für den Spitzensport um etwa 25 Millionen Euro zu kürzen. Viele Athletinnen und Athleten sehen darin ein Jahr vor den Sommerspielen in Paris ein falsches Zeichen, das in die gesamte Gesellschaft ausstrahlt.

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Der zweimalige Kanu-Olympiasieger und 16-malige Weltmeister Ronald Rauhe hat in der Diskussion um die geplanten Millionen-Kürzungen im deutschen Spitzensport einen Appell an die Politik gerichtet.

Es gehe dabei auch nicht nur um den Leistungssport aus seiner Sicht, sagte der mittlerweile 41 Jahre alte ehemalige Weltklasse-Athlet im "Morgenmagazin" des ZDF: "Es geht um viel mehr. Es geht um die gesellschaftliche Wirkung, die Sport erzeugen kann, es geht um Werte und Normen, die natürlich auch vermittelt werden können."

Ronald Rauhe
Kanu-Olympiasieger Ronald Rauhe kritisiert die geplanten Kürzungen bei der Sportförderung im Bundeshaushalt. (Archivbild) © dpa / Michael Bahlo

Generell müsse man sich überlegen, "und da nehme ich die Bundesregierung auch in die Pflicht: Wo soll es mit dem Sport hingehen in Deutschland? Welchen Stellenwert soll der Sport in Deutschland einnehmen?", sagte Rauhe. Im Bundeshaushalt von Finanzminister Christian Lindner von der FDP sind für das Olympia-Jahr 2024 für den Spitzensport Streichungen um zehn Prozent von rund 303 auf etwa 276 Millionen Euro vorgesehen. Die Regierung will die Gesamtausgaben im Haushalt im Vergleich zum Vorjahr um rund 30 Milliarden Euro senken.

Institute besonders betroffen

Besonders betroffen sind das Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) und das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT). Mit vier Millionen Euro sollen dort 19 Prozent des bisherigen Etats wegfallen. Rund 17,2 Millionen Euro und damit circa vier Millionen weniger als im Vorjahr würden dann für die Materialentwicklung noch zur Verfügung stehen. Das düstere Szenario hätte vor allem Folgen für die deutschen Erfolgssportarten wie Bob, Kanu oder Bahnradsport.

Es sei für ihn nicht nur ein Zeichen Richtung IAT und FES, sagte Rauhe. Es sei ein Zeichen in den Leistungssport, dass Wertschätzung und auch Stolz fehlen würden. "Das ist für mich wirklich besorgniserregend", betonte der ehemalige Kanute. Er würde sich wünschen, dass die Bundesregierung klar Rückgrat beweise und zeige, wo sie mit dem Sport hinwolle.

Auch Bob-Dominator Francesco Friedrich macht sich "enorm grosse Sorgen. Es wird immer geschimpft, wenn wir nicht die Leistung bringen, aber trotzdem werden wir hier eingekürzt, und das ist einfach schwierig. Wir brauchen am Ende jeden Cent, um die Medaillen mit nach Hause zu nehmen". Stünden die bisherigen finanziellen Mittel nicht mehr zur Verfügung, "wird das in den nächsten Jahren schwierig".

Das Geld würde auch für das Personal fehlen. Entlassungen wären die Folge. Der drohende Kompetenzverlust treibt IAT-Direktor Marc-Oliver Löw um: "Der Arbeitsmarkt gibt es her, dass hochqualifizierte Kolleginnen und Kollegen gehen können" - möglicherweise auch ins Ausland zur Konkurrenz.

Das FES ist eine deutsche Medaillenschmiede

Dabei trug genau diese Kompetenz in den vergangenen Jahren erheblich zu deutschen Erfolgen bei. So war das FES, das unter anderem Geräte im olympischen und paralympischen Bereich entwickelt, laut Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) allein bei den Winterspielen in Peking an 21 von 27 Medaillen beteiligt.

Die Athletinnen und Athleten schätzen die Zusammenarbeit. Die Institute hätten "einen wahnsinnig hohen Stellenwert", erklärte Friedrich. Hinze betonte, dass es "ohne Wissenschaft und Technik" vor allem in Sportarten, in denen es manchmal "um wenige Millimeter" gehe, nicht funktioniere.

Seit die Ampel-Koalition im Juli ihren Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 vorgestellt hat, schlagen Verbände und Athleten Alarm. "Eine fatale Fehlentscheidung", wie Martin Engelhardt es nannte. Die Politik sende damit "das total falsche Signal", betonte der Vorstandsvorsitzende des Trägervereins der beiden Institute und verwies auf die Bedeutung des Sports in der Gesellschaft und "Wertevermittlung" bei Kindern und Jugendlichen.

Die Reform der Bundesjugendspiele erhitzt die Gemüter

Rauhe, seit 2021 selbst nicht mehr aktiv, aber als TV-Experte im Einsatz, sprach im ZDF von einer "Dämonisierung" des Sports und bezog sich damit auf die geplante Reform der Bundesjugendspiele. Diese sollen nach dem Willen des Verbandes der Sportlehrer ab dem angelaufenen Schuljahr kein Wettkampf mehr sein, sondern ein Wettbewerb. Und das geht so: Beim Weitsprung wird nicht die eigentlich erzielte Weite der Schülerin oder des Schülers gemessen. Vielmehr besteht die Sprunggrube aus Zonen. Und je weiter ein Kind springt, desto mehr Punkte erzielt es. Im Turnen werden zusätzlich ein paar Team-Übungen eingeführt. Was bleibt: Je nach leistung werden alle Kinder nach absolviertem Wettbewerb mit einer Ukrunde ausgezeichnet.

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Eine Urkunde ist Ausweis erbrachter Leistung und Wertschätzung zugleich. Die vermisst Rauhe angesichts der geplanten Etat-Kürzungen im Bereich des Spitzensports. Rauhe warnt vor "emotionalen Folgen" bei Sportlerinnen und Sportlern: "Ich habe schon wieder das Gefühl, dass wir nicht wertgeschätzt werden, dass der Sport beschnitten wird, dass das, was ich mache, keinen Wert hat."

Das Bundesinnenministerium vernimmt die Klagen

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es jedoch. Löw berichtete von einem "vorsichtig positiven Signal" aus dem Bundesinnenministerium (BMI). Dort denke man über "eine ministeriumsinterne Umschichtung" nach, um die drohenden Kürzungen zu vermeiden, berichtete der IAT-Direktor: "Das Ganze aber noch ohne Gewähr und Garantie" - der deutsche Sport bangt also weiter. (dpa/sid/hau)

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