Für ihr feinsinniges Chanson "Voyage" wurde Zoë Më beim ESC in Basel im Mai mit 214 Jurypunkten belohnt. Doch in der Gesamtwertung belegte die Schweizerin "nur" Platz zehn. Der Grund: 0 Punkte vom Publikum. Wir haben die Singer-Songwriterin gefragt, ob das Punktesystem des Eurovision Song Contests überarbeitet werden sollte.
Von der Jury belohnt, vom Publikum jedoch nicht gewürdigt: Zoë Më erlebte beim "Eurovision Song Contest" in ihrem Heimatland Schweiz ein Wechselbad der Gefühle. Am 4. Juli erscheint die neue Single der in Deutschland aufgewachsenen Musikerin: "Million de Mois". Erst kürzlich brachte sie eine neue Version ihres ESC-Songs "Voyage" heraus, die sie im Duett mit der französischen Teilnehmerin Louane eingesungen hat.
Im Interview mit unserer Redaktion spricht die 24-Jährige über ihre ESC-Erkenntnisse, ihre sprachliche und musikalische Dualität sowie die lobenden Worte der "Gemischtes Hack"-Podcaster Tommi Schmitt und Felix Lobrecht.
Frau Më, wie haben Sie den ESC-Abend und die null Punkte vom Publikum verarbeitet?
Zoë Më: Ich habe das sehr gut verarbeitet. Bevor die Jurypunkte bekanntgegeben wurden, war mein gesamtes Team total nervös. Ich hingegen war die ganze Zeit tiefenentspannt, weil sich Musik für mich nicht in Punkten ausdrücken lässt. Mein Ziel war es, eine gute Performance hinzulegen. Und ich bin froh darüber, dass mir das gelungen ist.
Nach der Jurywertung schien der Sieg zum Greifen nah. Hat Sie das alles wirklich kaltgelassen?
Nein, natürlich nicht. Wenn man plötzlich so viele Jurypunkte zugesprochen bekommt, ist man ziemlich gehypt. Die null Punkte vom Publikum waren dann schon eine grosse Überraschung. Das hat man mir in dem Moment ja auch angesehen (lacht). Ich muss aber dazu sagen, dass ich zwischenzeitlich etwas abgelenkt war. Ich dachte, dass noch viele Punkte im Topf sein müssten – weil ich nicht mitbekommen hatte, wie gut Estland beim Publikum abgeschnitten hatte (258 Publikumspunkte; Anm. d. Red.).
"Ich kann verstehen, dass Fans enttäuscht sind."
Das Ergebnis ist für mich aber kein Problem. Die vielen Jurypunkte empfinde ich als eine Belohnung – genauso wie den Preis für die beste Komposition, den ich von den anderen Songwritern bekommen habe. Und ich weiss, dass ganz viele Menschen für mich angerufen haben. Mit Platz zehn bin ich weiterhin happy.
Sollte das Punktesystem überarbeitet werden?
Zumindest sollte es während der Show ein bisschen besser erklärt werden, damit die Leute verstehen, wie sich diese Punkte zusammensetzen können. Nur ein Beispiel: Wird man in jedem stimmberechtigten Land Elfter, hat man zwar sehr viele Votes bekommen, doch unterm Strich steht letztlich trotzdem die Null. Mir haben viele Leute geschrieben, dass sie zigmal für mich angerufen haben.
Ich kann verstehen, dass die Fans enttäuscht sind. Schliesslich haben sie sich die Zeit genommen und sogar Geld dafür bezahlt, um ihren Favoriten zu unterstützen. Am Ende des Tages ist der ESC aber auch eine Unterhaltungsshow. Es ist interessant zu sehen, wie weit Jury und Publikum manchmal auseinanderliegen. Es bleibt bis zum Schluss spannend.
Woran machen Sie es fest, dass Ihr Song "Voyage" beim Publikum in keinem Land unter den besten zehn Titeln gelandet ist?
Ich wollte mit meinem ruhigen Song ein Kunstwerk auf der Bühne zeigen. Der Titel ist relativ schlicht – und das bin einfach ich. Daher wusste ich von Anfang an, dass "Voyage" eher ein Jurysong sein könnte.
Warum Chanson-Sängerin Zoë Më nicht auf Englisch singt
"Voyage" ist ein Chanson. Wie würden Sie Ihre Musik grundsätzlich beschreiben?
Meinen ersten Song habe ich im Alter von zehn Jahren geschrieben – bereits damals übrigens auf Deutsch. Ich wollte mich nie einschränken, sondern immer alles sagen, was ich im Kopf habe. Das war der Grund, warum ich nie auf Englisch gesungen habe.
Meinen Künstlernamen Zoë Më habe ich bewusst gewählt – "Zoë" kommt aus dem Griechischen und steht für das Leben, während "Më" das japanische Wort für das Auge ist. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, dass ich sensibel bin und dass ich sehr genau hinschaue und hinhöre.
Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen. Und ich bin dafür da, die Geschichten zu Papier und letztendlich auf die Bühne zu bringen. Chanson ist eine Form von Musik, die das Wort in den Vordergrund stellt. Man trägt nur die Emotionen hinaus.
