Prinz Andrew ist der jüngere Bruder von König Charles III., Ex-Mann von Sarah "Fergie" Ferguson – und allerspätestens seit Bekanntwerden seiner Beziehung zu Sexualverbrecher Jeffrey Epstein der verstossene Royal. Die neue Biografie des Historikers Andrew Lownie fasst die Eskapaden des Prinzen und seiner Frau zusammen und fügt dem Skandallebenswerk Andrews noch weitere dunkle Kapitel hinzu.

Christian Vock
Eine Kritik
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Dass eine Biografie über Prinz Andrew nach all dem, was man in den vergangenen Jahren über dessen Verbindungen zu dem Investmentbanker und verurteilten Straftäter Jeffrey Epstein weiss oder spekuliert hat, das britische Königshaus nicht gerade in Verzückung versetzen wird, ist keine Überraschung. Und dennoch beginnt das vor kurzem und bislang nur auf Englisch erschienene Buch "Entitled: The Rise and Fall of the House of York" mit diesem Satz: "Viele hätten es vorgezogen, wenn dieses Buch nie geschrieben worden wäre. Auch die Yorks selbst."

Das kann man dementsprechend als banal bezeichnen – oder aber als Satz, den der Verlag wunderbar fürs Buch-Marketing verwenden kann. Ähnlich, aber doch ein wenig anders, verhält es sich mit den Sätzen, die Autor Andrew Lownie folgen lässt: "Ursprünglich trat ich an sie [die Yorks, Anm. d. Red.] heran, um sie die Erzählung mitgestalten zu lassen, indem sie ihre Freunde und Bekannten ermutigten, mit mir zu sprechen, aber sie entschieden sich, nicht zu kooperieren."

Das klingt, nach allem, was man über das britische Königshaus und seinen Umgang mit Interna weiss, ein bisschen naiv und noch naiver, da der Historiker Lownie nicht zum ersten Mal ein Buch über die königliche Familie geschrieben hat. Lownie wird also gewusst haben, dass sein Angebot zur Mitarbeit nicht angenommen werden wird, und er wird auch von der Reaktion der Yorks überrascht gewesen sein: "Gleichzeitig sagten sie ihren Kontakten, sie sollten nicht mit mir sprechen, und es wurden noch vor der Veröffentlichung Drohbriefe an meine Verleger geschickt, in denen es hiess, dass die Herzogin meine sozialen Medien überwacht."

"Die Leute fühlten sich nicht wohl bei ihm"

Ein Zeitgenosse über den jungen Andrew

Das englische Königshaus, das ist bekannt, hat gerne die Kontrolle über die eigene Aussendarstellung, und daher dürfte Lownie froh gewesen sein, dass, wie er schreibt, von den 3.000 Menschen, die für das Buch angefragt wurden, immerhin 300 geantwortet hätten, darunter Kindheitsfreunde, Schulkameraden, ehemalige Mitarbeiter, Geschäftspartner oder Journalisten. Das Ergebnis seiner Recherchen zeige, so Lownie, das Bild eines Paares, das aufgrund seiner Charakterschwächen in Ungnade gefallen ist: "Es ist eine Geschichte über Kindheitstraumata, Untreue, Lust, Verrat, Korruption, Gier, Extravaganz, Arroganz, Anspruchsdenken, Vertuschung durch das Establishment und Hybris."

Wie kommt Lownie zu diesem vernichtenden Urteil über Prince Andrew und seine Ex-Frau Sarah Ferguson? Mit sehr viel Detailarbeit, die er in die Beschreibung von Andrews und Sarahs Lebensweg gesteckt hat, von deren Geburt bis zur Gegenwart. Das Bild, das Lownie durch die Aussagen von Weggefährten zeichnet, lässt den Prinzen nicht gut aussehen, um es noch freundlich auszudrücken: von Geburt an verwöhnt, durch den Altersunterschied zu seinen Geschwistern Charles und Anne eher als Einzelkind aufgewachsen, nervig, destruktiv, voller Unsinn im Kopf und einer, der statt zu lernen lieber den ganzen Tag Cartoons guckte.

Im Laufe seines Erwachsenwerdens habe sich Andrew zwar weiterentwickelt, allerdings nur in eine andere unangenehme Richtung. Er habe sich schwergetan, Freundschaften zu knüpfen, sei arrogant und jähzornig gewesen und habe die anderen spüren lassen, dass er der Prinz ist. "Er passte nirgendwo richtig hinein und die Leute fühlten sich nicht wohl bei ihm", soll ein Zeitgenosse über den jungen Andrew gesagt haben, "Er war ein aufgeblasener Idiot" ein anderer. Und die Frau eines Militär-Ausbilders habe Andrew so beschrieben: "Er lässt dich nie vergessen, wer er ist."

