• Derzeit wird vor allem die SPD für ihre langjährige Politik gegenüber dem Kreml kritisiert. Doch nicht nur Sozialdemokraten waren blauäugig in ihrer Russland-Politik.
  • Auch in anderen Parteien gibt es Beispiele für ein Verhältnis zu Moskau, das im Nachgang zu freundlich gewesen zu sein scheint.
  • Politikwissenschaftler Hubert Zimmermann analysiert die Russland-Politiken – nur eine Partei kommt unbelastet davon.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. des zu Wort kommenden Experten einfliessen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Vor knapp zwei Monaten hat Russland einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet und damit die meisten Experten und Politiker überrascht. Mit einem Krieg in Europa haben die wenigsten von ihnen gerechnet. Entsprechend schnell kam die Russland-Politik der vergangenen Jahre auf den Prüfstand.

Ganz vorn am Pranger: Die SPD. "Zu Recht", sagt Politikwissenschaftler Hubert Zimmermann. "Von allen Parteien hat vor allem die SPD das Problem einer über viele Jahre zu russland-freundlichen Politik", sagt der Experte. Hauptgrund dafür sei, dass die Identität der Sozialdemokraten ganz eng mit dem Erfolg der Ostpolitik verknüpft sei.

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Ostpolitik als wichtiger Erfolg

"Die Ostpolitik ist einer der grössten aussenpolitischen Erfolge der SPD", so Zimmermann. Willy Brandt und sein aussenpolitischer Berater Egon Bahr zeigten schliesslich: Im Kalten Krieg lag der Schlüssel zur deutschen Frage in Moskau und in einer Lockerung der Konfrontationspolitik.

Problematisch sei aber, dass das Motto "Wandel durch Annäherung" zu lange nicht hinterfragt worden sei. "Die grösste Verfehlung war, dass man nach 2008 nicht erkannt hat, wohin sich Russland innenpolitisch bewegt – obwohl viele Beobachter in Stiftungen und anderen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen vor Ort waren und schon länger vor der Entwicklung warnten", sagt der Politikwissenschaftler.

Wirtschaftsgetriebene Russland-Politik

Beispiele für eine zu russland-freundliche Politik findet man in der SPD zuhauf: Da wäre Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der "Nord Stream 1" erst ermöglichte oder der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), der mit der sogenannten Steinmeier-Formel, die eine stufenweise Umsetzung des Minsker Abkommens vorsah, einen "Sonderstatus" in den russisch besetzten Gebieten des Donbass etablierte.

In Erinnerung bleibt auch ein Sigmar Gabriel, der als Aussenminister dem deutschen Ableger des russischen Staats-Senders "Russia Today" Interviews gab über den Krieg in der Ost-Ukraine und den Stillstand bei der Umsetzung des Minsk-Abkommens. Dabei sprach Gabriel von den beteiligten Seiten Ukraine und den Separatisten – erwähnte aber nicht den offensichtlichen russischen Anteil am Konflikt.

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Laute Rufe aus der Opposition

Zuletzt sorgte die "Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern" für Furore, denn der staatlich kontrollierte Energiekonzern "Gazprom" konnte dank des Einsatzes der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) 20 Millionen Euro in Mecklenburg-Vorpommern investieren – mithilfe eines Etikettenschwindels.

Laut sind deshalb derzeit die Rufe aus der Opposition: Aussenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) forderte unverzüglich Schwesigs Rücktritt. Es sei "völlig ausgeschlossen", dass Schwesig im Amt bleibe. Er forderte die Aufdeckung der "langjährigen geheimen Verstrickungen" der SPD mit dem Kreml. CDU-Chef Friedrich Merz forderte dazu sogar eine parlamentarische Enquete-Kommission.

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AfD und Linke: Bekannte Kreml-Freunde

Bevor die Opposition mit dem Finger auf andere zeigt, sollte sie jedoch die eigene Russland-Politik reflektieren. Denn manche Parteien sitzen im Glashaus. "Es gibt in fast allen Parteien russland-freundliche Teile", sagt auch Politikwissenschaftler Zimmermann.

Insbesondere die russland-freundliche Haltung der AfD und der Linken sind seit Langem bekannt. "In den Parteiprogrammen der Linken ist die Nato ein traditionelles Feindbild, ganz im Einklang mit der russischen Sichtweise. Auch die anti-amerikanische Haltung wird geteilt", sagt Zimmermann. Sowohl die Linke als auch der Kreml betrachteten die Nato als Aggressor.

Auch Union pflegte Kontakte

"In der AfD gibt es ebenfalls anti-amerikanische und anti-kapitalistische Strömungen. Mit dem Kreml sympathisieren auch viele wegen des dortigen autoritären Gesellschaftsmodells, in dem ein starker Anführer einen einheitlichen Volkswillen verkörpert und neue, progressive gesellschaftliche Strömungen bekämpft", analysiert der Experte.

