Mit Sandro Wagner holt sich der FC Augsburg nicht nur einen Trainer, der den Klub sportlich voranbringen soll. Denn mit Wagner kann sich der oft etwas farblose Bundesligist in seinem 15. Jahr neu erfinden.
Sandro Wagner sagt gerne, was er denkt – eine Eigenschaft, die seine Vorteile und Nachteile hat. "Ich bin in meinen Augen seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer", erklärte der heute 37-Jährige 2016 im Interview mit der "Bild" etwa selbstbewusst – wie seine damaligen Stürmerkollegen in der Nationalmannschaft das beurteilen, ist nicht bekannt. Was genau er früher über den FC Augsburg dachte, hat
Augsburg und Wagner – das sind auf den ersten Blick zwei Pole, die überhaupt nicht zusammenpassen. Auf der einen Seite Wagner, der mit provokanten Jubelaktionen oder schrägen Ausführungen über Frauenfussball, Spielergehälter und das Tempolimit fast schon leidenschaftlich gerne aneckt, dabei aber trotzdem ein gewisses Charisma versprüht. Auf der anderen Seite der FCA, der unter vielen grauen Mäusen in der Bundesliga noch immer einer der farblosesten ist. Was genau also will der FC Augsburg mit Sandro Wagner? Und was will Wagner mit dem FC Augsburg?
Thorup musste trotz Klassenerhalt gehen
Gerade was in Augsburg in den vergangenen Tagen passiert ist, mag den ein oder anderen überrascht haben. Wie in fast jedem Jahr hatte der Klub entgegen der Prognosen zahlreicher Tippspielrunden die Klasse gehalten, war zwischenzeitlich elf Spiele ungeschlagen und hatte dank Torwart Finn Dahmen, der 683 Minuten ohne Gegentor blieb, kurzzeitig sogar von einem Bundesliga-Rekord geträumt.
Alles wie immer also? Nicht ganz. Denn dass der Klub sich zum Ende der Saison wieder mal lautlos ins Tabellenmittelfeld zurückzog, sorgte dann doch für etwas mehr Unruhe als sonst. So sehr, dass die Augsburger am Montag ernst machten und sowohl Trainer Jess Thorup als auch Sportdirektor Marinko Jurendic freistellten. Thorups Nachfolger war da schon ein offenes Geheimnis.
Damit zeigte der sonst so solide Klub eine Risikobereitschaft, die man sonst nur von emotionsgeladenen Traditionsvereinen kennt, kurz bevor sie im Tabellenmittelfeld der 2. Bundesliga versinken. Dass Thorup die Augsburger auch in der nächsten Saison wieder souverän in der Bundesliga gehalten hätte, davon ist fast auszugehen. Die Frage war wohl eher, ob der Däne den FCA auch darüber hinaus weiterbringen kann.
Die Verpflichtung von Wagner gibt die Antwort: Womöglich sehnt sich der Klub erstmals nach etwas mehr als dem Klassenerhalt. Der FCA geht mittlerweile in seine 15. Bundesliga-Saison – und dass das verwundert, ist auch ein Hinweis darauf, dass den Augsburgern in der höchsten Spielklasse immer ein bisschen unter dem Radar waren. In der ewigen Tabelle der Bundesliga ist der Klub mittlerweile in der oberen Tabellenhälfte angekommen, vor Klubs wie Hansa Rostock oder dem FC St. Pauli. Und trotzdem: Wenn sich Fans eine Traum-Bundesliga zusammenstellen könnten, dann wären die Augsburger trotzdem in den seltensten Fällen dabei. Klar, dass kein Klub so wirklich gerne nach Augsburg fährt, ist mittlerweile eine Binsenweisheit der Bundesliga. Aber sonst?
Wagner ist der Gegenentwurf zu den bisherigen FCA-Trainern
Gerade deshalb könnte ein Charakter wie Wagner für den FC Augsburg interessant gewesen sein – als Gegenentwurf nicht nur zu Thorup, sondern auch dessen verhältnismässig erfolgreichen, aber wenig spektakulären Vorgängern wie Enrico Maassen, Markus Weinzierl oder Manuel Baum. Wagner gilt nicht nur als eines der grössten Trainertalente des Landes und ist ein versessener Taktiker – zu seiner Zeit als Spieler besass er laut eigener Aussage sechs Ordner mit den taktischen Ideen seiner jeweiligen Trainer. Ihn zeichnet auch ein bedingungsloser Erfolgswille aus, der weit über die Zufriedenheit mit dem Klassenerhalt an sich hinausgeht.
Bei der Heim-EM 2024 avancierte Wagner als Co-Trainer von Julian Nagelsmann mit seiner leidenschaftlichen Herangehensweise zum heimlichen Helden des Landes. Fast jede Szene am Spielfeldrand zeigte, wie gut das Gespür des 37-Jährigen in der Kommunikation mit den Spielern ist. Vor seiner Zeit beim DFB hatte er die SpVgg Unterhaching innerhalb von zwei Jahren von der sportlichen Tristesse nach dem Drittligaabstieg zu einem stabilen Aufsteiger, gespickt mit zahlreichen jungen Talenten, geführt. Unterhachings Präsident Manfred Schwabl schwärmte im Gespräch mit unserer Redaktion: Seine "positiv verrückte Art sorgt dafür, dass die Spieler mit Herz und Verstand bei der Sache sind. Sandro ist ein Trainer, der gerne aus der Komfortzone rausgeht und Dinge ausprobiert – das macht ihn einzigartig."
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Warum Wagner zu Augsburg passt
Auch Wagner hat an Augsburg viel: Die Nähe zu seiner Heimatstadt München und seinem Wohnort Unterhaching zuallererst, wo er mit seiner Familie schon seit Profizeiten wohnt. Der FC Augsburg ist für ihn ein passender Schritt in der Bundesliga – gerade weil er aktuell noch die Lizenz zum Fussballlehrer erwirbt, wäre die Dreifachbelastung gleich im ersten Jahr womöglich zu viel gewesen.
Und in seiner Karriere fühlte sich Wagner sowieso meist bei kleineren Klubs in Darmstadt, Hoffenheim oder bei Unterhaching wohl. Dass der neue Trainer bereits in Unterhaching erfolgreich mit jungen Talenten zusammenarbeitete, ist ein weiterer Pluspunkt, denn auch im Bereich Nachwuchsförderung will Augsburg langsam aufholen.
Natürlich müssen sich die Augsburger auch darauf einstellen, dass sie mit Wagner kein Trainer kommt, den man schnell zufriedenstellen kann. Wenn ein grösserer Verein ihn lockte, hielt es Wagner bei seinen Klubs nie lange. Genauso wenig, wenn es ihm bei einem nicht gefiel. Als Spieler trat er bei der deutschen Nationalmannschaft nach der Nichtnominierung für die WM 2018 erbost zurück.
Im Idealfall hat sich der FC Augsburg aber einen Trainer geholt, mit dem er sich neue sportliche Ambitionen setzen und einen Wiedererkennungswert über das Image als unangenehmer Gegner hinaus schaffen kann. Kurz gesagt: Wenn sich der FC Augsburg nach 14 Jahren Bundesliga neu erfinden will, passt wohl kaum ein gerade verfügbarer Trainer besser zum Verein als Sandro Wagner. Ob das klappt, ist die andere Frage.