Schwalben haben Frühling und Sommer in unserer Nähe verbracht. Bald aber sammeln sie sich, um ihre lange Reise nach Süden anzutreten. Werfen wir also noch schnell einen Blick auf die Vögel, die viele Höchstleistungen vollbringen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Fussgängertunnel zur Berliner Siegessäule ist ein finsterer Ort. Wer unter dem viel befahrenen Kreisverkehr zum Wahrzeichen gelangen will, huscht dort in der Regel schnell durch und hält sich die Nase zu. Dabei würde sich manchmal ein Blick zur Seite lohnen. Denn im Tunnel entsteht neues Leben.

In diesem Sommer hat ein Rauchschwalbenpaar dort sein Nest gebaut. Die Eltern sind Tausende Male durch das grosse Portal des Tunneleingangs geflogen, zwei Treppen hinunter und hinein in den Gang, wo sie ihr klebriges Nest über eine Lampe gebaut und danach den Nachwuchs gefüttert haben. In Berlin gibt es eben alles. Sogar Vögel, die unter der Erde brüten.

Ein Vogel, der unsere Nähe sucht

Schwalben leben auf dem Land und dem Dorf, nie in der Stadt, habe ich einmal in einem Buch gelesen. Das kann ich so nicht stehen lassen. Auch in Berlins mittigster Mitte begegnen sie einem im Frühling und Sommer. Mehlschwalben segeln am Schiffbauerdamm über die Köpfe der Touristen hinweg und brüten an einem Nebengebäude des Bundestags. Rauchschwalben haben nicht nur im Tunnel zur Siegessäule ein Nest gebaut, sondern auch in der Tiefgarage eines Hotels.

Eine Rauchschwalbe inmitten von Mehlschwalben. Beide Arten brauchen Schlamm und Lehm für ihren Nestbau. © IMAGO/imageBROKER/Erhard Nerger

Zwei Schwalbenarten suchen in Mitteleuropa die Nähe von Menschen: Während die Mehlschwalbe ihre Nester aussen an Gebäuden anbringt, fliegt die Rauchschwalbe dafür ins Innere – ihre Nester sind oben offen und müssen daher vor Regen geschützt sein. Früher sollen sie auch in Nischen im Inneren von grossen Schornsteinen gebrütet haben. Daher kommt ihr Name.

Die hiesigen Schwalbenarten

  • Markante Merkmale der Rauchschwalbe sind die langen Schwanzspiesse und ein rostroter Gesichtsfleck. Die dunkle Oberseite schimmert im Sonnenlicht bläulich.
  • Die Mehlschwalbe hat deutlich kürzere Schwanzfedern und fällt von unten durch ihren weissen Bauch auf. Wie die Rauchschwalbe brütet sie in Dörfern und Städten.
  • Anders ist das bei zwei selteneren bräunlichen Schwalben: Die Uferschwalbe gräbt für ihre Jungen Höhlen in die sandigen Steilhänge an Flüssen, Seen und am Meer. Die Felsenschwalbe brütet an Felswänden in den Alpen.

Männchen müssen eifrige Versorger sein

Sowohl die Weibchen als auch die Männchen der Rauchschwalbe nehmen es mit der Treue nicht so genau. Es kommt vor, dass sie sich mit fremden Vögeln paaren – in vielen Schwalbennestern liegen Eier, die ein fremdes Männchen befruchtet hat. Ansonsten achtet das Weibchen bei der Wahl eines festen Partners vor allem auf die Länge: Es bevorzugt Partner mit langen Schwanzfedern. Weil diese besonders gute Flugkünstler sind und daher viel Futter heranschaffen können.

Rauchschwalben-Männchen mit langen Schwanzspiessen sind besonders gute Flugkünstler. © IMAGO/AGAMI/Saverio Gatto

Denn die Verpflegung der Jungen ist eine körperliche Höchstleistung. Unermüdlich fangen die Eltern Fluginsekten – rund 500 pro Stunde –, drücken sie zu Ballen zusammen und befördern sie in die aufgesperrten Schnäbel der Jungen. Bis diese schwerer sind als ihrer Eltern. Die Fettreserven sind überlebensnotwendig, wenn langanhaltender Regen den Futternachschub stocken lässt.

Schwalbennester können eine ziemlich schmutzige Angelegenheit sein. Wenn sie alt genug sind, spritzen die Jungvögel ihren Kot über den Rand nach draussen. In England hat eine Supermarktkette deswegen einmal Netze angebracht, um den Nestbau über dem Einkaufswagen-Stand zu verhindern. Doch ein öffentlicher Aufschrei im Land der Vogelfreunde bereitete der Massnahme ein schnelles Ende.

