Dirk Oberschulte-Beckmann ist seit über 30 Jahren Stadionsprecher beim FC Schalke. Wir haben uns mit ihm unter anderem über die Herausforderungen der Rolle, Veränderungen im Laufe der Zeit und den bittersten Moment seiner Laufbahn unterhalten.
Er ist die Stimme bei den Heimspielen des FC Schalke: Dirk Oberschulte-Beckmann macht bei den "Königsblauen" den Stadionsprecher, und das inzwischen seit knapp über 30 Jahren. Sein Jubiläum feierte er im zurückliegenden Sommer. Im Gespräch mit unserer Redaktion erzählt er, dass er ein wenig überrumpelt wurde, als er den Job vor drei Jahrzehnten übernahm.
Dazu spricht er über die Veränderungen im Fussball und bei den Fans, die Herausforderungen als Stadionsprecher, die verrückten Hintergründe zu einem preisgekrönten Spruch und wie er die verpasste Meisterschaft 2001 erlebt hat.
Herr Oberschulte-Beckmann, Sie sind seit über 30 Jahren die Stimme auf Schalke. Wie sind Sie damals überhaupt zu diesem Job gekommen?
Oberschulte-Beckmann: Das war eigentlich ein Zufall. Ich war im Stadion öfter unzufrieden mit dem Vorprogramm. Einmal beim Spiel gegen Duisburg – damals demonstrierten Bergleute im Parkstadion für ihre Arbeitsplätze, liefen mit Transparenten durchs Stadion und wurden von der MSV-Kurve beschimpft. Und der damalige Stadionsprecher ging gar nicht darauf ein. Das hat mich geärgert. Ich habe dann dem Marketingmanager von Schalke geschrieben, dass man solche Situationen anders begleiten müsse. Nicht, dass ich es besser könnte – ich habe nur kritisiert. Kurz darauf hatte ich eine Einladung. Bei einem Treffen fragte er mich plötzlich, ob ich jemanden kennen würde, der den Job machen könnte. Ich habe das erst gar nicht verstanden.
Aber lange überlegen mussten Sie dann nicht?
Nein, auch wenn es nicht der Plan war. Aber man hat mich damals ein bisschen überrumpelt. Das hat aber gut funktioniert: Zwei, drei Tage später sollte ich beim Heimspiel gegen Freiburg probeweise übernehmen und seitdem bin ich dabei. Auch wenn ich es nicht als Aufgabe für die nächsten Jahre gesehen hatte.
Wenn Sie zurückblicken: Wie sehr hat sich Ihre Arbeit seitdem verändert?
Exorbitant. Früher war das viel freier, da haben wir viel auf Zuruf gemacht. Heute haben die Auflagen zugenommen, alles ist professioneller geworden. Das ist völlig in Ordnung, nachvollziehbar und das trage ich auch mit. Es gibt jetzt Ablaufpläne, Werbeeinheiten, Regiebesprechungen am Spieltag, Redaktionssitzungen vorher. Es gibt deshalb aber heute auch etwas weniger Spontanität als früher.
"Lasse mir die Lockerheit nicht nehmen"
Wie sieht das konkret aus?
Vor dem Spiel habe ich Freiräume, da kann ich meine Art einbringen, die ich auch beibehalten möchte – da lasse ich mich nicht verbiegen. Während des Spiels bin ich viel enger an die Abläufe gebunden, da ist kaum Platz für Kreativität. Das akzeptiere ich – aber meine Lockerheit, die lasse ich mir nicht nehmen.
Was ist heute besser und was komplizierter als früher?
Früher steckte der Job noch in den Kinderschuhen, da hatte man diese totale Freiheit. Heute gibt es klare Strukturen. Ich finde eine Mischung eigentlich am besten, die Lockerheit von damals kombiniert mit der Professionalität von heute. Ich versuche, das mit meiner eigenen Lockerheit und Spontanität auszugleichen. Ich kann gar nicht sagen, dass es früher besser oder schlechter war. Man muss das ganze Paket nehmen – und das mache ich nach wie vor sehr gerne.
Der Fussball ist in den letzten Jahren aber deutlich kommerzieller geworden. Es ist ein Spagat als Stadionsprecher, dass man authentisch bleibt und gleichzeitig diese neue Entwicklung bedient. Ist es Ihnen noch nicht zu viel geworden mit der Kommerzialisierung?