Doch nicht nur die "üblichen Verdächtigen" hätten ein – im Nachhinein betrachtet – zu enges Verhältnis zu Moskau gehabt. "Auch in der Union haben manche Personen enge Kontakte nach Russland gepflegt", sagt Zimmermann und erinnert an historische Bilder von Helmut Kohl und dem damaligen Staatschef Boris Jelzin in der Sauna und beim gemeinsamen Wodka-Trinken.

Traditionslinie in der CSU

"Hängen geblieben ist beispielsweise auch der Besuch von Franz-Josef Strauss mit einem selbst-gesteuerten Privatflugzeug 1987 in Moskau", sagt Zimmermann. In der CSU gäbe es eine regelrechte Traditionslinie für Kontakte nach Moskau.

Der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber rühmte nach seinem Besuch im Kreml das "stabile und positive Verhältnis zu Russland", Nachfolger Horst Seehofer sprach sich dafür aus, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Auch der heutige CSU-Vorsitzende Markus Söder warnte noch jüngst vor "immer härteren Sanktionen" gegen Russland. An Nord Stream 2 solle Deutschland festhalten.

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Nord Stream weiter verteidigt

Das war Tenor auch in der Schwesterpartei: "Nord Stream 2" wurde unter Merkel (CDU) auch dann nicht gestoppt, als Russland die Krim 2014 annektiert hatte – es wurde weiter als "privatwirtschaftliches Projekt" verteidigt. Gleichzeitig hatte sich die Ex-Kanzlerin 2008 bei einem Nato-Gipfel gegen eine rasche Aufnahme der Ukraine in das Verteidigungsbündnis ausgesprochen.

Auch die FDP kommt nicht unbelastet davon: "Es bestehen vor allem in den wirtschaftsnahen Bereichen Verbindungen nach Russland", sagt Zimmermann. Ideologisch sei die FDP zwar nicht einem engen deutsch-russischen Verhältnis verhaftet. Der Teil der FDP, der eine besonders liberale und freie Wirtschaftsentwicklung wolle, habe aber immer wieder Debatten angestossen, ob man das wirtschaftliche Potenzial mit Russland nicht stärker ausschöpfen solle.

Haltung der Liberalen

Bei den Liberalen dürften sich vermutlich vor allem der Vorsitzende Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki über ihre Aussagen in der Vergangenheit ärgern. Denn Lindner plädierte dafür, das Problem der völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland fürs Erste "einzukapseln" und diese als "dauerhaftes Provisorium" hinzunehmen, um Putin "gesichtswahrende" Auswege aus der Konfrontation mit dem Westen zu ermöglichen.

Kubicki präsentierte sich von Beginn an als Gegner der Russland-Sanktionen und bezeichnete sie 2014 als ein Instrument der USA, um einen "Regimewechsel" in Russland zu erreichen – dies sei eine "Völkerrechtsverletzung".

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Unbelastet ist nur eine Partei

Weiter sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presseagentur (dpa), Nato-Truppen an den Ostgrenzen zu stationieren, sei kontraproduktiv. Er argumentierte, die USA würden den Ukraine-Konflikt instrumentalisieren, um einen Keil zwischen Russland und den Rest Europas zu treiben.

"Die einzige Partei, die nicht belastet ist, sind die Grünen", analysiert Zimmermann. Die Grünen hätten noch nicht so lange Regierungsverantwortung im Bund wie andere Parteien der politischen Mitte, aber auch eine ideologische Komponente spiele eine Rolle. "Für die grüne Agenda, die Themen wie Menschenrechte und LGBTQ priorisiert, sind die von Putin verkörperten Einstellungen völlig inakzeptabel", so Zimmermann.

Debatte über Fehler nötig

Der Experte bilanziert: "Man kann den Parteien im Grunde nicht vorwerfen, dass sie nach dem Ende des Kalten Kriegs hofften, dass Russland auch noch den Weg einschlagen wird, den andere osteuropäische Länder zuvor genommen haben. Aber man hat schlicht zu lange daran festgehalten."

Nun brauche es eine grössere Debatte über die Fehler in der Russland-Politik mit den Fragen: "Wann ist man mit der Ostpolitik falsch abgebogen?" und "Wie kann man den aussenpolitischen Kompass neu positionieren, ohne das in den 70er und 80er Jahren Erreichte völlig zu verdammen?"

Über den Experten: Prof. Dr. Hubert Zimmermann ist Politikwissenschaftler an der Phillipps-Universität in Marburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik sowie die Aussenbeziehungen der Europäischen Union.

Verwendete Quellen:

  • Stern.de: "Kubicki: USA wollen Putin stürzen" (29.01.2015)
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