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Warum singen Sie manche Lieder in deutscher und andere in französischer Sprache?
Französisch kam erst später hinzu, nachdem ich in die Schweiz gezogen war. Ich bin ja in Basel geboren, aber in Deutschland aufgewachsen. Seit meinem neunten Lebensjahr wohne ich wieder in der Schweiz, in einem zweisprachigen Ort. Hier habe ich gut genug Französisch lernen können, um all das sagen zu können, was ich sagen möchte.
Neben dieser sprachlichen Dualität habe ich auch eine musikalische Dualität in meinem Schaffen. Aus Frankreich habe ich die Chansons mitgenommen, aus Deutschland den Pop und das Urbane. Beide Musikkulturen haben mich stark geprägt.
Wer hört Zoë Më?
Aufgrund meiner Dualität habe ich das Gefühl, dass Zoë Më ein breites Publikum anspricht. Der gemeinsame Nenner ist, dass meine Musik vor allem Leute mögen, die gerne zuhören. Vielleicht nehmen sie meine Geschichten zum Anlass, sich ihre eigenen Gedanken zu machen.
"Auf uns wurde von aussen ein Bild projiziert, als ob wir vielleicht Stress miteinander hätten. Dabei war hinter den Kulissen genau das Gegenteil der Fall."
Ihr ESC-Song ist mittlerweile auch als Duett erschienen, das Sie mit der französischen ESC-Teilnehmerin Louane (Platz sieben mit dem Song "Mama") singen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Tatsächlich habe ich mit Louanes Musik Französisch gelernt. Als ich erfuhr, dass auch sie dieses Jahr am ESC teilnehmen würde, war das für mich natürlich ein ganz besonderer Moment. Wir trafen uns dann kurz vor dem Finale. Und sie sagte mir, dass sie meinen Song unglaublich gut findet und sie ihn jederzeit mit mir im Duett singen würde.
Im Vorfeld des ESC wurden wir häufig als Konkurrentinnen dargestellt, die sich gegenseitig die Punkte klauen würden – nur, weil wir beide mit französischen Chansons angetreten sind. Auf uns wurde von aussen ein Bild projiziert, als ob wir vielleicht Stress miteinander hätten. Dabei war hinter den Kulissen genau das Gegenteil der Fall. Wir haben uns von Anfang an unterstützt.
Wie unterscheidet sich die neue "Voyage"-Version von der ursprünglichen?
Mit dieser Version möchte ich noch mal eine andere Seite von "Voyage" zeigen. Es gibt nur ein Klavier sowie Louanes Stimme und meine Stimme. Wir singen zweistimmig. Auch die Struktur des Songs ist etwas anders. Mir war wichtig zu zeigen: Hier sind zwei Frauen, die durch den ESC eine Freundschaft aufgebaut haben und gemeinsam die Musik feiern.
Sehen Sie als ehemalige Leistungssportlerin im Volleyball Parallelen zwischen dem Eurovision Song Contest und den Olympischen Spielen?
In gewisser Weise schon. Ich glaube, dass mich meine Volleyball-Vergangenheit ein Stück weit auf den ESC vorbereitet hat. Im Sport ist ein Spiel erst zu Ende, wenn der letzte Punkt gespielt ist. Beim ESC ist das ähnlich. Zudem gibt es Phasen, in denen du nur wenig schläfst und emotionalen Stress aushalten musst. Auch dank meiner Erfahrungen, die ich als Sportlerin sammeln durfte, ist es mir jetzt gelungen, die Energie hochzuhalten. Bei der "Flag Parade", als sich die teilnehmenden ESC-Länder präsentierten, fühlte ich mich dann endgültig wie bei den Olympischen Spielen.
Wie wird Ihre "Voyage", also Ihre "Reise", in diesem Jahr weitergehen?
Am 4. Juli erscheint ein ganz neuer Song. Nur so viel: "Million de Mois" ist die Schwester von "Voyage". In den kommenden Wochen spiele ich in der Schweiz einige Festivals, bevor dort im Herbst auch meine Club-Tour starten wird. Ein grosses Ziel von mir ist, mit meiner Musik nach Deutschland zurückzukehren. Ich hoffe, dass das eher früher als später passieren wird.
"Gemischtes Hack" als Karrierebooster
Im Podcast "Gemischtes Hack" wurden Sie für Ihren ESC-Song gelobt,
Ich glaube schon. Zumindest haben mich sehr viele Nachrichten aus Deutschland erreicht. Viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie mich durch "Gemischtes Hack" kennengelernt haben. Übrigens ist mein "Voyage"-Produzent ein riesiger Fan des Podcasts von
Über die Gesprächspartnerin
- Zoë Më ist eine Schweizer Singer-Songwriterin, die beim Eurovision Song Contest 2025 mit ihrem Chanson "Voyage" den zehnten Platz belegte. Noch vor dem Auftritt in ihrer Geburtsstadt wurde sie mit dem Marcel-Bezençon-Komponistenpreis, ein bedeutender Songwriting-Award, ausgezeichnet. Die ausgebildete Lehrerin singt in deutscher und französischer Sprache.