Bisher galt Polen als einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine. Es hat hunderttausende Geflüchtete aufgenommen und ist Umschlagplatz für militärische Lieferungen in die Ukraine. Doch unter dem neuen Präsidenten könnte sich der Wind nun drehen.
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gehört Polen, Mitglied sowohl der EU als auch der NATO, zu den wichtigsten politischen und militärischen Unterstützern der Ukraine. Das Land hat bislang rund 989.000 Geflüchtete aus dem Nachbarstaat aufgenommen und spielt eine zentrale Rolle als logistisches Drehkreuz für westliche Waffenlieferungen.
Gleichzeitig sieht sich Polen selbst durch Russland bedroht und investiert daher massiv in seine Aufrüstung. Schon jetzt liegen die Militärausgaben bei vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts, bis 2026 sollen es sogar fünf Prozent sein.
Doch nach mehr als dreieinhalb Jahren Krieg wandelt sich die Stimmung im Land: Die Bereitschaft, ukrainische Geflüchtete zu unterstützen, sinkt. Immer mehr Menschen äussern Kritik. Der neue Präsident Karol Nawrocki, der seinen Wahlerfolg auch ultrarechten Wählergruppen verdankt, greift diese Stimmung auf. Seine Botschaft: "Polen zuerst, die Polen zuerst."
Veto gegen Sozialleistungen und Starlink-Finanzierung
Vor wenigen Tagen legte Nawrocki sein Veto gegen ein Gesetz ein, das eine Verlängerung von Kindergeldzahlungen und weiteren Sozialleistungen für Geflüchtete nach dem 1. Oktober vorgesehen hätte. Seine Begründung: Anspruch darauf sollten nur Menschen haben, die auch in Polen einer Arbeit nachgehen.
Auch bei der militärischen Unterstützung der Ukraine setzt er Grenzen. Bisher hatte die ukrainische Armee ihre Internetverbindung an der Front über
Ein gespaltenes Land
Die Personalien von Ministerpräsident Donald Tusk und Staatspräsident Karol Nawrocki spiegeln die tiefe Spaltung der polnischen Gesellschaft wider. Der EU-freundliche Tusk steht für einen pro-westlichen Kurs, für umfangreiche Hilfe an die Ukraine und eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich. So nahm er auch am vergangenen Donnerstag am Treffen der "Koalition der Willigen" in Paris teil.
Der rechtsnationale Präsident Nawrocki hingegen pflegt Nähe zu Rechtspopulisten in Europa, lehnt eine stärkere Unterstützung der Ukraine ab und erhielt im Wahlkampf Rückendeckung von US-Präsident
Dabei greift Nawrocki auch Nachbarstaaten wie Deutschland und die Ukraine scharf an und stilisiert sie mit Verweis auf historische Konflikte zum Feindbild. So forderte er jüngst von Deutschland Entschädigungszahlungen für die Schäden der NS-Besatzung im Zweiten Weltkrieg.
Offene historische Wunden
Auch gegenüber der Ukraine verweisen die Nationalkonservativen auf aus ihrer Sicht ungelöste Fragen aus der gemeinsamen Geschichte. Polen-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt gegenüber unserer Redaktion: "Ein Element, das zum Stimmungswandel in Polen beigetragen hat, sind offene historische Fragen."
Im Zentrum steht dabei das Massaker in Wolhynien während des Zweiten Weltkriegs. Dabei töteten ukrainische Nationalisten rund 100.000 polnische Zivilisten. "Die polnische Rechte hat immer darauf gedrängt, dass die Ukraine dieses Kapitel aufarbeitet", so Lang.
Konfliktpunkt: Massaker während des Zweiten Weltkriegs
Der ukrainische Nationalist Stepan Bandera wird in Polen als Verantwortlicher dieser Massaker gesehen. Teile der polnischen Rechten wollen deshalb die Unterstützung der Ukraine an bestimmte Gesten knüpfen. Dazu gehört, dass die Ukraine die vom polnischen Parlament als Völkermord eingestuften Gräueltaten anerkennt.
Bandera und die Zusammenarbeit ukrainischer Nationalisten mit den Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs wurden auch von russischer Seite kritisiert und waren Teil der offiziellen Begründung des russischen Präsidenten für die Invasion im Februar 2022.
Nicht russlandfreundlich, aber ukrainekritisch
Hier zeigen sich allerdings Unterschiede zwischen den polnischen Nationalkonservativen und russischen Nationalisten. "Die meisten polnischen Nationalkonservativen sind nicht russlandfreundlich, aber eben ukrainekritisch", erklärt Kai-Olaf Lang. Eine Einschränkung der Waffenhilfen für die Ukraine liege nicht in ihrem Interesse, da sie selbst eine russische Aggression fürchten.