Klar, hier und da schon. Aber es betrifft meine Arbeit nicht so sehr. Natürlich transportiere ich Werbung und bin der verlängerte Arm fürs Merchandising. Das gehört dazu, aber ich bin natürlich nicht nur dafür da, um Werbung zu machen. Ich habe kein Problem mit der Entwicklung, das hält sich für mich alles in einem erträglichen Rahmen.
Sie interagieren vor allem mit den Fans. Wie haben die sich verändert?
Früher habe ich selbst in der Kurve gestanden, das war eine ganz andere Szene. Natürlich hat sich die Struktur der Fans verändert – durch viele Entwicklungen, auch durch die Zeit. Heute ist die Ultraszene prägend, die Ansprüche sind andere. Aber was das Publikum angeht, sind wir nach wie vor extrem stark aufgestellt. Die Heimspiele sind voll, die Nachfrage ist riesig. Schalke ist nach wie vor ein Magnet – und mittendrin zu stehen, das finde ich schon cool.
Warum ist Schalke Ihrer Meinung nach so ein Magnet?
Das lässt sich nicht rational erklären. Es ist Tradition, es ist Geschichte – aber es ist auch das gemeinsame Erleben. Selbst schwierige Zeiten, wie im letzten Jahr, schweissen zusammen. Dieses Zusammenleiden potenziert die Euphorie, wenn etwas Positives passiert. Deshalb explodiert die Arena heute bei einem Tor noch mehr als früher. Diese Wucht ist manchmal fast hinderlich, aber sie ist eben auch unser Puls. Nicht nur im Stadion, sondern in der ganzen Region.
"Nur ein kleiner Baustein im grossen Ganzen"
Können Sie als Stadionsprecher diese Wucht lenken oder beeinflussen?
Ich bin nur ein kleiner Baustein im grossen Ganzen. Meine Aufgabe ist es, authentisch zu sein und die Leute mitzunehmen. Mehr nicht. Ich will die Fans nicht lenken, sondern eine Atmosphäre schaffen, die zum Anpfiff auf dem Punkt ist. Ein Spannungsbogen, der sich aufbaut – das ist mein Job. Am Ende bin ich nichts anderes als einer von ihnen: der Typ, der genauso im Publikum stehen könnte. Ich versuche einfach, nah an den Leuten zu sein. Vielleicht klappt das deshalb seit über 30 Jahren so gut.
Was ist der grösste Fehler, den man als Stadionsprecher machen kann?
Fans gegeneinander aufzuhetzen. Das gehört sich nicht. Ich würde niemals Gästefans lächerlich oder heruntermachen oder ironisch kommentieren. Ich finde, dass man gerade mit den Gästefans gut und fair umgehen muss. Ich erwarte das auch umgekehrt.
Wie reagieren Sie, wenn die Stimmung kippt – nach Niederlagen oder in kritischen Situationen?
Ehrlich gesagt musste ich da noch nie bewusst eingreifen. Wenn Schalke verliert, wenn die Emotionen kippen – dann hört man das automatisch auch bei mir. Ich fühle ja genau dasselbe wie die Leute auf den Rängen. Man hört daher sehr schnell bei mir, dass Schluss mit lustig ist.
Sie sind auch für Ihre Sprüche bekannt. "Hömma, Kollege, ich weiss nicht, wat mit dir los ist. Der Motor läuft, der Schlüssel steckt…" – dafür haben Sie sogar einen Preis bekommen. Was war damals los?
(lacht) Ja, das war eigentlich völlig absurd. Ich bekam von der Leitstelle die Meldung: schwarzer Mercedes im Parkhaus, Motor läuft, Fenster offen, Schlüssel steckt. Da bleibt einem ja fast die Spucke weg. Ich habe das dann durchs Stadion gesagt – so fassungslos, dass es direkt die Runde machte. Dass ich dafür später sogar einen Preis bekommen habe, war verrückt. Das Beste ist aber etwas anderes.
Und zwar?
Später stellte sich heraus: Der Wagen war nagelneu, über 100.000 Euro teuer. Kein Schlüssel steckte, sondern die Elektrik hatte gesponnen. Das Auto war abgeschlossen, sprang aber einfach von selbst an. Den Besitzer haben wir damals eingeladen, er hat die Geschichte aus seiner Sicht erzählt – ein grossartiger Moment.
