Die meisten sind sich einig: Damit ein künftiger Waffenstillstand oder Frieden in der Ukraine Bestand haben kann, sind Sicherheitsgarantien nötig. Auch Deutschland soll unterstützen – womöglich mit eigenen Soldaten in der Ukraine. Doch wäre das angesichts des schlechten Zustands der Bundeswehr überhaupt möglich? Ein Experte hat eine eindeutige Antwort.

Noch ist kein Frieden in der Ukraine in Sicht, dennoch standen sie auch in Washington wieder im Fokus: Mögliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine, um eine Nachkriegsordnung abzusichern. Auch Deutschland sieht sich in der Pflicht in Zukunft dazu beizutragen, die Ukraine vor erneuten russischen Angriffen zu schützen.

"Wir wissen, dass die Ukraine Sicherheitsgarantien braucht", betonte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. Ganz Europa müsse sich daran beteiligen. Wie genau die Garantien aber aussehen können, ist noch offen.

Im Gespräch sind dabei aber auch deutsche Soldaten, die in die Ukraine geschickt werden könnten. Auch US-Präsident Trump rechnet damit, dass Deutschland, Frankreich und Grossbritannien zur Entsendung von Bodentruppen bereit sind. Die USA selbst können sich Unterstützung aus der Luft vorstellen.

Erster Widerstand formiert sich

Kanzler Merz blieb uneindeutig, sprach aber davon, mit der Koalition zu klären, ob man "möglicherweise mandatspflichtige Beschlüsse" zu fassen habe. Auch wenn der Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine bislang nur hypothetisch diskutiert wird, formiert sich bereits erster Widerstand.

Als "geschichtsvergessen" und "brandgefährlich" beurteilte BSW-Politikerin Sahra Wagenknecht die Idee.

Die AfD spricht von einer "dauerhaften Eskalation gegenüber Russland".

Michael Kretschmer: Bundeswehr-Einsatz darf "kein Thema sein"

Ablehnend äusserte sich auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Interview mit dem "Spiegel". Dies dürfe "kein Thema sein" – der Bundeswehr würden die Voraussetzungen fehlen, sie sei nicht stark genug. Auch Aussenminister Wadephul (CDU) hatte bereits angedeutet, eine solche Entsendung könne die Bundeswehr "überfordern".

Militärexperte Gustav Gressel hält die Debatte für zu verfrüht: "Wir sind Jahre von einem Waffenstillstand entfernt", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Von "Friedenstruppen" zu sprechen, hält er ohnehin für falsch.

Experte hält "Friedenstruppen" für falsch

"Das würde suggerieren, dass der Westen die Integrität einer möglichen Waffenstillstandslinie, die Jahre entfernt ist, garantiert – also Truppen an der Linie stehen und physisch verhindern, dass die Russen da rüberschreiten", sagt er. Um ein solches "koreanisches Modell" zu realisieren, seien aber 300.000 bis 400.000 Mann nötig.

Das habe jedoch niemand – weder die Europäer noch die Amerikaner – irgendwo frei verfügbar. SPD-Aussenpolitiker Rolf Mützenich hatte jüngst eine Beteiligung von UN und OSZE an einer Friedenslösung für die Ukraine gefordert. Gressel hält das ebenfalls für nicht zielführend.

Was eine "Koalition der Willigen" plant

"UNO-Truppen leben davon, dass die Partei zurückscheut, eine Waffenstillstandslinie zu verletzen, weil sie den Reputationsverlust fürchtet." Eine UNO-Truppe könne aber Truppen nicht wirklich aufhalten. "Das Ganze lebt eher davon, dass weitere Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat folgen, sollte sich eine Partei grenzüberschreitend verhalten", erklärt er.

Beides aber sei bei Russland von wenig Relevanz, da die Reputation bereits beschädigt und Sanktionen erfolgt seien. "Man braucht sich nur anschauen, wie Israel mit den UNIFIL-Truppen im Libanon umgeht. Da werden trotzdem Ziele angegriffen", erinnert er. OSZE-Beobachter habe es seit 2014 in der Ukraine gegeben, das sei dem Kreml ebenfalls völlig egal gewesen. "Das hat die Vollinvasion nicht verhindert", so Gressel.

Die "Koalition der Willigen" spreche daher eher über ein Modell der "Enhanced Forward Presence der NATO". Das bedeutet: Truppen würden in die Ukraine geschickt, die Teil der ukrainischen Verteidigungsvorbereitungen sind. Sie würden mit den Ukrainern mitüben und in die ukrainischen Strukturen integriert werden.

Eine Brigade aus Deutschland

"Gelegentlich würden sie an der Waffenstillstandslinie rotieren, sodass, wenn Russland den Krieg wieder aufnimmt, es das nicht tun kann, ohne auch auf deutsche, französische oder britische Soldaten zu schiessen und damit quasi auch in den Krieg mit anderen Nationen eintritt", erläutert Gressel. Dieser Risikofaktor solle abschrecken.

Bei diesem Modell würden die grösseren Staaten wie Deutschland vermutlich eine Brigade stellen. Das sind in der Regel 3.000 bis 5.000 Soldaten. "Ein oder zwei weitere Brigaden würden durch zusammengewürfelte kleinere Nationen gestellt werden. Auch die Luftwaffe wäre gefordert mit Kampfflugzeugen", sagt Gressel.

Experte: "Bundeswehr nicht einsatzbereit"

Aktuell verfügt die Bundeswehr über acht Brigaden, bis 2027 wird eine neunte in Litauen aufgebaut. Bis 2030 hat Deutschland der NATO eine zehnte Brigade zugesagt. Aus Sicht von Gressel wäre eine zusätzliche Brigade für Deutschland ein Problem – allerdings auch für Grossbritannien und Frankreich. "Die Bundeswehr ist nicht einsatzbereit", sagt Gressel.

Sich leisten, das zuzugeben, könne man aber nicht. "Wenn es die Bundeswehr als grösste Landmacht nicht mal schafft, eine Brigade irgendwo hinzuschicken, hat Putin mit Amt und Siegel die Bestätigung, dass Europa völlig gratis brach liegt als Beute für den nächsten Angriffskrieg", warnt der Experte.

Nukleare Abschreckung

Die europäischen Armeen müssten sich irgendwie zusammenreissen, über alle Rahmen und Vorschriften springen, um genau jenes Bild vor Russland nicht abzugeben – "sonst haben wir mit Sicherheit den nächsten Krieg in unserem eigenen Land", so Gressel.

Der Experte sieht ein weiteres Problem. Würde Russland nach einem Waffenstillstand oder wie auch immer gearteten Frieden den Krieg wieder aufnehmen, rechnet Gressel bereits jetzt mit nuklearen Drohungen gegen die unterstützenden Staaten.

Gressel vermutet: "Putin würde sagen: ‚Dass ich die Soldaten in der Ukraine beschiesse, ist Teil des Berufsrisikos. Jeder weitere europäische Staat, der glaubt, er ist dann mit Russland im Krieg, wird sofort nuklear bestraft", vermutet Gressel.

Empfehlungen der Redaktion

Um dabei wiederum eine Drohkulisse aufrecht zu erhalten, sei eine nukleare Gegendrohung nötig. An der Stelle kommen wiederum die USA ins Spiel. "Man bräuchte eine amerikanische Rückfallgarantie, denn die USA sie sind die grösste und die bestausgerüstete Atommacht in der NATO", so Gressel.

Über den Gesprächspartner

  • Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmässig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Aussenpolitik bei Grossmächten.

Verwendete Quellen