Das Urteil steht, trotz kleiner Widersprüche

Gleichzeitig versucht Lownie, auch gegenteilige, also positivere, Meinungen zuzulassen, die aber weit in der Unterzahl sind. So wird Andrew nach seiner Rückkehr ins Internat Gordonstoun von den einen als verantwortungsvoller beschrieben, von anderen hingegen als Tyrann. Das mag für den Leser widersprüchlich erscheinen, wird aber einer Biografie eher gerecht als ein komplett eindimensionales Bild. Das Leben ist eben voller Widersprüche.

Ergibt sich so ein differenziertes Bild von Andrew? Nein. Denn es fehlt oft genug der Kontext, in dem die jeweiligen Urteile gefällt wurden, der aber zur Einordnung wichtig wäre. Aus welchen Motiven wurde was von wem über Andrew gesagt, damals und heute? Aus Rache, Zuneigung, Tratsch, Opportunismus, Gedankenlosigkeit, Kränkung, Skandalisierung oder aus Liebe zur Wahrheit? Es gibt viele Gründe, warum Menschen etwas über andere Menschen sagen, und im Umfeld eines Königshauses kommen sicher noch ein paar Gründe mehr hinzu.

Kritisch wird es auch dann, wenn die Vergangenheit als Erklärung für die Gegenwart taugen soll. "Diese Sexsucht könnte durch seine frühen sexuellen Erfahrungen ausgelöst worden sein", schreibt Lownie zum Beispiel über die von Jeffrey Epstein attestierte Sexsucht des Prinzen und erklärt dazu, dass laut einer Quelle aus Andrews Umfeld der Prinz seine erste sexuelle Erfahrung im Alter von acht Jahren gemacht und seine Jungfräulichkeit mit elf Jahren verloren haben soll.

Die gleiche Quelle habe die Probleme des Prinzen so erklärt: "Es sind die Auswirkungen eines sexuellen Traumas in sehr jungen Jahren." Solche Spekulationen anzustellen oder wiederzugeben, ist allerdings kein Job für einen Historiker, sondern wenn überhaupt für einen Psychologen.

Ein ausschweifendes Leben

Gleichzeitig war das, was Lownie über Prinz Andrew und Sarah Ferguson schreibt, in Teilen schon Inhalt der Bericht- oder zumindest der Gerüchterstattung. Lownie hat all die Skandale und Entgleisungen Andrews – und auch seiner Ex-Frau Sarah – nun zusammengetragen, was das Urteil über den Prinzen noch erdrückender macht, als es einzelne Artikel in Boulevardblättern je könnten. Gleichzeitig verliert sich Lownie in so manchem Detail, etwa der Aussage der Unter-Nanny, Andrew habe bei seiner Taufe ausser zwei kleinen Quietschern nicht geweint. Wissen wir also auch das, und dass der Adel teurere Partys schmeisst als man selbst, muss man auch nicht unbedingt in allen Einzelheiten beschreiben.

Allerdings ist Lownie in gewisser Weise dazu verpflichtet, das Bild, das er von Andrew und Fergie zeichnet, mit so vielen Schilderungen und Zitaten zu belegen, selbst wenn das Gesamturteil schon nach wenigen Seiten gefällt ist. In vielen einzelnen Episoden führt Lownie aus, was Andrew wann und wo getan hat, welche Privilegien er ausgenutzt hat, wie viel Geld es gekostet hat und mit welcher Frau er eine Beziehung, Sex oder beides hatte.

So zitiert Lownie zum Beispiel den Reuters-Korrespondenten Andrew MacGregor Marshall, der über eine offizielle Auslandsreise des Prinzen nach Thailand berichtet. 2006 habe Andrew das Königshaus bei den Feierlichkeiten zum diamantenen Thronjubiläum von König Bhumibol in Bangkok vertreten. Im Hotel des Prinzen sei er auf dessen Zimmerservice-Anfragen aufmerksam geworden: "Während seines kurzen Aufenthalts wurden ihm mehr als vierzig Frauen aufs Zimmer gebracht. Oft kam, sobald eine ging, eine andere. Das Hotelpersonal war verblüfft – sie sind es gewohnt, dass Ausländer Mädchen auf ihr Zimmer bringen, aber täglich gingen mehr als zehn auf Andrews Zimmer. Und das alles wurde zwischen offiziellen Terminen hin und her geschoben."