Auch das Veto Nawrockis gegen die Finanzierung von Starlink scheint keine grundsätzliche Blockade zu sein. Polens Präsident kann nämlich jedes Gesetz blockieren, er kann das aber immer nur im Gesamten tun. Nawrockis Veto richtet sich primär gegen die in dem Gesetzespaket enthaltenen Sozialleistungen für Ukraine-Flüchtlinge. Dass die Starlink-Finanzierung dadurch bedroht ist, nimmt er billigend in Kauf.
Am Ende jedoch profitieren Moskau und Präsident Putin von den Streitigkeiten zwischen der Ukraine und Polen. "Es ist im Interesse Russlands, wenn es zwischen Polen und der Ukraine knirscht", so Lang.
PiS richtet sich nach Stimmungen in der Bevölkerung
Bei ihrer Kritik an der Ukraine stützen sich PiS und die ultrarechte Konfederacja auf weit verbreitete Meinungen in der Bevölkerung. So ist eine Mehrheit in Polen dagegen, Soldaten in die Ukraine zur Friedenssicherung zu entsenden. Auch bei einem möglichen EU-Beitritt der Ukraine könnte Polen künftig Vetos einlegen oder die Zustimmung an Bedingungen knüpfen.
Präsident Nawrocki ist zwar parteilos, wurde bei seiner Wahl jedoch von der PiS unterstützt. Peter Oliver Loew, Historiker und Direktor des Deutschen Polen-Instituts, erklärt gegenüber unserer Redaktion: "Die PiS ist in erster Linie eine nationalkonservative Partei, die immer mehr trumpistische Wege einschlägt. Sie greift den vermeintlichen Willen des Volkes auf und nutzt ihn innenpolitisch."
Dies sei auch der Hintergrund für den Kurswechsel gegenüber geflüchteten Ukrainern. "Ihre christliche Prägung spielt hier überhaupt keine Rolle", so Loew.
Auch das aktuelle Veto von Präsident Nawrocki gegen Sozialleistungen für ukrainische Geflüchtete scheint vor allem populistisch motiviert. Tatsächlich zeigen Zahlen, dass fast 70 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter in Polen bereits arbeiten.
Da das Land einen hohen Bedarf an Arbeitskräften hat – auch für einfache Tätigkeiten – waren es in den vergangenen Jahren häufig Ukrainer, die diese Jobs übernommen haben. "Die polnische Wirtschaft boomt und ist auf die ukrainischen Arbeitskräfte angewiesen", betont Loew.
Blockadehaltung könnte Nawrocki noch schaden
Das Veto gegen Sozialleistungen für ukrainische Geflüchtete steht im grösseren parteipolitischen Kontext. Die Rechtspopulisten in Polen versuchen, die liberale Regierung von Donald Tusk unter Druck zu setzen.
"Nawrocki kann als Präsident lediglich Gesetzesvorhaben blockieren, er kann jedoch keine eigene Politik gestalten. Daher versucht er, Ministerpräsident Tusk das Leben schwer zu machen", sagt Loew. "Wenn er sich allerdings nur als Verhinderer und Blockierer inszeniert, kann ihm das irgendwann auch auf die Füsse fallen."
In diesem Fall könnte auch die PiS für die Haltung des von ihr unterstützten Präsidenten an Zustimmung verlieren. Doch andererseits: Nawrockis Vorgänger Andrzej Duda hatte ebenso einen Blockade-Kurs gefahren. Auch er vertrat stramm die Linie der PiS.
Empfehlungen der Redaktion
Fraglich also, ob die Polinnen und Polen die Veto-Manöver des Präsidenten tatsächlich abstrafen.
Über die Gesprächspartner:
- Kai-Olaf Lang ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Berlin.
- Peter Oliver Loew ist Historiker und Direktor des Deutschen Polen-Instituts.
Verwendete Quellen
- Einschätzung von Kai-Olaf Lang.
- Einschätzung von Peter Oliver Loew.
- Dlf.de: Polen will Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP anheben
- DW.de: Polens Präsident Nawrocki verlangt deutsche Reparationen
- Tagesschau.de: Nawrockis Blockade-Politik trifft nun Geflüchtete
- Focus.de: Polens Präsident stoppt Starlink-Finanzierung - Ukraine droht Internet-Aus an der Front