Hunger! Schwalbenküken müssen sich ein Fettpolster anfressen, um Kälteperioden zu durchstehen. © IMAGO/imageBROKER/Sunbird Images

Ein Symbol der Freiheit

Viele Menschen lieben offenbar Schwalben. Weil sie sich uns angeschlossen haben, weil sie den Frühling bringen und das Fernweh wecken. Der Rapper Casper hat dieses Gefühl in seinem Stück XOXO festgehalten:

Ich tätowier' mir deinen Namen übers Herz
Mit Ankern, damit jeder weiss wo meins' hingehört
'Nen Leuchtturm daneben
Egal wie neblig, es leitet mich
Schwalben an den Hals
Dass jeder sieht, wie frei wir sind

Die Freiheit der Schwalben hat Menschen immer schon fasziniert. Vor allem in Ausnahmesituationen. In den Weltkriegen beobachteten Soldaten, wie die Schwalben in und an den Kasernen und Schützengräben ihrem Brutgeschäft nachgingen, während die Menschen ihre eigene Welt zum Einsturz brachten. Im Herbst flogen die Vögel dann einfach weit weg in den Süden, während der Schrecken für die Soldaten weiterging, nur noch kälter und dunkler. In solchen Situationen müssen einem die Schwalben ganz schön überlegen vorkommen.

Reiseleistung macht demütig

Bis ins 18. Jahrhundert hielt sich der Glaube, europäische Schwalben würden im Schlamm am Grund von Seen überwintern. Weil man sich ihr Verschwinden im Winter nicht erklären konnte. Heute weiss man es besser: Im September oder Oktober treten sie ihre Reise in die Winterquartiere an. Sogar vom Nordrand Europas bis ins südliche Afrika. Denn die Schwalben kennen keinen Winter. Wenn es bei uns kalt wird, fliegen sie in den Süden. Wenn im Frühjahr in Europa die Insekten wieder zahlreicher und die Tage länger werden, kommen sie zurück, um die guten Bedingungen für die Brut zu nutzen.

Noch so eine Höchstleistung: Kaum ein Zugvogel fliegt dabei so weite Strecken wie die Rauchschwalbe. Rund 15.000 Kilometer sind die kleinen Vögel jeweils unterwegs. Auf dem Weg lauern unzählige Todesfallen: grosse Glasfassaden (wie im Berliner Regierungsviertel), Greifvögel, Vogeljäger am Mittelmeer, die schier endlose Sahara ohne Wasser. Viele Tiere überleben die Strecke nicht.

Wie gross die Leistung ist, hat der britische Naturbeobachter Stephen Moss in seinem Buch "Über die Schwalbe" auf den Punkt gebracht, nachdem er den Rauchschwalben seiner Heimat einmal nach Südafrika hinterhergeflogen war: "Ich war in einer Metallkapsel gereist, versorgt mit vorbereiteten Mahlzeiten und Spielfilmen zur Unterhaltung. Die Schwalbe hingegen fliegt dieselbe Strecke jedes Jahr von Grossbritannien nach Südafrika und zurück, und zwar aus eigener Kraft, wobei sie sich lediglich von Fliegen ernährt."

Noch sind die Schwalben aber da. In unseren Breiten sammeln sich die erwachsenen Tiere und ihr flügger Nachwuchs gerade häufig zu Tausenden in Schilfflächen – oder zu Dutzenden auf Kabeln und Leitungen. Da sitzen sie dann zwitschernd, als würden sie sich etwas erzählen.

Alle in der Reihe, aber immer schön mit Abstand: Im Spätsommer sammeln sich Schwalben gerne auf Kabeln und Leitungen. © IMAGO/imageBROKER/alimdi / Arterra

Vor Kurzem habe ich sie auch an einem Ort gehört, an dem ich es nicht erwartet hatte. An einem der vielleicht letzten richtigen Sommertage im Berliner Prinzenbad, über den Wertschliessfächern. Auch dort, in einer Ecke des Freibadgebäudes, klebte ein Nest. Die Jungen riefen eifrig nach neuen Insekten. Offenbar sind die Bedingungen dort so gut, dass die Eltern noch eine dritte Brut gewagt haben. Ein Risiko, denn die Jungen müssen schnell stark werden für die anstrengende Reise um die halbe Welt.

Hoffentlich sind sie schon bald auf dem Weg nach Süden.

Zum Weiterlesen

  • Stephen Moss: Über die Schwalbe, Dumont-Verlag (im Original: The Swallow)
  • Thomas Müller: Ein Jahr mit den Schwalben, Gerstenberg-Verlag (Kinderbuch)