Schalker Fans reagieren sensibel auf Veränderungen
Sie sind auf Schalke Kult, aber Geschmäcker sind verschieden, die Zeiten sind andere. Wie sieht es denn mit Kritik aus?
Ich bin dankbar für Kritik, denn die kann helfen. Aber ehrlich gesagt kommt von aussen erstaunlich wenig. Ich lese viel in den sozialen Medien, verfolge die Diskussionen – und dort taucht mein Name kaum auf. Meine Art wird sehr selten kritisiert. Damit bin ich zufrieden, bin aber manchmal auch unsicher. Denn es ist ja nicht alles schön, was ich mache. Oder meine Art kann ja nicht jedem gefallen. Auf Schalke wird es nie Sachen geben, die allen Leuten gefallen. Und bei manchen Dingen reagieren die Leute sensibel.
Zum Beispiel?
Etwa bei Ritualen oder kleinen Abweichungen. Wenn ich ein ganz besonderes Tor noch einmal heraushebe, den Torschützen vielleicht dreimal rufe – weil es ein aussergewöhnlicher Moment ist – dann melden sich sofort Leute: "Warum dreimal?" Solche Dinge. Aber ich finde, man darf auch mal etwas verändern, auch mal einen Schritt nach vorne oder zur Seite gehen. Es muss nicht immer jahrzehntelang gleich bleiben.
Und wie gehen Sie mit Feedback um?
Ganz entspannt. Natürlich soll es den Leuten gefallen, aber meine Aufgabe ist nicht, allen zu gefallen. Ich bin nicht nur Stimmungsmacher, sondern auch Teil eines Prozesses: Ich transportiere das Programm, kümmere mich um das Vorprogramm, halte mich an Sicherheitsvorgaben. Da steckt viel mehr dahinter, als man von aussen sieht.
Was ist die grösste Herausforderung als Stadionsprecher?
Oft heisst es: Die Stimmung zum Anpfiff auf den Punkt bringen – und das stimmt auch. Aber ich würde mich nicht als reinen Stimmungsmacher bezeichnen, da würde ich mich unter Wert verkauft fühlen. Ich habe meinen Regieplan, ich kenne die Abläufe – Einlauf, Aufstellung, Anstoss. Innerhalb dieses Rahmens bringe ich zusätzlich meine Persönlichkeit ein, um zum Beispiel dann beim Einlauf der Mannschaften einen ersten Höhepunkt zu schaffen.
Gibt es Patzer, über die Sie sich ärgern?
Ja, es gibt Fehler, die man macht, die natürlich auch sofort auffallen. Wie falsche Spielernamen zum Beispiel. Aber ansonsten gibt es nichts, was hängengeblieben ist.
2001 hat den Verein nachhaltig geprägt
Drei Jahrzehnte Schalke – da erlebt man Höhen und Tiefen. Was war für Sie der schlimmste Moment?
Ganz klar: die verpasste Meisterschaft 2001. Ich wusste auf der Leinwand in der Südkurve, dass das Spiel in Hamburg noch lief, während die Zuschauer schon feierten. Die Zuschauer waren alle der Überzeugung, dass wir Deutscher Meister sind. Tausende stürmten den Platz. Dann aber kam der Freistoss, das Tor der Bayern. Das Problem: Die Leute haben meine Durchsagen gar nicht mehr gehört, weil damals im alten Parkstadion die Beschallung Richtung Tribünen gerichtet war. Daher dachte jeder, der im Innenraum war, dass wir Deutscher Meister sind.
Und Sie haben es den Leuten dann irgendwie beibringen müssen…
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Genau, wir mussten es den Leuten langsam, aber sicher mitteilen, und das war nicht einfach. Und die Spieler kamen dann auf die Ehrentribüne und haben ebenfalls bitterlich geweint. Das war alles sehr emotional. Ich glaube aber, dass dieser Tag Schalke 04 noch näher zusammengebracht hat.
Über den Interviewpartner
- Dirk Oberschulte-Beckmann ist seit über 30 Jahren der Stadionsprecher des FC Schalke. Als "Quatscher", so sein Spitzname, hat er auf Schalke Kultstatus.