Prinz Andrew und seine Beziehung zu Jeffrey Epstein

Was die Relevanz des Buches steigert, ist die Beziehung Andrews zu Jeffrey Epstein, nicht zuletzt, weil sie die ohnehin schon dunklen Beschreibungen des Prinzen noch düsterer werden lässt. So schreibt Lownie, dass Andrew Jeffrey Epstein schon "fast ein Jahrzehnt" früher als behauptet, kennengelernt habe. Unabhängig vom genauen Datum ihres ersten Treffens seien Epstein und Andrew zu diesem Zeitpunkt bereits Geschäftskontakte und Freunde geworden, "verbunden durch ein gemeinsames Interesse an Geld und Sex."

1999 habe Andrew zum ersten Mal Little Saint James, Epsteins Privatinsel, in Begleitung von Ghislaine Maxwell besucht, danach seien noch weitere Begegnungen gefolgt, mal im schottischen Balmoral, in New York oder in Mar-a-Lago, Donald Trumps Anwesen in Palm Beach. Lownie zitiert dazu Ivan Novikov, Jeffrey Epsteins persönlichen Fahrer: "Wann immer Andrew in der Stadt war, nahm ich junge Mädchen mit, die im Grunde Prostituierte waren." Er fuhr fort: "Einmal fuhr ich Prinz Andrew und zwei etwa 18-jährige Mädchen zum Gansevoort Hotel im Meatpacking District. Beide Mädchen zogen Kokain. Prinz Andrew knutschte mit einer von ihnen."

Andrew soll einen ausschweifenden Lebensstil gehabt, mit mehr als 1.000 Frauen geschlafen haben. Noch zügelloser sei er nach der Scheidung von Sarah Ferguson geworden und noch mehr seit der Beziehung zu Ghislaine Maxwell. "Es war Ghislaine, die Andrew vielen dieser Frauen vorgestellt hatte, mit denen er kurze Affären hatte, aber sie hatte ihn auch tiefer in Epsteins Netz gezogen", schreibt Lownie. Wie tief, das lässt Lownie Epstein selbst sagen: "Jeffrey Epstein erklärte 2007 in einer Interviewreihe, Andrew sei sein 'bester Freund der Welt', weil 'wir uns sehr ähnlich sind. Wir sind beide notorisch sexsüchtig. […] Wir haben dieselben Frauen gehabt. Den Berichten zufolge, die ich von ihnen erhalten habe, ist er das perverseste Tier im Schlafzimmer. Er macht gerne Sachen, die sogar für mich pervers sind – und ich bin der König der Perversionen!'"

Wie brisant ist dieses Buch?

"Viele hätten es vorgezogen, wenn dieses Buch nie geschrieben worden wäre. Auch die Yorks selbst", beginnt Lownie seine York-Biografie, und nach den 456 Seiten muss man sagen: Ja, sehr wahrscheinlich hat er da recht. Egal, an welcher Stelle man das Buch aufschlägt: Die Wahrscheinlichkeit, eine Passage zu erwischen, in der etwas Positives über Prinz Andrew oder Sarah Ferguson steht, ist verschwindend gering. Im Gegenteil, je nachdem, wie man Lownies Ausführungen liest, sind diese eine Biografie, eine Rufmordkampagne, ein Tratsch-Bericht, eine literarische Hinrichtung, ein royales Skandal-Portfolio oder alles zusammen.

Empfehlungen der Redaktion

Wird dieses Buch Prinz Andrew zerstören, wie es mitunter bereits zu lesen war? Sehr wahrscheinlich nicht, und das aus einem einfachen Grund: Was gibt es da noch zu zerstören? Das Image des Prinzen war schon vor dem Buch ein Trümmerhaufen, Andrew wurde bei der Repräsentation der Krone bereits weitgehend aus dem Spiel genommen, die Queen hatte ihm im Zuge der Epstein-Affäre seine militärischen Ehrendienstgrade entzogen. Und auch wenn viele von Lownies Schilderungen wirklich erschütternd sind, muss man sich eingestehen: Viel tiefer kann Prinz Andrew auch nach diesem Buch eigentlich gar nicht mehr sinken.

Informationen zum Buch

  • Andrew Lownie: "Entitled: The Rise and Fall of the House of York". HarperCollins; 456 Seiten; 27,97 Euro (gebundene Ausgabe).